Predigt zum Sonntag „Rogate“ - 29.5.2011 Textlesung: Lk. 11, 5 - 13 Und er sprach zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitter- nacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf. Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten! Liebe Gemeinde! Wenn es in der Bibel ein Stück gibt oder eine Geschichte, die so richtig aus dem Leben gegriffen ist, dann ist es der erste Teil der Verse, die wir eben gehört haben: Da kommt einer auf der Reise zu seinem Freund und der hat nichts, was er ihm vorsetzen könnte. Also geht der Besuchte zu seinem Nachbarn, dass der ihm etwas Brot leiht. Aber der liegt, da es schon um Mitternacht ist, im Bett. Und seine Kinder - damals hatten die Häuser nur ein einziges Zimmer - liegen auch schon in ihren Betten und die Tür ist verriegelt und sie aufzuschließen würde einigen Lärm ma- chen, von dem das ganze Haus aufwachen würde. Aber trotzdem kann der Nachbar - um der gu- ten Nachbarschaft willen - gar nicht anders, als dem unverschämten nächtlichen Störer zu geben, was der verlangt. - Wie gesagt: So richtig aus dem Leben gegriffen ist diese Geschichte und wir können uns das alles auch ganz gut vorstellen. Wenn wir nun aber weiter lesen und hören, was Jesus mit dieser Geschichte eigentlich sagen will und worauf sie hinausläuft, dann müssen wir uns doch wundern: „Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den heili- gen Geist geben denen, die ihn bitten!“ Jesus hat von Gott gesprochen! So wie der Mann, der sich schon mit seinen Kindern schlafen gelegt hat und nur wegen der Unverschämtheit des nächtlichen Störenfrieds mit Brot aushilft - so ist Gott oder besser: so soll er sein!? Wirklich: Je- sus hat immer wieder erstaunliche Geschichten! Und auch die weiteren Verse passen recht gut dazu: „... wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.“ Denn auch hier wird noch so un- verschämtem Bitten, noch so drängendem Suchen und noch so lautem Klopfen zum Erfolg ver- heißen. Scließlich krönt ein ziemlich gewagter Vergleich diese Ermutigung zur Unverschämtheit gegenüber Gott: „Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete?“ Wahrhaftig: ein solcher Vater ist Gott nicht, nicht einmal gegenüber Kindern, die drängeln, die seine Ruhe stören und - drücken wir es einmal ganz menschlich aus - die ihm auf die Nerven gehen. Überhaupt - so menschlich wie hier, spricht Jesus ansonsten selten über Gott! Als könnte der Vater im Himmel versucht sein, seinem Kind eine Schlange für einen Fisch und einen Skorpion für ein Ei zu geben! Fast möchten wir sagen: Na, Gott sei Dank ist Gott nicht so! Aber ich glaube, am Ende dieser Verse wissen wir doch, warum Jesus solche Geschichten erzählt und warum er so erstaunliche, befremdliche Vergleiche wählt, und das können wir jetzt in nur einem Satz sagen: Weil wir von unserem himmlischen Vater alles erwarten dürfen und weil er uns alles schenken kann, was immer und wie immer wir es erbitten! Gut, das also will uns Jesus nahe bringen. Solch ein Vater ist Gott! - Aber stimmt das denn? Oder besser: Entspricht das unserer Erfahrung, dass Gott solch ein Vater ist? Sicher einige von uns werden widersprechen und sagen: Ich habe mit Gott etwas ganz anderes erlebt! Und dann werden wir Sätze hören wie: „Immer wieder habe ich um Gesundheit für meine Mutter gebetet - aber dann ist sie doch gestorben und sie war doch noch gar nicht so alt!“ - „Wie gern hätte ich damals diese Stelle bekommen und ich wäre doch auch dran gewesen - wieder und wieder habe ich darum gebetet - dann aber hat man sie einem anderen gegeben, der weit weniger dafür geeignet war!“ - „Wie gern hätte ich meine Tochter vor diesem falschen Schritt bewahrt, ich habe Gott angefleht, dass er sie zur Vernunft kommen lässt, aber sie hat nicht gehört - heute ist sie totunglücklich und depressiv.