Predigt zum Sonntag „Estomihi“ - 19.2.2012 Textlesung: Am. 5, 21 - 24 Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Liebe Gemeinde! Wenn wir das lesen, dann müssen wir sagen: Hier passt ja eigentlich überhaupt nichts zu unserer Art, wie wir Gottesdienst feiern und unseren Gott verehren! Brandopfer, Speisopfer, fette Dankop- fer... Das alles gibt es in unseren Tagen nicht mehr. Auch sind unsere Lieder nun wirklich kein Ge- plärr und das Harfenspiel ist in unseren Kirchen eher selten zu hören. Und trotzdem wissen wir ganz genau, was gemeint ist und dass diese zunächst so fremden Dinge durchaus mit uns zu tun ha- ben. Umso mehr werden wir das begreifen, wenn wir die Worte des Propheten Amos jetzt einmal in un- sere Sprache und unsere Zeit übertragen. Wir wollen das ganz frei tun, vielleicht sogar ein wenig anstößig... Aber dabei wird dann schon deutlich, wie sehr diese Worte auch mit uns reden: Das lässt Gott uns durch den Propheten ausrichten: Es ist mir zu wenig, wenn ihr mir an Sonn- und Feiertagen einmal eine Stunde schenkt! Es ist mir zu wenig, wenn ihr bei diesen Gelegenheiten einmal als meine Gemeinde zusammenkommt. Und wenn ihr dann auch etwas in den Klingelbeutel werft oder auf den Teller legt, so ist mir das nicht genug und mir gefällt nicht, wie ihr euch von meinem Anspruch auf euer ganzes Leben mit ein paar Münzen freikaufen wollt. Auch wenn ihr mir dann fromme Lieder singt und die Orgel zu meinem Lob braust, so erfreut mich das nicht. Wenn ihr Liebe zu euren Nächsten habt und wenn ihr das Recht eurer Mitmenschen achtet und ver- teidigt, daran habe ich Freude. Die Gerechtigkeit gegenüber jedermann soll euer ganzes Leben, eure Arbeit und eure freie Zeit bestimmen. Ich denke, ich habe nicht zu viel versprochen: Das war sehr frei übertragen und anstößig war es auch. Aber es war auch nötig, wie ich glaube. Und ich will, um das deutlich zu machen, noch ein paar Gedanken anhängen, die ich nicht alle in dieser Übertragung der Prophetenworte habe unter- bringen können. Es geht Amos besonders um eins - und auch das will ich für uns heute sagen: Der Gottesdienst am Sonntag und unser Alltag dürfen nicht auseinanderfallen, so als hätte das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Tatsächlich aber ist es doch so: Es ist manchmal schwer zu glauben, dass der Nachbar, der vielleicht am letzten Sonntag neben uns in der Kirche gesessen hat, derselbe Mensch und Christ sein soll, den wir in der Woche erleben, wie er mit seiner Frau umspringt oder wie er über Ausländer redet. Umgekehrt haben wir gewiss auch schon oft gedacht: Ist die Frau, die wir heute im Gottesdienst gesehen haben, wie sie inbrünstig mitbetet, fröhlich mitsingt und aufmerksam auf die Predigt hört wirklich dieselbe, die uns neulich beim Kaufmann aufgefallen ist, weil sie sich an der Kasse vorge- drängelt und dann auch noch eine Kundin und die Kassiererin beschimpft hat? Bevor der Eindruck entsteht, wir selbst könnten hier gar nicht gemeint sein, noch ein drittes Bei- spiel: Hat Sie das nicht auch schon manchesmal gewundert, wie gut wir zwischen Sonn- und All- tag, Kirche und Welt und zwischen öffentlich und privat trennen können? Hier im Gottesdienst darf jeder wissen, dass wir Christen sind, hier macht uns das keine Probleme, über Gott und Jesus Chris- tus nachzudenken. Ja, wenn das die Ordnung unserer Gottesdienste hergeben würde, dann könnten wir hier sogar über Gott und den Glauben sprechen. Draußen, im Alltag aber, gilt alles, was mit Glaubensdingen zusammenhängt, als sehr persönlich und geht niemanden etwas an. Und ich muss für mich selbst zugeben, dass mir schon oft nachdem ich am Sonntag Kirche gehalten habe, solche Gedanken kamen: Der Gottesdienst ist zu Ende, jetzt beginnt wieder das Leben in der anderen, der richtigen Welt. Liebe Gemeinde, genau das möchte Amos uns vermitteln: Es ist ein und dieselbe Welt hier in der Kirche und draußen im Alltag. Es ist derselbe Gott, dessen Gebote hier und dort gelten und es ist derselbe Jesus Christus, der dort wie hier der Herr ist und uns erlöst hat. Aber der Prophet wäre noch nicht fertig mit uns, er wollte damals und heute noch etwas anderes ansprechen, das hat mit dem Opfern zu tun: Zu seiner Zeit wurden die Brand- und Speisopfer gern missverstanden als Mittel, mit denen man sich Glück und Wohlstand erkaufen konnte. Und die Dankopfer waren eigentlich gar keine Gaben, um sich bei Gott zu bedanken. Nein, auch wenn die Menschen solche Opfer gegeben haben, schielten sie schon wieder nach weiteren Geschenken Got- tes! Im Grunde war es also ein Geschäft: Man ging in den Tempel, gab ein kleineres oder größeres Opfer und erwartete dann Gottes angemessene Gegenleistung. Sicher denken Sie jetzt, dass ich diese „Geschäftsbeziehung“ doch wohl nicht auch in unsere Ge- genwart übertragen will! So etwas liegt uns doch fern! Ich denke da an eine Frau, die neulich gesagt gedacht und laut gesagt hat: „Irgendwie läuft in letzter Zeit alles schief in meinem Leben. Ich glaube, ich muss mal wieder in die Kirche gehen; da habe ich mich wirklich lange nicht mehr sehen lassen.