Predigt zum Sonntag „Jubilate“ - 15.5.2011 Textlesung: Jh. 16, 16 - 23 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater? Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet. Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben. Liebe Gemeinde! Ich kann mir vorstellen, dass Sie von dem, was ich jetzt gleich anspreche, heute Morgen wohl nicht so gern etwas hören wollen! Aber ich musste beim Lesen dieser Verse sofort daran denken. Und es sind sehr aktuelle Gedanken, über die einmal gesprochen werden muss und die hier ein- fach einmal hingehören! Aber jetzt will ich endlich sagen, was ich meine: Die Reaktorunglücke von Tschernobyl vor 25 Jahren und in Japan vor wenigen Wochen haben uns hoffentlich eines deutlich gemacht: Unsere menschliche Sicht reicht einfach nicht weit genug, um das Ausmaß solcher Katastrophen einzuschätzen und zu begreifen. Aber wir ahnen doch wenigstens, wenn wir von Halbwertzeiten des radioaktiven Zerfalls von 100.000 Jahren und mehr hören, dass hier ungeheure Kräfte am Werk sind, von denen eine gewaltige Gefahr für die Gesundheit und das Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen ausgeht. Noch deutlicher und gewiss fragwürdiger wird uns das, womit der kleine Mensch bei der Atomnutzung eigentlich hantiert, wenn wir erfahren, dass für die verbrauchten nuklearen Brennstäbe bei uns (seit über dreißig Jahren!) ein Endlager gesucht wird, das mindestens eine Million Jahre dem Klima- wandel, den Witterungsbedingungen mit einigen zu erwartenden Eiszeiten und den Um- weltveränderungen durch Erdbeben und Verschiebungen der Flusstäler und Gebirge standhalten kann. Bevor ich damit aufhöre, von diesen Dingen zu reden, nur noch das: Ich habe einmal gehört, dass Förster ein schwieriger Beruf sei. Warum? Weil ein Förster Bäume pflanzen lässt, deren Ernte nach vielleicht 80 Jahren er doch gar nicht erlebt. - Was aber sind 80 Jahre gemessen an den Zeitspannen, in denen der Mensch denken müsste, wenn er versucht, die atomare Energie zu bändigen und zu beherrschen? Genug davon. Aber wie bin ich darauf gekommen? Durch diesen Vers: „Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.“ Hier ist von Jesu Tod auf Golgatha die Rede und - diese Anspielung haben die Jünger schon nicht verstanden - von seiner Wiederkunft am Ende aller Zeit. Und das soll eine kleine Weile sein? Die Christen in den Gemeinden der ersten Jahre nach der Auferstehung des Herrn hatten buch- stäblich täglich erwartet, dass Christus zum letzten Gericht erscheint und sie zu sich in die neue Welt Gottes holt. Im Laufe der Jahrhunderte seitdem wich diese Erwartung oft der Enttäuschung, wenn die Menschen meinten, Christus hätte nicht Wort gehalten. Oft aber fanden sie auch zu einem neuen Verständnis und einer neuen Deutung vom Wiederkommen des Herrn: Dass er nämlich seit seiner Auferstehung immer schon unsichtbar in unserer Nähe ist, aber dann am Ende der Zeit leibhaftig und sichtbar für alle Augen wieder in unserer Welt erscheinen wird. Ich finde, das ist durchaus einleuchtend, wenn es auch nicht leicht ist, sich vorzustellen, dass die endgültige Wiederkunft Christi, auf die Christen aller Zeiten schon so lange warten, vielleicht erst Jahre, Jahrhunderte oder gar Jahrtausende nach unserem Tod geschehen wird. Warum aber fielen mir beim Lesen der heutigen Predigtverse die beiden Reaktorkatastrophen ein? Weil ich glaube, wir sollten uns hier wie da mit dem zufrieden geben, was wir heute wissen, haben, tun und wofür wir vorsorgen können. Und dabei wird es uns schnell aufgehen: Wenn schon der Försterberuf aus den gerade besprochenen Gründen schwierig ist, dann ist es die Atomnutzung mit ihren Problemen und den Fragen der Endlagerung noch viel mehr! Denn diese Probleme und Fragen reichen so weit über unsere Lebensspanne hinaus, dass es leichtfertig war und ist, auf die Kernenergie zu setzen. Und die zwei Reaktorunglücke haben uns ja nun ausreichend deutlich gezeigt, dass jede Panne die passiert, Folgen von unabsehbarer Schwere und Dauer haben wird. Und genauso