Predigt zum 17. Sonntag nach Trinitatis - 16.10.2011 Textlesung: Mk. 9, 17 - 27 Einer aber aus der Menge antwortete: Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist. Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn; und er hat Schaum vor dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten’s nicht. Er aber antwortete ihnen und sprach: O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir! Und sie brachten ihn zu ihm. Und sogleich, als ihn der Geist sah, riss er ihn. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund. Und Jesus fragte seinen Vater: Wie lange ist’s, dass ihm das widerfährt? Er sprach: Von Kind auf. Und oft hat er ihn ins Feuer und ins Wasser geworfen, dass er ihn umbrächte. Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns! Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst - alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben! Als nun Jesus sah, dass das Volk herbeilief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein! Da schrie er und riss ihn sehr und fuhr aus. Und der Knabe lag da wie tot, so dass die Menge sagte: Er ist tot. Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf. Liebe Gemeinde! Diese Geschichte ist entmutigend wie kaum eine andere, die uns über Jesus und seine Jünger erzählt wird. Nicht einmal die engsten Vertrauten Jesu konnten den Taubstummen heilen, dabei wissen wir doch, dass ihr Meister ihnen die Macht dazu gegeben hat. Aber ihr Glaube reicht nicht dazu, wie wir hören. Sie schicken den Vater mit seinem kranken Sohn weiter zu Jesus. Da fragt man sich schon, wie sollen denn wir einfachen Christenmenschen genug Glauben fas- sen, dass wir wenigstens so viel Vertrauen aufbringen, dass Jesus uns aus unseren Nöten und Sorgen helfen kann. Dass wir durch ihn gesund und heil werden, andere gesund und heil machen können, trauen wir unserem Glauben an Jesus Christus ohnehin nicht zu. Wirklich: Da kann man leicht jeden Mut verlieren! Und jetzt fange ich diese Predigt noch einmal an: Liebe Gemeinde! Diese Geschichte ist ermutigend wie kaum eine andere, die uns über Jesus und seine Jünger erzählt wird. Dass auch die engsten Vertrauten Jesu den Taubstummen nicht heilen konnten, zeigt uns, dass es in Glaubensdingen keinen Vorzug für die gab und gibt, die Jesus besonders nahe stehen, dass der Glaube vielmehr immer ein Geschenk ist. Niemand gewinnt, weil er Jesu Freund ist, auch das rechte Vertrauen zu ihm. Keine Mühe erlangt den Glauben, keine An- strengung, keine Leistung. Da kann einer fümfzig Jahre fromm und gottesfürchtig leben, und ist doch nicht wirklich gläubig. Ein anderer hört von Jesus, wer er war und warum er in die Welt gekommen ist - und er glaubt an ihn im selben Moment. Er traut ihm alle Hilfe zu. Er weiß, dass Jesus ihn gesund und heil machen kann und er erfährt Gesundheit und Heil! Und noch etwas an dieser Geschichte kann uns Mut schenken: „Wenn du kannst“, sagt der Va- ter, dann heile mein Kind. Das ist kein Glaube, der den Mann antreibt! Und er weiß das selbst auch, denn er sagt, ja, er schreit es hinaus: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Und wir ler- nen daran: Es muss, wenn wir zu Jesus gehen, nicht einmal der reine, vollständige Glaube sein, dass wir von ihm angenommen und erhört werden. Auch schon der Wunsch, glauben zu können, genügt, denn so geht es weiter: „Als nun Jesus sah, dass das Volk herbeilief, bedrohte er den un- reinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein!“ Sie denken jetzt vielleicht, was auch ich zuerst gedacht habe: Wenn Jesus sich hier mit der Heilung so beeilt, weil das Volk herbeiläuft, dann wollte er vielleicht die Gelegenheit nicht verpassen, einige durch ein Wunder für sich einzuneh- men und zum Glauben zu bringen. Aber ich denke nicht mehr, dass es darum ging. Die Eile hat wohl eher damit zu tun, dass die Leute gewiss gehört hatten, was der Vater des Taubstummen da so laut geschrien hatte: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Und sicher hatten viele aus der Menge jetzt gedacht: „Ob der Meister diesem Mann wohl helfen wird? Wenn der doch gar keinen Glauben hat!