“ - Ist das nicht auch ein Opfer, das die Frau mit ihrem Kirchgang geben will? Und wenn sie dann gar noch eine größere Kollekte auf den Teller tut, ist dann nicht das „Geschäft“ - wenigstens auf ihrer Seite - abgeschlossen? Aber das gibt es auch sozusagen umgekehrt: Da fällt mir ein älterer Mann ein, der einmal so ge- sprochen hat: „Da spende ich jeden Monat für ein Kinderheim in Tansania und zweimal im Jahr für Brot für die Welt...und gar nicht so wenig, aber gesundheitlich geht es mir immer schlechter. Manchmal frage ich mich, ob Gott eigentlich sieht, was ich da tue?“ - Wenn man das hört, könnte man wirklich fragen: Für wen gibt der Mann eigentlich seine Spenden? Für das Kinderheim? Für Brot für die Welt? Oder nicht doch für sich selbst? Und noch viele Beispiele gäbe es und jeder von uns könnte einige beitragen, denen dasselbe „ge- schäftliche“ Denken zugrunde liegt: Wenn wir meinen, dass wir das Unglück, das uns betroffen hat, doch „wirklich nicht verdient“ haben! Wenn wir rätseln, warum gerade wir von Arbeitslosigkeit betroffen sind, wir, die doch versuchen christlich zu leben. Und wenn uns der Gedanke beschleicht, dass es doch sehr ungerecht war, wenn Gott ausgerechnet uns guten Kirchgängern dieses oder jenes Leid geschickt hat. Liebe Gemeinde, was Amos mit alledem sagen möchte, ist dies - und es ist schon schwierig anzu- hören und noch schwerer zu akzeptieren. Aber in seiner Zeit hat er es ganz klar ausgesprochen: Eu- er Umgang mit Gott ist so, wie die Völker ringsum mit ihren Götzen umgehen. Wenn ihr etwas braucht, dann geht ihr an euren Festtagen zu Gott, werft ihm ein Opfer hin, ein paar Münzen... An- sonsten aber spielt er in eurem Leben, im Umgang mit euren Mitmenschen, in eurem Reden und Denken und darum auch in eurem Handeln keine besondere Rolle. Gottes Liebe zu euch gebt ihr nicht weiter. Seinen Bund mit euch haltet ihr nicht. Seine Gerechtigkeit gilt nicht in eurer Welt. Dem aber setzt Amos nun entgegen, was Gott von seinen Menschen haben will: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ Und so hatten wir das für uns und unsere Zeit gehört: „Wenn ihr Liebe zu euren Nächsten habt und wenn ihr das Recht eurer Mitmenschen achtet und verteidigt, daran habe ich Freude. Die Gerechtigkeit gegenüber je- dermann soll euer ganzes Leben, eure Arbeit und eure freie Zeit bestimmen.“ Gottes Gesetz, seine Gebote gelten immer und überall. Sie zu erfüllen gibt uns keinen Anspruch auf Gottes Gaben oder auf irgendeinen Lohn. Gott schenkt uns auch nicht, weil wir uns fromm, recht- schaffen und gut verhalten haben. Und er straft auch nicht, wenn wir falsch leben und handeln und Dinge tun, die ihm nicht gefallen. Es sind Götzen, mit denen Menschen Geschäfte machen wollen. Uns kommt Gottes Liebe immer entgegen. Sie ist zuerst da, bevor wir sie noch zu uns ziehen wol- len und sie ist alle Morgen neu. Darum ist es auch ganz selbstverständlich, dass wir unseren Mit- menschen mit der gleichen Liebe begegnen, die Gott für uns hegt. Warum sollte sie eines Lohnes wert sein? Dankbarkeit kann unsere einzige Antwort sein! Unsere Liebe zum Nächsten wird immer auch sein Recht suchen und dafür eintreten, dass ihm Gerechtigkeit widerfährt, so wie Gott uns ge- genüber gerecht ist. Als Christen wissen wir nun, dass die Gerechtigkeit Gottes noch weit über jede menschliche Gerechtigkeit hinausgeht: In Jesus Christus hat er sogar all unsere Schuld auf sich ge- nommen, ans Kreuz getragen und uns das Ewige Leben verdient. Was sollte es da noch für uns zu verdienen geben? Und wenn uns jetzt böse Zeiten treffen, wenn uns Trauer oder Leid, Unglück o- der Krankheit begegnen, dann wird uns das nicht dazu bringen, dass wir Gott irgendein Opfer dafür anbieten, dass er uns davon befreit, sondern es wird uns still machen vor ihm und wir werden ganz getrost sein und gewiss, dass uns Gott hindurchführt. Und wir werden nie vergessen, dass wir im letzten Sinn schon erlöst sind zu einer ewigen Herrlichkeit. AMEN