Predigt zum Vorl. So. im Kirchenjahr - 14.11.2010 Textlesung: Röm. 8, 18 - 25 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld. Liebe Gemeinde! „Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“ Schon diesen ersten Satz aus diesen Versen kann man sehr unter- schiedlich auffassen. Menschen, denen es gut geht, die auf der Sonnenseite des Lebens und auf der richtigen Seite des Globus wohnen, werden sich freuen: Es wird sogar noch eine größere Herrlichkeit für uns kommen als die, die wir hier und heute schon genießen! Ist das nicht wunderbar! Anders ist es bei denen, die in dieser Welt leiden, hungern, arm sind oder am Rande der Gesellschaft leben. Bei ih- nen wird dieser Satz wohl Vorfreude und Sehnsucht auslösen. Wenn wir aber an Menschen denken, die schwer krank und behindert sind, die ihr Leben lang zahlreiche Einschränkungen und Schmerzen haben, dann sieht es noch einmal anders aus: Dann wird die Herrlichkeit, die uns hier in Aussicht gestellt wird, gewiss nicht nur Freude und frohe Erwartung, sondern auch viele Fragen, Zweifel, Hadern mit Gott und vielleicht sogar Verzweiflung in den Herzen dieser vom Schicksal geschundenen Menschen hervorbringen. Was ich hier meine, wird deutlich, wenn wir einmal von der anderen Seite herangehen: Stellen Sie sich doch nur vor, Sie sagen diesen Satz von der zukünftigen Herrlichkeit, die nach den Leiden dieser Zeit auf uns wartet, einem Schwerstbehinderten, der seit seiner Geburt in einem Torfbett oder unter einem Sauerstoffzelt liegt. Angenommen, er kann überhaupt verstehen, was Sie da sagen, wird er sich nicht verhöhnt fühlen und wird ihm nicht die grausame Wirklichkeit seiner gegenwärtigen Lage um so schlimmer auf die Seele fallen und ihn noch stärker quälen? Und - wenn wir bei uns bleiben - kön- nen wir das denn verstehen und mit der zukünftigen Herrlichkeit oder auch nur der Liebe Gottes reimen, dass es das gibt: So schwer leidende Menschen, die manchmal eine sehr lange Zeit voller Schmerzen und Qual in dieser Welt erdulden müssen und von allem Schönen ausgeschlossen sind. Menschen, die für uns so selbstverständliche Dinge wie Liebe, Partnerschaft, Erfüllung und Sinn in einem selbst gestalteten Leben immer entbehren müssen. Wir beschäftigen uns nicht gern mit solchen Gedanken, aber lassen sie uns nicht nach dem Warum fragen? Warum lässt Gott, der uns mit einer Herrlichkeit beschenken will, das zu? Was - und vor allem wann - haben solche schwer leidenden Menschen etwas Böses getan, dass sie von Geburt an ein so schweres Leben ohne Farbe und Freude auferlegt bekommen haben? Oder wie sollen wir das sonst begreifen, dass die einen - und wir darunt- er - im Glück sind und die anderen lebenslang im Dunkel, in Not, Behinderung und Krankheit? Wir werden diese Fragen nicht beantworten können, aber sie müssen doch gestellt werden. Sonst entgeht uns womöglich die wirklich gewaltige Bedeutung dieses Satzes: „Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“ Selbst das übergroße Leid schwer kranker und behinderter Menschen, gegen das unsere Leiden läppisch und gering sind, wird doch einmal „kaum ins Gewicht fallen“, angesichts dessen, was wir zukünftig erwarten dürfen. Denn unsere kühnsten Vorstellungen von der Herrlichkeit, die einmal anbricht, wird welten- und himmelweit übertroffen werden! - Halt wir das fest! Liebe Gemeinde, noch aber leben wir in dieser Zeit und dieser Welt und können diese Sätze gewiss alle mitsprechen: „Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes of- fenbar werden. [...] Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.“ Die Nachrichten jedes neuen Tages vergrößern die Angst. Die wirtschaft- lichen Zukunftsaussichten, die Bedrohungen durch den Klimawandel, die politischen Entwicklungen im Nahen und im Fernen Osten, die Krisen und Kriege in vielen Weltregionen, der religiöse Hass und die Bereitschaft zu Gewalt und Terror schüren die Furcht bei uns. Manchmal sind wir froh, dass wir schon ein gutes Stück Leben gelebt haben oder schon jenseits der Lebensmitte sind. Aber was wird aus unseren Kindern und Enkeln? Aber Paulus lässt und in unserer Angst nicht allein: „Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergängli- chkeit - ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung.