Predigt zum Pfingstsonntag - 19.5.2013 Textlesung: 4. Mos. 11, 11 - 25 Und Mose sprach zu dem Herrn: Warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich kei- ne Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volks auf mich legst? Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast? Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Willst du aber doch so mit mir tun, so tö- te mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Un- glück sehen muss. Und der Herr sprach zu Mose: Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, so will ich hernieder kommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst. Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des Herrn und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte. Da kam der Herr hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die sieb- zig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hör- ten nicht auf. Liebe Gemeinde! Selten war eine biblische Geschichte so zeitgemäß! Moses Leiden, das uns hier so eindrücklich be- schrieben wird, trägt doch klar die Züge der heutigen Massenkrankheit: Depression. Hier ist einer von der Last, die Gott auf ihn legt, überfordert. Er möchte ja sicher seine Aufgaben erfüllen, er kann es aber nicht mehr. Er fühlt sich schwach, leer und...ausgebrannt. Und uns fällt dabei noch ein, wie diese Krankheit in unseren Tagen oft genannt wird: Burn-out. Wie ernst das alles für den ist, der darunter leidet, zeigen die Worte Moses, mit denen er Gottes Hilfe geradezu erzwingen will: „Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss.“ Hier ist einer wirklich am Ende. So kann es nicht weitergehen. Lieber tot als so weiterleben, weitermachen müssen. Jetzt werden manche sicher sagen: Aber bei Mose geht es doch um eine Leiden und um Lasten, die ihm Gott auferlegt hat. Sind Depression oder Burn-out heute nicht meist durch die Mitmenschen verursacht, etwa den Chef, die Vorgesetzte oder auch Kolleginnen oder Kollegen aus dem Betrieb, der Fabrik, der Werkstatt oder manchmal auch dem Verein, in dem wir tätig sind? Das ist sicher richtig. Und auch bei Mose sind ja die Volksgenossinnen und -genossen am Stress beteiligt, der ihn krank gemacht hat. Immer wieder haben sie gejammert und geklagt, genörgelt und sich bei ihm be- schwert: Es war ihnen langweilig auf der langen Wüstenwanderung, nachdem sie aus Ägypten ge- flohen waren. Es gab wenig Wasser. Kein Fleisch zu essen und jeden Tag nur Manna, vor dem sie sich langsam ekelten. Gerade hatten sie wieder bei Mose ihren Frust über die „Himmelsspeise“ ab- geladen. Darum sagt Mose hier zu Gott: „Warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volks auf mich legst? [...] Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer.“ Umgekehrt gibt es aber auch in unserer Zeit durchaus noch viele Menschen, die bei allem, was sie tragen müssen, auch Gott mitverantwortlich machen. Gewiss liegt es am Chef, der in derselben Zeit und für dasselbe Geld immer mehr verlangt. Aber warum lässt Gott das zu? Warum gebietet er dem Chef nicht auf irgendeine Weise Einhalt? Und warum hilft er nicht, dass wir uns wehren können. Und gewiss sind es die Kollegen, die uns immer die schlimmsten Arbeiten aufhalsen, über uns Witze machen, uns bei der Betriebsleitung anschwärzen und uns im Stich lassen, wenn wir sie brauchen. Aber warum greift Gott nicht ein, der doch uns himmlischer „Vater“ sein will. Der uns doch schon bei der Taufe versprochen hat, uns zu beschützen und zu segnen - und an den wir doch immer geglaubt haben. Was hat Mose damals getan? - Er ist zu Gott hingegangen und hat vor ihm geklagt: „Warum be- kümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volks auf mich legst?“ Und was tut Gott? - Er stellt ihm Menschen an die Seite, die mit Mose die Lasten tragen und die das auch können, weil Gott den gleichen Segnen auf sie legt, mit dem er Mose gesegnet hat: „Da kam der Herr hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten.