Predigt zum Sonntag „Judika“ - 17.3.2013 Textlesung: Jh. 11, 47 - 53 Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen. Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute. Einer aber von ihnen, Kaiphas, der in dem Jahr Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts; ihr bedenkt auch nicht: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe. Das sagte er aber nicht von sich aus, sondern weil er in dem Jahr Hoherpriester war, weissagte er. Denn Jesus sollte ster- ben für das Volk, und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen. Von dem Tage an war es für sie beschlossen, dass sie ihn töteten. Liebe Gemeinde! In den Versen, die wir vor den eben gehörten lesen, steht, warum die Oberen der Juden fürchten mussten, dass Jesus ihnen den Rang ablaufen könnte: Dort nämlich wird die Auferweckung des Lazarus berichtet. Ein Toter, ja, einer der schon einige Tage tot war, kehrt ins Leben zurück! Das ist wirklich ein starkes Zeichen gewesen, ein Wunder, das geeignet war, die Menschen davon zu überzeugen, dass Jesus als Sohn des lebendigen Gottes auch Macht über den Tod hat. Und vor der Auferweckung des Lazarus hatte Jesus selbst auch noch diese Worte gesprochen: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“ (Jh. 11,25,f) Die Hohenpriester und Phar- isäer hatten also allen Grund, Jesu Macht über die Menschen zu fürchten. Wir verstehen, warum sie so sprechen: „Dieser Mensch tut viele Zeichen. Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute.“ Aber verstehen wir das wirklich! Oder anders gefragt: Dürfen wir das verstehen? Warum haben sie sich denn nicht gefreut? Lazarus, der tot war, wurde seinen Schwestern, Maria und Marta wiedergeschenkt und damit der Mensch, der in der damaligen Männerwelt wohl auch ihr Ernährer war. Gewiss war die Freude bei allen, die es gesehen hatten und davon erfuhren, groß. Viele glaubten an Jesus, wie wir hören. Warum nicht auch die Männer vom Hohen Rat? Eine naive Frage, werden Sie sagen. Das ist doch ganz klar: Weil sie um den eigenen Einfluss, um die eigene Macht fürchteten. Weil sie Jesus als Konkurrenten um die Gunst der Römer und ihres eigenen Volkes sahen. Deshalb! Liebe Gemeinde, es wird Sie nicht wundern, wenn ich hier einwerfe: Das weiß ich auch. Selbstverständlich hatten die Hohenpriester und Pharisäer die begründete Furcht, dass sie durch Je- sus, der solche großen Taten vollbrachte, an Ansehen im Volk verlieren. Trotzdem bleibe ich bei meiner Frage: Warum können Sie sich nicht mitfreuen, wenn einer kommt, der Macht über die Krankheit, die Behinderung, und sogar den Tod hat? Anders gefragt: Wäre das nicht ein Anlass gewesen, über den eigenen Schatten zu springen und über das eigene kleinliche Denken hinauszu- kommen? Wie diese Geschichte des Neids und des engherzigen Denkens damals weiterging, wissen wir. Der- selbe Jesus, der hier seine Macht über den Tod gezeigt hat, geht selbst in Leiden und Tod. Und er tut das freiwillig, um alle Menschen - auch uns - vom Verhängnis des Todes zu erlösen. Aber wir wollen jetzt das Damals verlassen und schauen, wie diese Geschichte heute, in unserer Zeit weitergeht. Gibt es den Neid, das kleinkarierte Denken auch heute noch? Auch im Religiösen? Jetzt werden Sie antworten: Aber gewiss! Dann werden Sie vielleicht den Manager in einem großen Unternehmen anführen, der weiß Gott schon genug verdient, der sich aber neulich öffentlich darüber aufgeregt hat, dass ein anderen Manager noch 100.000 € mehr im Jahr hat. Aber es geht ja nicht nur um Geld. Vielleicht fällt Ihnen dazu auch ein Politiker ein - irgendeiner...die Auswahl ist groß! - bei dem Sie immer wieder einmal gedacht haben, der will doch nicht, dass es den Menschen im Land gut geht, sondern dass er selbst gut dasteht und wiedergewählt wird. Würde er sonst die wirklich interessante Idee der Oposition oder auch die richtige Anregung aus der eigenen Partei derart abwerten? Und haben wir nicht manchmal schon so gedacht: Wenn nun dieser Politiker die Idee zuerst gehabt hätte, wie würde er dann wohl über sie denken und reden? Und wenn sie gar seinen Ruhm vermehren und seine Position festigen würde, wie würde er sie dann preisen! Vielleicht aber hätten Sie sogar ein Beispiel für Neid und Engherzigkeit, in