“ Hier ist das entscheidende Wort: Hoffnung! Hinter all unserer Furcht, hinter aller bösen Erwartung, hinter den Ereignissen, die uns den Mut neh- men, hinter den Kriegen, Krisen und Katastrophen, von denen wir täglich hören, steht die Hoffnung: Das alles wird vergehen. Es hat nur seine Zeit. Danach kommt noch etwas anderes: Die Schöpfung und wir, die Geschöpfe, sollen frei werden: frei von Angst, frei von allen bösen Erwartungen, frei von den Verstrickungen in das Dunkel und die Vergänglichkeit dieser Welt. Nun ist unsere Frage zwar nicht beantwortet, warum es die Krankheit, die Behinderung, die Krisen, Kriege und Katastrophen gibt und wir wissen auch nicht, warum wir uns doch ängstigen müssen und warum uns in dieser Zeit oft nur die Sehnsucht und das Seufzen bleibt - aber wir wissen nun dies: Das alles wird vergehen und wird der Freiheit und der Herrlichkeit in der Gemeinschaft mit unserem Gott weichen. Wir haben sein Versprechen in Jesus Christus, dass dies unsere Zukunft ist und sie ist im Glauben auch schon angebrochen, aber die Vollendung steht doch noch aus: „Denn wir sind zwar gerettet“, sagt Paulus, „doch auf Hoffnung.“ Über unserem Wunsch, die Hoffnung möge sich doch schon hier und heute erfüllen, vergessen wir leicht, wie groß, wie gewaltig und wunderbar diese Herrlichkeit ist, auf die wir hoffen! Während wir seufzen und uns sehnen übersehen wir oft, dass uns der Glaube geschenkt ist, ein Glaube, der uns trägt, ein inneres Wissen, das Paulus „den Geist als Erstlingsgabe“ nennt. Dieser Geist hält nicht nur die Hoffnung in uns wach, er tröstet uns auch in allen Leiden, aller Angst und er gibt uns Kraft in al- lem Schweren, durch das wir gehen müssen. Dieser Geist sagt uns, wenn die schlimmen Nachrichten auf uns einstürmen: das alles ist vorläufig und muss vergehen. Dieser Geist macht uns stark, wenn die bösen Erwartungen, die dunklen Zukunftsaussichten unsere Zuversicht schwächen wollen. Dieser Geist gibt uns an jedem neuen Tag immer wieder neuen Mut, dass wir unsere Arbeit für Gottes gute Sache, für die Menschen und unseren Einsatz für Gerechtigkeit und Liebe nicht aufgeben. Das Seufzen aber und das ängstliche Harren wird uns weiter begleiten und wir werden Paulus Recht geben müssen: „Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht?“ Und dennoch ist die Hoffnung eine große Macht! Sie hat Menschen in aller Welt immer wieder vor der Verzweiflung gerettet. Sie hat in unserem Land eine Wende zustande gebracht, die auch die größten Optimisten nicht erwartet hätten. Sie hat Regimes der Unterdrückung gestürzt, weil Mensch- en nicht aufgegeben haben, immer wieder ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und selbstbes- timmtes Leben eingeklagt und verteidigt haben. Sie hat politische und wirtschaftliche Fehlentschei- dungen blockiert, bis die Regierenden begriffen haben, dass ihre Pläne nicht durchsetzbar sind. Und jede und jeder von uns hat auch in seinem persönlichen Leben schon erfahren, wie mächtig die Hoffnung ist: Wenn es nach der Operation, vor der die Aussichten auf Heilung so schlecht waren, doch wieder aufwärts ging. Wenn es nach dem Streit und der Trennung, die endgültig schien, doch wieder einen Neuanfang gab. Wenn gegen jede Erwartung eingetreten ist, wovon wir jahrelang geträumt haben. - Die Hoffnung ist mächtig! Und sie ist ansteckend. Ich glaube fest, dass wir als Christinnen und Christen auch ein Verantwortung für und eine Verpflichtung zur Hoffnung haben. Wenn niemand mehr Hoffnung hat, dann kann nichts Gutes mehr entstehen. Wenn wir aber im Glau- ben an der Hoffnung festhalten, dann machen wir auch anderen Mut, die Hoffnung nicht fahren zu lassen. Ich wünsche uns, dass unsere Hoffnung auch andere Menschen zur Hoffnung führt. Besinnen wir uns auf die Erstlingsgabe des Geistes, die uns geschenkt ist. Dazu wünsche ich uns, solange wir noch in dieser vergänglichen Welt leben, die nötige Geduld, damit wahr wird, was Paulus uns empfiehlt: „Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.“ AMEN