“ Sind Sie schon einmal zu Gott gegangen mit ihrem Kummer, mit dem Leid, das Ihnen die Überfor- derung heute auferlegt? Haben Sie im Gebet schon einmal alles, was Sie belastet und Ihnen den Le- bensmut und die Lebensfreude nimmt vor Gott gebracht? Ja, werden manche sagen und ich will das gar nicht bezweifeln. Das aber will ich dazu sagen: Es sind ja oft jahrelange Entwicklungen, die am Ende dazu führen, dass wir innerlich ausbrennen. Man hat uns beharrlich immer wieder einen Sei- tenhieb verpasst, uns immer wieder klein gemacht, mit täglichen Nadelstichen gequält... Waren wir genauso beharrlich in unserem Gebet? Haben wir mit Gott überhaupt darüber gesprochen, ehe wir fast darunter zusammengebrochen sind? Dass Sie mich recht verstehen: Ich behaupte nicht, dass jede Depression, jeder Burn-out durch Be- ten verhindert werden könnte. Was ich behaupte ist aber dies: Das Gebet hilft. Gott hört uns, wenn wir die Hände falten und vor ihn bringen, was uns beschäftigt und er will und wird uns helfen! Nun ist aber auch das wahr: Gottes Mühlen mahlen langsam - und das wird in jedem Fall seine Gründe haben. Aber erfahrene, geübte Beter wissen auch das: Schon das Beten selbst schenkt uns viel. Es Gott gesagt zu haben, macht uns ruhiger, gibt Mut und oft auch Ideen, wie wir uns anders verhalten können, damit wir weitere Belastungen mildern oder ihnen entgehen. Das Gebet ist keine Einbahnstraße. Wir schließen uns damit auch an eine Kraftquelle an, die immer fließt und nie ver- siegt. Und aus dieser Kraft kommt uns dann auch eine andere Einstellung zu unserer Arbeit und zu den Menschen, die ausstrahlt und uns weniger verletzlich macht. Wer betet, ist mit Gott im Bund. Das merkt auch unsere Umgebung! Widersacher, wenn sie spüren, wir sind nicht allein, wir haben einen an unserer Seite, der uns stark macht und uns beisteht. Aber die Geschichte von Mose damals gibt noch einen wichtigen Hinweis, was Gott für uns tun kann und tun will, wenn wir unter den Lasten des Lebens und den für uns unerfüllbaren Anforde- rungen der Arbeit leiden. Wir lesen hier davon: „Und der Herr sprach zu Mose: Sammle mir sieb- zig Männer unter den Ältesten Israels [...], so will ich hernieder kommen [...]und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit [...]du nicht allein tragen musst.“ Jetzt fragen Sie sich gewiss, wer oder was diese „siebzig Älteste“ denn heute sein sollen? Ich denke dabei an die Mitchristen, ich denke an unsere Gemeinde, ich denke an unsere Kreise und Gruppen, zu denen wir zusammenkommen (Kreise und Gruppen der Gemeinde nennen!) und nicht zuletzt denke ich an unsere Gottesdienste. Das mag in unserer Gesellschaft ein wenig in Vergessenheit ge- raten sein, dass wir Christinnen und Christen eine Gemeinschaft sind, ja, eigentlich noch mehr: Wir sind Geschwister, Kinder des einen Vaters und Schwestern und Brüder Jesu Christi. Und gerade an Pfingsten und gerade mit der Geschichte, über die wir heute nachdenken, wollen wir uns auch da- ran erinnern lassen, dass wir alle mit demselben Geist beschenkt und begabt sind. Warum also sollten wir uns nicht - mehr als bisher - von unserem Leid und unseren Lasten erzäh- len? Warum sollten wir nicht darüber reden und uns darüber austauschen, wie wir damit umgehen können? Viele, die es schon einmal versucht haben, einem Mitchristen ihr Herz aufzutun, haben dabei große Hilfe erfahren, eine neue Sicht wurde ihnen eröffnet, Möglichkeiten der Veränderung kamen in den Blick und vielleicht half auch das Wissen, dass es anderen genauso ergangen ist wie uns - und wie sie herauskamen aus den belastenden Verhältnissen und der Depression. Aber hier ist es nicht anders als beim Gebet: Beharrlichkeit ist nötig! Und wir sollten damit anfan- gen, die Hilfe der anderen zu suchen, bevor wir ganz tief im Leid stecken und unter der Last auf unserer Schulter zusammengebrochen sind. Vertrauen wir Gott. Vertrauen wir seinem guten Geist, den er uns zu Pfingsten versprochen hat. Gott hält sein Versprechen. AMEN