Predigt zum 2. Sonnt. nach Trinitatis - 17.6.2012 Textlesung: 1. Kor. 14, 1 - 3. 20 - 25 Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede! Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen. Wer aber prophetisch re- det, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen. Im Gesetz steht geschrieben (Jesaja 28,11-12): „Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, und sie werden mich auch so nicht hören, spricht der Herr.“ Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen. Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen? Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Un- kundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; was in seinem Herzen ver- borgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist. Liebe Gemeinde! Aufs erste Hören scheinen diese Verse nun wirklich nichts mit uns zu tun zu haben. Es geht um die Glossolalie oder Zungenrede, die in Korinth ganz offenbar viel geübt und hoch geschätzt war. Dabei stießen die Zungenredner unartikulierte Laute aus, die ihnen - wie man behauptete - der Heilige Geist eingab. Wenn wir die Worte des Paulus aufmerksam hören, dann können wir es spüren: Er kann mit dieser Art der Rede wenig anfangen. Er zieht ihr die prophetische, also die verständliche Verkündigung der Botschaft zur „Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung“ vor. Und er belegt sein Urteil über die Zungenrede und die prophetische Rede mit einem überzeugenden Beispiel, das ich einmal in unsere Gemeinde und in diesen Gottesdienst übertragen möchte: Wenn heute ein Kirchenvorsteher oder ein anderes Gemeindeglied die Schriftlesung in einem absolut unverständlichen Gelalle vorgetragen hätte, dann wäre das für uns andere gewiss sehr befremdlich gewesen und wir hätten auch bezweifelt, dass der Heilige Geist hinter solchen Lauten steht. Da es aber eine ganz normale Lesung war, so wie wir es gewohnt sind und eine, die wir auch verstanden haben, waren wir damit wie immer zufrieden und würden auch sicher zustimmen, wenn einer dabei von prophetischer Rede und von Gottes Wort spricht, hinter dem Gottes Heiliger Geist steht und wirkt. Wie gesagt: Die Glossolalie scheint zunächst nichts mit uns zu tun zu haben. Sie ist bei uns Chris- ten evangelischen Bekenntnisses unbekannt. Aber wenn wir ein wenig tiefer blicken, dann erkennen wir hinter der Zungenrede etwas, das sich auch ganz anders äußern kann als über die Zunge und die Sprache. Und dann geht es uns doch an, sogar sehr! Ja, es kommt uns ganz nah, so nah, dass es uns vielleicht auch unangenehm wird... Aber ich will nicht weiter in unverständlichen Worten und in Rätseln sprechen, sondern klar und deutlich: Die Zungenrede ist eine Sprache, die nur der selbst versteht, der sie spricht und - wenn es wahr ist! - der Heilige Geist. Einer der in für andere unverständlichen Lauten lallt, der bleibt ganz bei sich selbst. Kein anderer Mensch hat also etwas davon. Niemand begreift das, was er sagt. Niemand wird dadurch ermahnt, erbaut oder getröstet. Und schnell wird solch eine Rede, ein solches Gelalle auch zu einer exotischen Vorführung, sozusagen zu einer Schau für die Ohren! Wir können also sagen: Das innerste Wesen der Zungenrede, ihr Kern ist eigentlich, dass sie Dinge, die mit Gottes Wort zu tun haben sollen, unverständlich ausdrückt und nur für sich selbst spricht. Für die prophetische Rede trifft genau das Gegenteil zu: Hier bemüht sich der Redner, der Verkündiger oder Prediger darum, dass er verständlich spricht, so dass andere etwas davon haben, sodass sie hören und verstehen. Und dabei bleibt der, der redet, eben nicht bei sich selbst, sondern wendet sich den Hörern, also den anderen Menschen zu und spricht zu ihnen und für sie - und „für sie“ auch in dem Sinn, dass ihr Glaube geweckt wird, sie überzeugt werden, froh werden über die Botschaft, erbaut, getröstet, angeregt und begeistert, je nachdem. Liebe Gemeinde, jetzt werden Sie sagen, ja, so ist es und dann werden Sie fragen: Aber wo geht uns das denn nah, so nah sogar, dass es uns