Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis - 21.7.2013 Textlesung: Jh. 9, 1 - 7 Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden. Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah - das heißt übersetzt: gesandt - und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder. Liebe Gemeinde! Es gehört zu den schwierigsten Gedanken - auch für uns Christinnen und Christen! - dass die Be- hinderung eines Menschen nicht irgendetwas mit dem zu tun haben soll, was die Eltern des Be- hinderten oder dieser selbst an Schuld auf sich geladen haben. So tief sitzt der Gedanke oft, dass wie in dieser Geschichte wirklich von einem Blindgeborenen angenommen wird, er könnte viel- leicht - schon vor seiner Geburt! - gesündigt haben! Und auch bei uns ist der Gedanke, dass persönliche Schuld hinter Krankheit und Behinderung steht, noch sehr lebendig! Und dass bei aller Aufgeklärtheit und allem Wissen darum, dass oft Veränderungen des Erbguts oder auch Medi- kamente (Contergan) Missbildungen, Blindheit, Taubheit oder andere körperliche Defekte auslösen. Hier hören wir zu diesem Denken, dass Sünde oder Schuld Krankheit oder Behinderung nach sich ziehen, Jesu klare Absage: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern! Liebe Gemeinde, überzeugt uns das? Oder lassen wir das nur für diesen speziellen Fall gelten? Im- merhin ist ja eines klar: Vor seiner Geburt wird dieser Blinde nicht gesündigt haben. Aber in an- deren Fällen, auch noch wenn ein Mensch nun wirklich nicht gut und gottgefällig lebt, wie wir meinen und wenn er dann krank wird oder ihm sonst etwas zustößt... - Nein! Es gibt ihn nicht, die- sen Zusammenhang zwischen dem, was einer tut und wie es ihm dann in seinem Leben ergeht. Sie kennen die biblische Geschichte vom Turm von Siloah? Der war umgestürzt und hatte einige Menschen unter sich begraben. Da hatten sie Jesus auch gefragt, ob die achtzehn vom Turm Erschlagenen denn mehr Schuld auf sich geladen hätten, als die anderen, die davongekommen waren? So hatte Jesus geantwortet: „...meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen.“ (Lk.13,4f) Noch einmal: Es gibt ihn nicht, den Zusammenhang zwischen unserer Sünde und der Krankheit als Strafe Gottes für unsere Schuld! Uns wäre das wohl recht so, weil wir immer gern verstehen wol- len, warum es dem einem so schlecht, dem anderen aber so gut geht? Aber Gott ist nicht so. Er durchkreuzt dieses Denken. Er verrechnet nicht unsere Sünden mit dem, was er uns leiden lässt. Und er belohnt auch nicht unser Wohlverhalten und unsere Verdienste um ein Leben nach seinen Geboten. Und oft erfahren wir das auch sehr deutlich, dass es nicht so ist, wie wir es gern hätten. Dann lassen wir die Klagen hören, die wir schon in den Psalmen lesen können: Warum es den Gottlosen so gut geht? (Ps.73) Oder wir fragen umgekehrt: Was hat dieser Mensch denn nur getan, dass er so krank ist und so leiden muss? Jesus gibt hier zur Blindheit des Blindgeborenen eine Erklärung, die uns aufs erste Hören sicher auch nicht gefällt und schon gar nicht zufriedenstellt: Es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. Und ich gebe das ganz offen zu: Ich komme mir auch immer wieder ein wenig dumm vor, wenn mich einer fragt, wie das denn kommt, dass „ein so lieber Mensch so lange und so schwer leiden muss“? Soll ich dann wirklich sagen, was Jesus damals gesagt hat: Dieser Mensch muss so leiden, weil die Werke Gottes an ihm offenbar werden sollen? Damit bin weder ich zufrieden noch der Mensch, der das von mir hört. Das ist kein echter Trost, denn wir können das von uns aus doch überhaupt nicht beeinflussen, ob der leidende Mensch die Werke Gottes an sich erfährt. - - - Oder vielleicht doch? In der Geschichte vom Blindgeborenen bleibt es ja nicht dabei, dass Jesus nur erklärt, warum dieser Mensch mit Blindheit geschlagen ist. Jesus heilt ihn ja auch. Er tut also an ihm, was wir jetzt nur „die Werke Gottes an dem Blinden“ nennen können. Und er spricht auch genau das aus: „Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat!“ Wir sollen also von den Werken Gottes an einem leidenden Menschen nicht nur sprechen und dann darauf warten, dass Gott diese Werke tut - wir sollen sie tun!!! Ja, ich weiß, da meldet sich in uns sofort Widerstand: „Aber damals...das war doch Jesus, der den Blinden geheilt hat! Er konnte Gottes Werke tun. Das hat er ja nicht nur an diesem Blinden bew- iesen. Er hat doch tausende von Kranken gesund gemacht und sogar Tote auferweckt. Er konnte das!