Predigt zum 4. Adventssonntag - 19.12.2010 Textlesung: Lk. 1, 26 - 38 Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kom- men, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr. Liebe Gemeinde! Wie sollen wir diese Geschichte hören? Als einen Bericht? - Das wird uns schwer fallen. Da ist die Sache mit der Jungfrauengeburt, die uns Schwierigkeiten macht. Dann der Engel, der hier auftritt. Schließlich noch der Hinweis auf die Verwandte Marias, Elisabeth, die doch unfruchtbar war und noch dazu in einem Alter, in dem Frauen keine Kinder mehr bekommen können. Oder hören wir hier ein Märchen? Da hätten wir auch Hemmungen. Immerhin, es ist doch eine Ges- chichte der Bibel! Sollte der Inhalt dieser Geschichte etwa nicht der Wirklichkeit entsprechen, so wie sie hier erzählt wird, also nie tatsächlich geschehen sein? Geht es mehr um die Moral der Geschichte, um einen Kern, der uns eine Lehre, eine richtige Einstellung, eine gute Charaktereigenschaft nahe bringen will? Gibt es noch eine dritte Möglichkeit, was diese „Verkündigung der Geburt unseres Herrn an Maria“ sein könnte? - Ich weiß es nicht. Was ich weiß, ist dies: Ob wir sie nun als Bericht oder Märchen ver- stehen, die Geschichte ist schön zu hören - auch und gerade wegen ihrer wunderbaren Züge. Sie macht uns Freude und sie passt doch auch zur Mitte unseres Glaubens an Jesus Christus, denn es ist und bleibt wunderbar und ist mit unserem Verstand nicht zu fassen, dass der große Gott uns kleine Menschen in seinem Sohn in der Welt aufsucht, als Mensch geboren wird und selbst das Los eines Menschen trägt und bis zum bitteren Tod am Kreuz durchhält. Aber schauen wir nach dem, was wir in der Geschichte von der Verkündigung an Gedanken finden, die wir als ihren Kern, als Lehre oder Moral mitnehmen könnten. Ich sehe da besonders zwei Dinge ... das erste wird an diesen Worten deutlich: „Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt ... Und der Engel sprach zu Maria: Fürchte dich nicht, du hast Gnade bei Gott gefunden.“ Sie fragen sich jetzt gewiss, was den hier so bemerkenswert sein soll. Aber denken sie doch nur ein- mal, wer diese Maria ist! Oder vielleicht sagen wir besser: wer sie nicht ist! Keine Königstochter! Kein Kind vornehmer und reicher Leute. Vielmehr ein Mädchen aus dem Volk. Und ich sage bewusst: Mädchen, denn sie war sicher nicht älter als 14 Jahre. Der Mann, dem sie ja nur „vertraut“, also verlobt ist, gehört auch keinem besonderen Stand an. Einfacher Zimmermann ist er. Und wenn wir uns erinnern, wie die Geschichte später weitergeht, dann müssen wir sagen: Die beiden waren so arm und ohne Einfluss, dass man ihnen nicht einmal ein Zimmer in irgendeiner der Herbergen von Bethlehem freimachen wollte. Gott hat sich mit Maria also ein ganz einfaches, armes und unbedeu- tendes Mädchen aus dem Volk als Mutter seines Sohnes ausgesucht. Da kommen uns jetzt gewiss auch noch andere Beispiele für diese Wesensart Gottes aus vielen Ges- chichten des Alten und Neuen Testaments in den Sinn: Mit Mose wählt er sich nun wirklich keinen besonders geeigneten Führer für sein Volk aus. Er konnte nicht frei reden, erfahren wir im Buch Exo- dus, darum musste sein Bruder Aaron für ihn sprechen. Mit David fällt Gottes Wahl ausgerechnet auf den kleinsten und jüngsten aus der Reihe von acht Söhnen des Isai, um ihn zum König von Israel sal- ben zu lassen. Die ersten an der Krippe von Bethlehem sind die Hirten, verachtete Hungerleider damals, denen die Schafe, die sie hüteten, nicht gehörten. Die Jünger, die Jesus später als Begleiter für seine Wanderung durch Israel beruft, sind durchweg Fischer und kleine Handwerker. Nur einer, der Zöllner Matthäus, könnte wohlhabend gewesen sein, dafür aber macht ihn sein Beruf zu einem Außenseiter der „anständigen“ Gesellschaft: Kein rechtschaffener Jude hätte ihm auch nur die Hand gereicht. Aber was bedeutet dieser Zug aus der Verkündigungsgeschichte denn nun für uns? Was sagt uns das, wenn der Engel Gottes einem armen Mädchen aus der Hefe des Volkes ankündigt, dass sie Mutter des Heilands der Welt werden soll? Menschen, die nicht allzu hochmütig sind, Christinnen und Christen, die im Glauben begriffen haben, dass