unangenehm werden kann? Und das habe ich doch vorhin behauptet! - Dazu komme ich jetzt, denn die Sache mit der Zungenrede und der prophetischen Rede spiegelt auch ein Verhalten wider, das wir leider sehr oft als Christinnen und Christen an den Tag legen - und das sehr beharrlich und meist im vollen Bewusstsein, dass es eigentlich nicht so sein sollte. Aber ich will jetzt auch hier deutlich, klar und verständlich sprechen: Unser Glaube ist nach unserer Meinung oft genug - wie die Zungenrede - nur etwas für uns selbst. Wenn wir die Dinge des Glaubens nur verstehen, dann genügt uns das. Wenn wir den Glauben nur haben, dann ist es gut. Er ist nämlich, wie wir gern betonen, Privatsache. Und selbstverständlich sehen wir im Hintergrund dieses Glaubens auch - wie der Zungenredner! - den Heiligen Geist am Werk. Aber - und jetzt werde ich ganz deutlich! - der Glaube ist nicht nur etwas für uns selbst und es ist eben nicht gut, wenn nur wir ihn haben. Und schließlich dürfen wir für dieses Denken auch nicht den Heiligen Geist in Anspruch nehmen, der nämlich will nicht, dass wir ihn in unserem Herzen einsperren, sodass kein anderer etwas von ihm hört, sieht und versteht. Der Heilige Geist will vielmehr wie die prophetische Rede und durch sie bei den Menschen in unserer Nähe den Glauben wecken, sie beflügeln, ermutigen, ihnen Freude machen und will dann, dass diese Menschen den Glauben wieder weitertragen zu anderen. Der Heilige Geist unterstützt keinen Glauben als Privatsa- che, er will Gemeinschaft bilden, Gemeinde von Christen, die von ihm angerührt zu neuen Mensch- en werden, die auf Jesus Christus vertrauen und Gott, seinen und unseren Vater, loben. Stellen Sie sich doch nur einmal vor, die Jünger hätten an Pfingsten, als Gottes Geist über sie gekommen ist, alle nur etwas vor sich hin gelallt und unartikulierte Laute ausgestoßen. Stellen Sie sich vor, die Kirchenleute späterer Zeiten hätten auch nur in Zungen geredet... Aber das können und müssen wir uns eigentlich gar nicht vorstellen, denn dann hätte es später weder Kirchenleute geg- eben noch überhaupt Christen, denn schon am ersten Pfingstfest wäre die Sache Gottes in der Welt, der Glaube an Jesus Christus gestorben! Nun haben die ersten Jünger aber durch die Wirkung des Heiligen Geistes öffentlich (Apg.2,1ff) von ihrem Glauben gepredigt - und das nicht in unverständ- lichen Worten, sondern in vielen unterschiedlichen Sprachen, sodass sie alle anderen Menschen an- gesprochen haben. Und sie haben diese Menschen erreicht und die Sache Gottes und der Glaube an Jesus Christus gingen weiter und bildeten Gemeinden und die Christen wurden mehr und mehr und das Wort Gottes wurde verbreitet bis an die Enden der Erde, bis heute, bis zu uns... Ich denke, jetzt ist klar, was unser Auftrag in dieser Zeit ist. Unser Glaube ist keine Privatsache! Wir sollen in verständlichen Worten von ihm reden vor unseren Kindern, unseren Enkeln, unseren Ehegatten, Freunden, Kollegen und Nachbarn und überhaupt vor allen Menschen, mit denen uns das Schicksal - und vielleicht Gottes Heiliger Geist - auf Dauer oder für eine Zeit zusammenführt - und wäre es nur für die Stunde im Wartezimmer des Arztes oder beim „zufälligen“ Gespräch im Supermarkt. Es ist das Wesen unseres Glaubens, dass er dadurch weitergegeben wird, dass eine oder einer davon erzählt, was sie mit dem Glauben und mit Jesus Christus erlebt haben. So ist der Glaube der Christen vor bald 2000 Jahren entstanden. So wurde er weitervermittelt an die nächsten Generationen, über die Jahrzehnte und Jahrhunderte...bis in unsere Zeit. Und unsere Zeit braucht diesen Glauben und sie braucht die Christen, die von ihrem Glauben - in deutlicher, prophetischer Rede - sprechen und für Jesus Christus zeugen - und sie braucht dazu gerade uns! Vergessen wir dabei nicht, dass wir, wenn wir prophetisch reden, die Verheißung des Heiligen Geistes haben! Wenn Gott will, wird er selbst dafür sorgen, dass sein Wort anrühren und überzeugen kann „den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung“. AMEN