Predigt zum Karfreitag - 29.3.2013 Textlesung: Mt. 27, 33 - 50 Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er’s schmeckte, wollte er nicht trinken. Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. Und sie saßen da und bewachten ihn. Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und spra- chen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe! Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heili- gen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbe- ben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen! Liebe Gemeinde! Über alles, was wir eben gehört haben, wollen wir nicht nachdenken. Das ist so entsetzlich, so trau- rig und rührt uns so an. Auch kennen wir das Geschehen um den schrecklichen Tod Jesu für uns. Es ist ja mindestens ebenso bekannt, wie das des Heiligen Abends. Allerdings hören wir die Wei- hnachtsgeschichte gern, so gern, dass wir sie in jedem Jahr wieder lesen und bedenken. Aber dieser Karfreitag! Das ist ein so schwarzer Tag, schwarz wie die Farbe der Vorhänge heute an Altar und Kanzel. Was da auf Golgatha geschieht, ist so furchtbar! Gewiss kommen wegen der Geschichte, die zu diesem Tag gehört, auch viele Christen heute nicht in den Gottesdienst. - Jetzt aber haben wir es hinter uns gebracht, haben wieder einmal im Text zu dieser Predigt von der Kreuzigung unseres Herrn gehört und es soll jetzt genug sein mit den grausamen Einzelheiten. Aber ich will wenigstens über einen Satz, den wir eben gelesen haben, sprechen. Er ist mir heute geradezu ins Auge gesprungen und ich weiß inzwischen auch warum. Ich meine diesen Satz: „Hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz!“ Fasst dieser Satz nicht eigentlich alles zusammen, was Menschen damals unter dem Kreuz bewegt hat und was uns heute bewegt, wenn wir die Karfreitagsgeschichte hören? Warum hilft Jesus sich nicht selbst? Warum nutzt er, der Gottes Sohn ist, nicht seine Macht, die er doch in vielen Zeichen und Wundern bewiesen hat? Warum steigt er nicht herab vom Kreuz? Bei diesen Fragen denke ich an die Juden damals, die an seinem Kreuzweg gestanden haben und dann auf Golgatha mit ansehen mussten, wie ihn die römischen Soldaten ans Holz genagelt haben. Da waren gewiss viele dabei, die in den Jahren, Monaten oder Wochen zuvor von Jesus geheilt worden waren oder eine seiner Wundertaten miterlebt hatten. Die haben bestimmt auch gefragt: Warum steigt er nicht herab vom Kreuz. Ja, sicher haben sie das geradezu erwartet! Und ich denke an die Angehörigen vieler anderer Religionen und besonders an die Muslime. Für sie ist der Gedanke, dass der Sohn Gottes unschuldig am Kreuz stirbt, unmöglich auch nur zu denken. Ja, der Gedanke ist für sie geradezu gotteslästerlich und darum erweckt er Abscheu und stellt das Christentum für sie auf die gleiche Stufe wie das finsterste Heidentum. Und so fragen auch sie, wenn sie sich überhaupt mit diesem Jesus beschäftigen: Warum steigt er nicht herab vom Kreuz? Mir fallen aber auch viele Menschen ein, die sich zu Jesus Christus bekennen, die im Grunde auch nicht begreifen, warum er für uns hat sterben müssen. Es sind viele Theologen darunter, Profes- soren sogar, die sagen: Gott kann doch nicht seinen eigenen Sohn für die Sünde der Welt und der Menschen opfern. Wenn Gott selbst sich doch in Jesus Christus in die Welt begeben hat, dann würde er sich ja selbst opfern. Das aber wäre absurd. Das führt auch sie zu der Frage: Warum steigt er nicht herab vom Kreuz? Und ich denke auch an uns, die wir immer wieder am Geschehen des Karfreitags mitleiden. Wir haben unsere Schwierigkeiten damit, auch nur einmal im Jahr auf diese grausame Geschichte zu hören. Vielleicht haben wir heute ja auch selbst überlegt - bevor wir uns zu diesem Gottesdienst aufgemacht haben - ob wir uns das in diesem Jahr wieder antun wollen. Und jetzt fragen viele von uns auch: Warum musste Jesus so leiden und so schändlich sterben? Warum hilft er, der doch Gottes Sohn ist, sich nicht selbst? Warum steigt er nicht herab vom Kreuz? Die Antworten, wie sie Menschen geben, die darüber nachgedacht haben, sind vielfältig. Die einen sagen: Jesus hätte gar nicht vom Kreuz herabsteigen können, weil er nicht der Sohn Gottes war. Damit ist für sie der Beweis erbracht, dass der ganze christliche Glaube auf einer Lüge beruht. An- dere meinen: Es ist Jesu Liebe zu den Menschen, die sich am Kreuz vollendet, denn wer im Sinne Jesu liebt, der scheut auch das Leid nicht. Er hält sich nicht aus ihm heraus, sondern nimmt an ihm teil. In einer Welt, in der es Not und Elend gibt, führt die Liebe notwendig ins Leid hinein. Jesus hält hier stand. Er steigt nicht vom Kreuz herab! Wieder andere sagen: Jesus ist am Kreuz das Opfer für unsere und die Sünden der Welt geworden, das erbracht werden musste, um Gott zu versöhnen und uns vor ihm gerecht zu machen. Was soll nun ich sagen? Ich könnte einfach dem beipflichten, was eben die dritte Antwort war. So steht es ungezählte Male in den Evangelien geschrieben, so durchzieht es alle Briefe des Paulus wie ein roter Faden und davon singen fast sämtliche Passionslieder (und nicht nur diese). Ich will nur eines dieser Lieder zitieren: „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld der Welt und ihrer Kinder; es geht und büßet in Geduld die Sünden aller Sünder.