dem Sie selbst eine Rolle gespielt haben oder noch spielen? Der Ärger vor Jahren, als Ihnen ein anderer den Posten in der Firma weggeschnappt hat. Wobei Sie vielleicht zugeben müssen, dass der damalige Konkurrent seine Sache nicht schlecht macht. Oder der Freund oder die Kameradin im Verein, die immer wied- er bei den anderen mit ihren Vorschlägen besser ankommt als Sie. Schließlich fällt Ihnen vielleicht auch noch ein, dass Ihre Kinder es nicht bis zum Abitur gebracht haben, während die Kinder vom Nachbarn sogar studiert haben. Alle diese Dinge, an denen wir oder andere sich ärgern, bei denen wir uns zurückgesetzt und nicht gebührend berücksichtig fühlen, bei denen wir oder andere um Macht, Ansehen oder Einfluss fürchten, sind doch eigentlich Anlässe, sich zu freuen, mitzufreuen mit anderen und darüber, dass sie gut sind, hilfreich und den Menschen dienen. Aber es ist nicht weit her mit dieser Freude! Ja, aber gibt’s das auch im religiösen Bereich? Besonders diese Frage ist es ja, die von der Reaktion des Hohen Rats auf die Auferweckung des Lazarus gestellt wird, von der wir vorhin gelesen haben. Dazu will ich Ihnen jetzt drei ganz kleine aber deutliche Geschichten erzählen: - Ein Kirchenvorsteher aus einer Kirchengemeinde unseres Dekanats möchte unbedingt in die Landessynode gewählt werden. Es gibt aber im Dekanat noch einen Mitbewerber, der - das ist auch unserem Kirchenvorsteher deutlich - viel besser geeignet wäre und auch die nötige Zeit hätte, das Amt auszufüllen. Trotzdem: Es werden Gerüchte über den Mitbewerber in die Welt gesetzt, eigene Qualitäten herausgestrichen und die des anderen schlecht gemacht. Am Ende aber wird der andere doch zum Synodalen gewählt. Eigentlich gut für das Dekanat. Nur der Kirchenvorsteher, der unter- legen ist, kann das nicht sehen und kann sich schon gar nicht für das Dekanat freuen. - Eine ältere Mitarbeiterin in der Kirchengemeinde hat schon lange darüber geklagt, dass sie die Arbeit im Seniorenkreis nicht mehr alleine schafft. Endlich findet sich eine jüngere Frau, die bereit ist, ihr in der Arbeit zu helfen. Und wirklich: diese Frau hat viele gute Gaben, die sie in die Arbeit einbringt. Die Ältere hätte allen Grund zufrieden zu sein. Sie ist es aber nicht. Die Senioren aus dem Kreis entdecken nämlich mehr und mehr ihr Herz für die Jüngere. Eigentlich gut für die Arbe- it! Nur die Ältere kann das nicht so sehen und kann sich nicht daran freuen. - Ein Pfarrer hat - gegen seine langjährige Gewohnheit - in der Zeit eigener Krankheit einen Kol- legen um Vertretung im Gottesdienst gebeten. Der Kollege ist ein guter Prediger. Die Leute sind begeistert und es spricht sich herum, dass der Vertreter verständlicher und interessanter predigt. Die Kirche ist am Sonntag deutlich voller. Eigentlich gut für die Sache der Verkündigung. Nur der Pfarrer der Gemeinde kann das nicht so sehen und sich nicht darüber freuen. Liebe Gemeinde, ich denke, die Frage, ob es solchen Neid, solche Engherzigkeit auch im kirchli- chen, religiösen Bereich gibt, ist beantwortet. Dahinter steht oft die Angst, Macht, Ansehen oder Einfluss bei den Menschen zu verlieren. Und wenn wir ehrlich sind, haben wir auch Verständnis für solches Denken und Verhalten, mehr oder weniger, denn wir kennen es ja auch von uns selbst. Genau darum waren uns ja auch schon die Gedanken der jüdischen Oberen damals nicht fremd, wenn wir von ihnen hören: „Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen. Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute.“ Diese Gedanken waren und sind es, die unseren Herrn ans Kreuz gebracht haben und bringen. So aber war und ist es der Plan Gottes, uns zu erlösen: „Jesus sollte sterben für das Volk, und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen.“ Ich wünsche uns von Herzen, dass wir Neid und Engherzigkeit ablegen können und durch die Aus- sicht auf das Ewige Leben, das uns Jesus Christus verdient hat, zur Freude gelangen. Gott schenke es uns, dass uns diese Freude dann zur Mitfreude führt mit allen, die sich in der Welt, in der Kirche und in unserer Gemeinde mit ihrer Zeit, ihren guten Gaben und ihrer Hilfe für andere Menschen einsetzen - ohne Angst um ihren eigenen Einfluss und ihr eigenes Ansehen. AMEN