sie nicht aus sich selber leben, sondern aus der Güte Gottes ... denen sagt es: Wie Gott in seiner Gnade gerade diese Marie ausgesucht hat, um ihr eine so große Aufgabe zu geben, so wählt Gott auch einen Menschen wie mich, um ihn in seinen Dienst zu rufen. Keine und keiner von uns ist zu klein, zu arm, zu gering, als dass Gott ihn nicht sieht, hört und auf ihn achtet. Ja, es ist eher umgekehrt: Gerade mit uns kleinen, schwachen Menschen möchte Gott eine Beziehung haben, gerade uns braucht er, dass wir seine Aufträge erfüllen und in seiner Welt in seinem Sinn arbeiten und wirken. Und sagen Sie jetzt nicht: Was können wir denn ausrichten? Schauen wir uns doch um in unserer Welt. Schaffen es die Großen, die Fürsten, die Regenten und Präsidenten, der Ungerechtigkeit zu wehren, die Umwelt zu schützen, die Kriege zu verhindern? Selten. Aber einer Mutter Teresa gelingt es, mit ihrer kleinen Kraft, die Aufmerksamkeit der Welt auf das Leid der Ärmsten der Armen, der Leprakranken und der an Hunger Sterbenden von Kalkutta zu lenken. Ganz einfache Menschen, oft mit christlichem Hintergrund, organisieren bemerkenswerte Hilfstransporte in die Krisenregionen unserer Erde. Ein Chinese, den man ins Gefängnis geworfen hat, weil er die Menschenrechte vom chinesischen Regime eingefordert hat, erhält den Friedensnobelpreis. Schließlich sind es auch in unseren Kirchengemeinden oft die ganz einfachen Gemeindeglieder, die in Kreisen und Gruppen eine Menge auf die Beine stellen und das Gemeindeleben mehr bereichern, als es den Hauptamtlichen gelingt. - Und auch für uns hat Gott eine Aufgabe. Wir sind nicht zu schwach und haben nicht zu wenig Talent, als dass Gott uns nicht brauchen kann ... und will. Hören wir doch, was der Engel sagt: „... bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Wir waren vielleicht bis heute nur zu wenig aufmerksam und haben die manchmal kleinen Winke Gottes übersehen und seine leisen Worte nicht beachtet. Vom zweiten, was wir aus der Verkündigungsgeschichte mitnehmen wollen, lesen wir hier: „Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Das erscheint uns ja vielleicht ganz selbstverständlich, dass Maria den Auftrag Gottes annimmt. Wir kennen ja auch den Fortgang der Geschichte. Wir haben vor Augen, welche Liebe und Hochachtung der „Mutter Gottes“ in der Kirche aller Zeiten entgegengebracht wurde und dass sie noch heute um Fürbitte gebeten und wie eine Heilige verehrt wird. Aber das war doch damals, als der Engel in ihre Stube eintritt, noch ganz anders: Da war sie das einfache, gewiss sehr ängstliche Mädchen, das nichts davon wusste, wie sich ihre Geschichte entwickeln würde. Da hätte sie doch viele Gründe gehabt, den Auftrag Gottes abzulehnen! Aber sie sagt ja! Sie hat Vertrauen. Sie ist stark genug, diese gewaltige Aufgabe an- zunehmen. Was uns das sagen will, ist jetzt sicher keine Frage mehr. Vielleicht passt hier ganz gut das Sprich- wort, das Sie wohl auch kennen: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstand dazu. (Wobei wir jetzt mit Recht denken, dass dann wohl nicht jeder sein Amt von Gott bekommen hat!) Hier müssten wir es so sagen: Wem Gott eine Aufgabe stellt, dem schenkt er auch das Geschick und die Fähigkeit, sie zu erfüllen. Wenn wir also spüren, dies oder jenes will Gott von mir haben, das ist seine Aufgabe für mich, dann laufen wir nicht vor seinem Auftrag davon! Fassen wir Vertrauen: Es ist Gott, unser himmlischer Vater, der uns in seinen Dienst ruft. Er wird uns nicht mehr auf die Schultern legen, als wir tragen können. Er wird uns den Verstand und die Kraft zu dem geben, was wir in seinem Auftrag tun sollen. Und - vielleicht das wichtigste dabei - er wird uns auch seinen Segen schenken und wir werden erleben, dass es Freude macht, Gott mit den Gaben zu dienen, die er in uns gelegt hat. Denken wir daran, was der Engel zu Maria gesprochen hat, wenn wir heute oder demnächst Gottes Auftrag hören: „Fürchte dich nicht, du hast Gnade bei Gott gefunden.“ Gottes Gnade gilt uns genau- so und bei ihm ist kein Ding unmöglich! Und tun wir’s Maria auch darin gleich, dass wir den Auftrag annehmen: „Siehe, ich bin des Herrn; mir geschehe, wie du gesagt hast.“ AMEN