“ Liebe Gemeinde, wir wissen nicht, ob die Menschen damals nun empört waren, dass Jesus den Taubstummen heilt, obwohl sein Vater gar nicht an ihn glaubt - aber ich hoffe, dass wir darüber nicht empört sind. Immerhin wissen wir jetzt, dass Jesus nicht einmal nach einem vollständigen, festen Glauben fragt, wenn einer ihn um Hilfe und Heilung bittet. Und das ist doch sehr gut und sehr tröstlich! Ich musste dabei an die Frau denken, die immer wieder einmal gesagt hat, wenn ich ihr Gottes Segen zum Geburtstag gewünscht habe: „Ob Gott mich wohl wirklich segnet? So richtig gläubig bin ich doch eigentlich gar nicht!“ Diese Frau darf heute wissen: Es gibt kein richtig gläubig und kein nur ein bisschen gläubig. Jedenfalls macht es für den Herrn, nach dem wir heißen, keinen Unterschied. Wir sind ihm genauso lieb - wie auch immer es um unseren Glauben steht. Wir hören es doch hier: Selbst dem erklärten Unglauben, der sich aber wünscht, glauben zu können, wendet Jesus sich zu. Und nicht anders als einem, der einen tiefen Glauben hat. Und mir fiel der Mann ein, der einmal die Kandidatur für den Kirchenvorstand abgelehnt hat mit der Begründung, es fehle ihm einfach noch der rechte, ehrliche Glaube. Aber wie hat er sich in der Kirchengemeinde eingesetzt! Wie selbstverständlich ist er jeden Sonntag zum Gottesdienst gekommen und wie aufmerksam hat er die Predigt verfolgt. Dieser Mann darf heute wissen: Das ist echter Glaube, wenn einer so die Nähe der Gemeinde Jesu Christi sucht. Und ehrlich ist dieser Glaube auch, denn dieser Mann tut nicht nur so, als wäre ihm die Sache seines Herrn wichtig, sondern man kann es seinem Leben ablesen, wo sein Herz schlägt. Und wo er meint, sein Glaube wäre noch zu klein oder zu ungenügend die Geschicke der Gemeinde mit zu gestalten und sie zu leiten, da zeigt er doch gerade, wie ernsthaft es ihm um den Glauben zu tun ist. Aber mir kommen auch noch die Jugendlichen in den Sinn, die - vielleicht während ihrer Kon- firmandenzeit - so gefragt haben: „Kriegen wir bei der Einsegnung eigentlich auch den Glauben an Gott und Jesus geschenkt?“ Oder: „Darf ich eigentlich auf die Konfirmationsfrage mit Ja ant- worten, wenn ich das Gefühl habe, der Glaube ist mir noch sehr fremd?“ Diese jungen Leute oder die Erwachsenen, die aus ihnen geworden sind, dürfen heute wissen: Kein Pfarrer, keine Pfarrerin, die einsegnen und konfirmieren können den Glauben schenken oder irgendwie vermit- teln. Es liegt auch nicht daran, ob der Konfirmandenunterricht gut oder schlecht war, wenn dann am Ende bei den jungen Menschen Glauben herauskommt oder sie nicht gläubig werden. Es geht darum, ob wir uns das wünschen, glauben zu können. Und es geht um den Herrn, nach dem wir Christen heißen, ob er uns den Glauben schenkt. Aber das wichtigste ist sicher dies: Auch wo wir das gar nicht genau wissen, ob wir richtig glauben und sogar wo wir es genau wissen, dass wir den Glauben noch nicht haben, dürfen wir es machen, wie dieser Vater des taubstummen Jungen, der zu Jesus schreit: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Liebe Gemeinde, irgendwie genügt uns diese Auskunft aber nicht: Der Glaube ist ein Geschenk und wir können gar nichts dafür tun, es zu empfangen. Und diese Auskunft hat uns noch nie genügt! Aber so ganz stimmt sie auch nicht. Wir können schon etwas tun, etwas im Vorfeld des Glaubens sozusagen und das ist immer von den Geschichten der Bibel, in denen es um den Glauben geht, gedeckt - auch durch diese: Der Vater, obwohl er keinen Glauben hat, geht hin zu Jesus! Der Hauptmann von Kapernaum (Mt.8,5-13), der ja sogar ein Heide war, also weder Glauben hatte noch den Gott der Juden kannte, macht sich auf zu Jesus und Jesus sagt zu ihm: „Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!“ Und die Frau, die am Blutfluss litt (Mk.5,25-34), geht auch hin zu Jesus und tut, was eine Frau damals niemals tun durfte: Sie berührt das Gewand Jesu, eines Mannes. Ihr sagt Jesus: „Dein Glaube hat dich gesund ge- macht!“ Was wollen uns diese und noch viele andere Geschichten sagen? Wir müssen hingehen zu Jesus, nur in seiner Nähe können wir Glauben finden. Und umgekehrt: Wenn wir uns nicht auf Jesus einlassen, wenn wir sein Wort nicht hören und ihn nicht kennen- lernen wollen, dann können wir das Geschenk des Glaubens nicht erhalten. Darum möchte ich heute alle - gleich ob sie fest, weniger fest oder noch gar nicht glauben - er- mutigen, dass sie sich zu Jesus aufmachen oder in seiner Nähe bleiben, seinen Willen und sein Wort immer wieder hören und so alles tun, was Menschen von sich aus tun können, dass ER sie mit dem Glauben beschenkt. AMEN