geht unser menschliches Denken in die falsche Richtung, wenn es darüber spekuliert, wann die „kleine Weile“ bis zum Ende der Welt und zum letzten Gericht herum ist. Wir lesen es doch in der Heiligen Schrift, dass vor Gott tausend Jahre wie ein Tag sind (2.Petr 3,8)! Darum begnügen wir uns bei der Energiegewinnung und in der Frage, wann Christus wiederk- ommt mit dem, was wir überblicken können. Beschränken wir uns auf das, was uns für heute gegeben und gesagt, geschenkt und versprochen ist - und davon lesen wir hier eben auch und das erste davon ist dies: „Ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden [...] ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“ Liebe Gemeinde, auf diese Freude müssen wir eben nicht warten, bis die vielleicht weiteren hundert oder tausend Jahre vergangen sind, die es dauert, bis unser Herr leibhaftig vor uns steht. Damals für die Jünger galt schon, was auch für uns gilt: ER ist da, immer in unserer Nähe. Er hat uns unter seinen gütigen Augen. Er hilft uns, unseren manchmal schweren Alltag zu bestehen. Er trägt die Lasten unseres Lebens mit uns. Er lässt uns immer wieder einmal frohe Stunden des Glücks erleben. Er ist aber auch an unserer Seite, wenn uns die Trauer eines Abschieds überfällt. Er gibt uns gute Gedanken, wenn wir nicht weiter wissen. Er vergibt uns die Schuld, die wir sonst tragen müssten. Er schenkt uns Geborgenheit und dass wir zufrieden sind mit dem, was wir sind, haben und können. Denn hinter allem, was uns begegnet, steht die Hoffnung, dass einmal für uns der Tag kommt, dem keine Dämmerung und keine Nacht mehr folgt. Der Tag, der ewig sein wird, in einer Welt, die kein Ende hat, kein Leid, keine Krankheit, keine Behinderung und keinen Tod mehr kennt ... nur Freude ... in Ewigkeit! Und heute gegeben, gesagt und versprochen ist hier noch das zweite, von dem der letzte, der heutigen Predigtverse spricht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.“ Das Gebet zum Vater, das vertrauensvolle Bitten ist sozusagen das Mittel, mit dem wir uns der Nähe unseres Herrn - auch wenn wir ihn nicht sehen - vergewissern können: Wenn wir die Hände falten im festen Glauben, dass Gott uns hört und uns zu beschenken und zu helfen bereit ist, dann werden wir erfahren, dass er unser Beten erfüllt und uns mit allem versorgt, was wir brauchen. Aber beachten wir auch das, was hier mittendrin und ganz und gar nicht umsonst steht: „... in meinem Namen ...“ Vielleicht darf man das auch so verstehen: Wir werden vom Vater erhört werden, wenn wir unsere Bitten „im Sinne Jesu Christi“ äußern. Was das heißt, begreift man am besten von der anderen Seite, also von solchen Bitten her, die sicher nicht Christi Sinn entsprechen: So werden wir die Million im Lotto oder die Ölquelle im Vorgarten sicher nicht geschenkt bekommen. Umgekehrt aber wird der himmlische Vater ganz gewiss ein Ohr für unsere Wünsche haben, wenn wir ihn um Stärkung unseres Glaubens und unserer Gemeinschaft bitten oder aus ehrlichem Herzen und geschwisterlicher Liebe für die Wohlfahrt unserer Mitmenschen beten. Auch um den Frieden der Welt, in der Nachbarschaft und in unserer Familie dürfen wir mit der Gewissheit bitten, dass wir Gottes Hilfe und seinen Segen haben, wenn wir uns auch nach eigenen Kräften dafür einsetzen. Mehr darüber erfährt der Beter, die Beterin, die es einfach einmal und immer wieder mit dem Gebet in Jesu Namen und in seinem Sinn versuchen. Liebe Gemeinde, nehmen wir das von heute mit nach Hause und in unser Leben: Auch wenn die Weile, bis unser Herr wiederkommt noch lang wird, wir werden ihn leibhaftig sehen! Bis dahin aber ist er - zwar unsichtbar - immer in unserer Nähe, begleitet uns, stärkt uns und teilt in allem unser Leben. Ein Vorgeschmack auf die Ewigkeit, in der wir ihn sehen werden, ist die Freude, die schon heute immer wieder unser Herz erfüllt. Lasst uns mit dem Dank für diese Freude und mit unserem Gebet im Sinne Jesu Christi täglich unsere Hände falten, voll Vertrauen, dass unser Vater im Himmel uns hört. AMEN