“ (EG 83,1) Ich neige ausdrücklich dieser Deutung des Kreuzes Jesu zu! Er steigt nicht vom Kreuz, weil er die Sünde der Welt und der Menschen stellvertretend für uns alle trägt. Er ist das Opfer für unsere Schuld, das uns Gottes Vergebung verdient. Aber ganz so einfach will ich es mir nun doch nicht machen! Ich will auch ein paar Worte zu denen sagen, die gewiss nach langem Nachdenken und immer neuer Prüfung der biblischen Texte zu an- deren Ergebnissen gekommen sind. Aber - und das hört sich jetzt seltsam an - gerade das lange Na- chdenken ist es doch, das zu anderen, immer neuen Deutungen führt! Aber der Christenglaube beruht nie auf langem Nachdenken, sondern auf einem Wort oder einem Geschehen, das unser Herz anrührt - vielleicht in einem einzigen Augenblick. Aber ich will das, was ich da behaupte und was gewiss von vielen Christen und namentlich auch von manchen Theologen, als ziemlich ketzerisch beurteilt wird, noch ein wenig erläutern: Für die Juden damals, die an Jesu Kreuzweg gestanden haben und dann auf Golgatha seine Kreuzigung miterlebt haben, war das gewiss nur im ersten Augenblick ein Rätsel, warum Jesus am Kreuz geblieben und in den Tod gegangen ist. Bald werden sie sich an den jährlich vom Hohen- priester am Versöhnungstag wiederholten Brauch erinnert haben, einer männlichen Ziege - dem sprichwörtlichen „Sündenbock“ - symbolisch die Sünden des ganze Volkes aufzuladen und ihn in die Wüste zu jagen. Vielleicht haben sie auch an die Worte des Propheten Jesaja gedacht, der viele hundert Jahre zuvor über einen nicht näher benannten „Gottesknecht“ diese Worte geschrieben hat: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und aum unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes.53,4f) Ganz sicher aber wird ihnen das - ohne lange zu überlegen - aufgegangen sein, dass dieser Mann am Kreuz der ist, der von Gott ge- sandt, stellvertretend für sie leidet und stirbt. Den Angehörigen anderer Religionen, besonders den Muslimen, obwohl ihnen der Opfergedanke nicht fremd ist, wird es wohl nie einleuchten, dass wir von Gottes Sohn bekennen, dass er sich selbst für uns ins Leid begeben und am Kreuz geopfert hat. Hier wird auch das längste Nachdenken nicht helfen. Aber die vielen Menschen, die sich zu Jesus Christus bekennen, aber nicht begreifen, warum er für uns hat sterben müssen, die könnten in Lebenssituationen kommen, in denen alle kluge Theologie, alle gelehrte Schriftauslegung ihnen nicht mehr beantworten kann, was denn Jesu Kreuzestod bedeutet, für sie bedeutet, wenn nicht die Vergebung ihrer Sünden und das Sühnopfer für all ihre Schuld. Vielleicht muss ein Mensch erst sehr tief gefallen und ausweglos in die Sünde verstrickt sein, um zu begreifen: Der da am Kreuz hängt, ist meine Rettung. Er allein kann mich erlösen. Er hat genug für mich getan. Durch ihn bin ich gerecht vor Gott. Überlegungen, noch so intensives Nachdenken, führen niemanden zu dieser Erkenntnis. (vgl. 1.Kor.1,18-23) Zuletzt denke ich auch an uns, die wir immer wieder am Geschehen des Karfreitags mitleiden und auch oft schon gefragt haben: Warum musste Jesus ins Leid gehen und am Kreuz sterben? Aber es ist sicher kein Zufall, dass wir gerade am Karfreitag auch das Mahl unseres Herrn feiern. Und bei diesem Mahl, bei dem wir uns ja immer an Jesu Leiden und Sterben erinnern, ist uns der Gedanke daran, dass Jesus sich für unsere Sünden geopfert hat, gar nicht mehr so fremd. Wir hören es gern, wenn uns bei der Austeilung von Brot und Wein einer zuspricht: „Christi Leib für dich gegeben. Christi Blut für dich vergossen.“ Wir empfinden das dann auch tief in unserem Herzen, dass wirk- lich alle Schuld, all das Böse, was wir gesagt und getan haben, von uns abfällt. Da ist es uns keine Frage mehr, warum unser Herr ans Kreuz gehen musste - ganz ohne darüber nachzudenken. Und es würde uns gewiss etwas fehlen, wenn uns die Abendmahlsfeier die Vergebung der Sünden durch Christi Opfer am Kreuz nicht mehr schenken würde. Liebe Gemeinde, ich will mit dem Bekenntnis des Hauptmanns unter dem Kreuz schließen, der, na- chdem er Jesu Sterben miterlebt hat, sagt: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“ Und ich füge hinzu: Dieser Sohn Gottes starb als ein Opfer für unsere Sünden! AMEN