“ Ich will ja gar nicht bestreiten, dass Jesus eine ganz besondere Nähe zu seinem (und unserem!) himmlischen Vater hatte und darum auch besondere Gaben. Vielleicht die, Menschen ins Herz zu schauen und dort zu sehen, was sie wirklich brauchen. Vielleicht auch, dass er eine große Ausstrah- lung und Autoritiät hatte, die Menschen das Vertrauen zu ihm geschenkt haben, was ihm dann die Macht gab, sie zu heilen. Vielleicht sogar, dass Gott mit seiner Macht über jede Krankheit und Be- hinderung und sogar über den Tod ihm eingegeben hat, was er sagen und tun musste, um Menschen gesund und lebendig zu machen. Alles das will ich gern zugeben! Aber, liebe Gemeinde, machen wir uns nicht zu klein dabei! Auch wir können eine ganze Menge tun, um die Werke Gottes an kranken, behinderten oder sonstwie leidenden Menschen sichtbar zu machen. Und das geschieht ja auch zum Beispiel in der Medizin und der Krankenpflege: Es ist ja gar nicht so, dass es beim medizinischen Fortschritt, der gerade in den letzten Jahrzehnten geradezu galoppiert, nur darum geht, durch immer bessere Arzneimittel, Geräte und Behandlungsmethoden in den Krankenhäusern und Arztpraxen immer mehr Geld zu verdienen. Immer noch steht der lei- dende Mensch im Mittelpunkt. Ihm zu dienen, ihm das Leben zu erleichtern, ihn an Leib und Seele gesund zu machen, bleibt das Ziel aller Bemühungen der Ärzte, der Pflegekräfte und hoffentlich auch der Verwaltungen der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Unser Tun aber, also wie wir als Mitmenschen, Mitchristinnen und Mitchristen mit den Leidenden, Kranken und Behinderten in unserer Umgebung umgehen, ist hier zuerst von Jesus angesprochen und gemeint. Und wir können so viel von den Werken Gottes an den Menschen wirken! Das fängt an mit dem echten Interesse, das wir für sie aufbringen. Bei aller Einfühlsamkeit und Vorsicht, die wir dabei haben müssen, es tut Menschen mit Behinderungen doch auch gut, wenn sie spüren, wir möchten begreifen, wie eingeschränkt und schwierig ihr Leben und wie groß oft ihre Not mit täglichen Verrichtung ist, die uns leicht und selbstverständlich von der Hand gehen. Es geht weiter mit einem angemessenen Mitleid, das nicht vor Rührung zerfließt, sondern Hilfe anbietet, dort wo sie gern angenommen wird und sich zurückhält, wo der kranke Mensch sich selbst bemühen muss, eigene Schritte zur Besserung oder Genesung zu machen. Echtes, hilfreiches Mitleid muss durchaus auch etwas fordern, aber es darf nicht überfordern. Ein guter Kompass für unsere Hilfe ist immer die Antwort auf die Frage, was wir uns selbst in gleicher Lage von unseren Mitmenschen wünschen würden. Ein Drittes, was wichtig ist, wenn wir an Kranken oder Behinderten das Wirken Gottes sichtbar und spürbar machen wollen, ist, dass wir sie nach Kräften vor Unverständnis und Überforderung durch andere Menschen und zum Beispiel auch Behörden schützen. Rasch wird das Schweigen eines geistig behinderten Menschen - wo einer nichts von ihm weiß - als unhöflich oder als arrogantes Verhalten missverstanden. Unser diskreter Hinweis kann hier ein falsches Urteil korrigieren. Wenn das Sozialamt - wie neulich geschehen - in Sachen Blindengeld ein Mahnschreiben an eine wissentlich Blinde schickt, sie solle doch endlich den schriftlichen Antrag ausfüllen, den man ihr geschickt hat, dann ist es nötig, dass wir mit einem Anruf darauf aufmerksam machen, dass blinde Menschen keine Anträge ausfüllen können. - Und noch zahlreiche andere Beispiele gäbe es, um zu zeigen, wie gut es sein kann, wenn eine oder einer da ist, der sich schützend vor die behinderten Menschen stellt, für sie spricht und für sie eintritt. Diese eine oder dieser eine können wir sein. Sicher gibt es noch viele andere Möglichkeiten für uns, dass leidende Menschen das Wirken Gottes erfahren. Die Frage jedenfalls, wer gesündigt hat, wenn ein Mensch krank ist oder eine Behinder- ung hat, wird weder der Sache noch den Menschen gerecht und geht von einer Vorstellung aus, die schon zur Zeit, als Jesus über diese Erde ging, überholt war: „Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern“, sagt er von dem Blindgeborenen. Damals wie heute aber gilt: „Es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.“ Unser Herr, der uns heißt: „Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat“, der wird uns auch helfen und stark machen, dass wir die Werke Gottes an den Menschen auch wirken können. AMEN