“ Woran hat es gelegen, dass Gott nicht geholfen hat, dass er uns nicht erfüllen wollte, worum wir ihn gebeten haben? Nach der Lektüre der heutigen Predigtverse, könnten wir auf den Gedanken kommen, es hätte vielleicht damit zu tun, dass wir unsere Bitten nicht unverschämt genug vorgetragen haben! Vielleicht hätten wir mehr Nachdruck in unsere Gebete legen müssen? Viel- leicht so, wie es Luther einmal getan hat - wie er selbst schreibt: „Als mein Freund Melanchthon krank darniederlag, habe ich zu Gott so gebetet: Wenn du Melanchthon nicht gesund machst, dann schmeiße ich dir den Sack vor die Füße!“ Das ist wirklich unverschämt! Aber irgendwie sträubt sich doch alles in uns dagegen, so zu beten. Gebete haben doch mehr mit Vertrauen zu tun als mit unverschämtem Fordern. Und wie soll Gott „väterlich“ mit uns umgehen, wenn wir nicht vertrauensvoll wie seine Kinder zu ihm kommen? Mir ist am Ende unserer heutigen Predigtverse etwas aufgefallen, das hatte ich bei einer früheren Lektüre gar nicht bemerkt, vielleicht weil es ganz am Ende steht, wenn man schon anfängt, über das Ganze, was man gelesen hat, nachzudenken? Hören Sie noch einmal den letzten Vers: „Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!“ Es werden ja gar keine „guten Gaben“ versprochen, die Gott den Betern schenkt. Nein, er wird den Heiligen Geist senden, wenn wir ihn im Gebet bitten! Das heißt also nicht, dass unser - vielleicht auch unverschämtes - Beten, wenn wir es nur lang und intensiv genug vor Gott bringen, erhört wird und Gott uns gibt, worum wir gebeten haben. Es heißt vielmehr: Unser eindringliches Gebet wird bei Gott erreichen, dass er uns seinen Heiligen Geist schickt! Wenn Gottes Heiliger Geist uns beisteht, kann das dann wohl auch bedeuten, dass wir von un- seren Bitten Abstand nehmen. Vielleicht lässt uns Gottes Geist begreifen, dass unsere Gebete ei- gentlich in die falsche Richtung gehen? Vielleicht wird uns klar, dass die Erfüllung unserer Bit- ten gar nicht gut für uns wäre? Oder wir erkennen, dass in dem, was wir erleben und was wir uns anders wünschen, eigentlich ein Segen liegt und dass es gut ist, wie es ist? Von daher wird uns jetzt auch begreiflich, warum Jesus diese seltsamen Beispiele und Ver- gleiche wählt: „Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete?“ Haben wir vielleicht auch immer wieder einmal - ohne es zu wissen! - um eine Schlange gebeten. Gingen unsere Gebete vielleicht dahin, dass wir uns - aus Verblendung! - ge- wünscht haben, Gott möge uns einen Skorpion schicken? Da ist es wirklich besser, wenn Gott uns mit dem Heiligen Geist beschenkt! Dann nämlich werden wir alles, was geschehen ist und geschieht besser beurteilen können. Mit dem Heiligen Geist an unserer Seite lernen wir, tiefer zu blicken und genauer hinzuschauen. Was uns ganz schrecklich war und so, dass wir uns davor gefürchtet haben, kann sich dann als hilfreich und als ein großes Glück erweisen. Wir sehen auf einmal Gesichtspunkte, die wir vorher nie bedacht ha- ben und beziehen sie in unser Denken ein - und alles sieht ganz anders aus. Vielleicht zeigt uns der Heilige Geist auch Wege, die wir gehen können, die wir früher gar nicht gesehen haben - und wenn wir sie gehen, wird es uns klar: Jetzt geht’s in die rechte Richtung, jetzt habe ich ein Ziel vor Augen, jetzt wird gut, was böse aussah. Liebe Gemeinde, wir dürfen eindringlich und vielleicht auch einmal unverschämt beten. Wir sol- len nicht locker lassen, wenn wir bei Gott etwas erreichen wollen. Aber wir wollen damit rech- nen, dass er uns dann nicht unbedingt das erfüllt, was wir uns gewünscht und erhofft haben, sondern dass er uns seinen Heiligen Geist sendet, der uns dabei hilft, so zu handeln, dass Gottes Segen darauf ruht und das von Gott zu erbitten und zu empfangen, was wirklich gut für uns ist. AMEN