Predigt zum Sonntag „Exaudi“ - 16.5.2010 Textlesung: Eph. 3, 14 - 21 Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glau- ben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid. So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Got- tesfülle. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Liebe Gemeinde! Ein Wort aus diesen acht Versen hat mich heute beim mehrmaligen Lesen immer wieder festge- halten. So war es dann auch klar, dass ich darüber sprechen muss. Dieses Wort ist: „inwendig“ - oder sagen wir im Zusammenhang der ganzen Botschaft dieser Verse: Der „inwendige Mensch“. Aber was ist das eigentlich? Ist das noch ein zweiter Mann, eine zweite Frau in unserem Inneren? Ist das unser geistiges oder geistliches Innenleben? Gibt es - was der Begriff ja nahe legt - auch einen auswendigen Menschen. Und was ist das dann? - Fragen über Fragen. Ich will hinten anfangen, also bei dem auswendigen Menschen: Den gibt es in der Tat. Und dieser Mensch, der oft nur noch „auswendig“ erscheint, war auch der Grund, warum ich am Wort „in- wendig“ hängen geblieben bin. Aber jetzt einmal klar und deutlich - und vielleicht für die eine oder den anderen ein wenig schmerzhaft: Diese Zeit und ihre Menschen erscheinen mir mehr und mehr „auswendig“! Ich weiß nicht, ob man dieses Wort steigern kann, aber ich würde sagen: Je länger ich das Zeitgeschehen und die Personen, die darin ihre Rolle spielen, beobachte, es wird noch immer auswendiger! Und das gilt für die große Bühne der Politik genauso wie für unsere kleine, private Lebensbühne. Es geht zuerst um den äußerlichen Eindruck, den einer oder eine macht. Welche Wirkung hat dieses oder jenes Wort, diese oder jene Geste? Wie kommt das an, was ich vertrete. Gefällt mein Kleid, mein Anzug, mein Outfit, wie junge Leute heute sagen? Wir lassen nur noch unsere Oberfläche sehen und wir inter- essieren uns auch nur noch für die Oberfläche anderer Menschen. Und wir haben uns daran gewöhnt, uns damit zufrieden zu geben. Aber schauen wir jetzt einmal ganz konkret nach einigen Personen auf den großen und kleinen Bühnen unserer Zeit: Da ist zum Beispiel ein Minister ... Er vertritt irgendeine politische Meinung. Aber eigentlich ist es ganz falsch, davon zu reden, dass er eine Meinung „vertritt“, denn es ist bald Wahl und er möchte gern im Amt bleiben. Also „vertritt“ er in der Öffentlichkeit eine Position, von der er annimmt, dass sie möglichst viele, die ihn wählen könnten, teilen. Wie er wirklich denkt, wissen wir nicht. Und wenn wir ihn fragen, ob das denn tatsächlich seine Meinung ist und ob er sich dafür auch nach der Wahl einsetzen wird, dann wird er beleidigt tun. Auf der anderen Seite: Wenn wir bei einem Politiker wirklich einmal den Eindruck haben, der sagt nicht nur, was wir hören sollen oder wollen, dann sind wir schnell begeistert und betonen unsere Begeisterung damit: „Der meint es ehrlich!“ Warum aber müssen wir betonen, was doch eigentlich selbstverständlich sein sollte? Da ist auf der anderen Seite der Vorsitzende oder der Pressesprecher einer politischen Opposi- tionspartei ... Werden wir von ihm hören, was er wirklich zu dieser oder jener Entscheidung der Regierung denkt? Wird er Verständnis haben, wenn echte Sachzwänge tatsächlich nur die eine - leider in der Öffentlichkeit nicht sehr beliebte - politische Weichenstellung erlaubt haben? Wird er dafür werben, dass die Menschen die Entscheidung mittragen, weil keine andere Möglichkeit bestanden hat? - Wir wissen alle und erleben es täglich, was er machen wird: Er wird versuchen, uns vorzugaukeln, es hätte ganz anders laufen können und es wäre auch mit seiner Partei am Ruder ganz anders gelaufen! Und werben wird er höchstens dafür, der Regierungspartei bei der nächsten Wahl - zu seinen eigenen Gunsten - einen „deutlichen Denkzettel“ zu verpassen. Aber schauen wir in unsere kleinere alltägliche Welt, in der wir unser Leben verbringen. Da ist ein kleiner Beamter, der einfach nicht die Fähigkeit der Menschenführung mitbringt. Wider besseres Wissen aber bewirbt er sich für eine Leitungsposition in seiner Behörde. Da ist eine Sekretärin, deren wichtigste Aufgabe - wie es ihr scheint - ist es, ihren Chef am Telefon zu verleugnen, wenn sich irgendwelche Gläubiger oder sonstige unangenehme Anrufer melden. Und was hat sie nicht schon an Wutausbrüchen ihres Chefs vor den Arbeitern und Angestellten erlebt, die völlig ungerechtfertigt waren. Und wie lange schon hat sie immer dazu geschwiegen. Da ist der Vorsitzende eines Sportvereins, der seit Jahren die Entwicklung seines Vereins beo- bachtet: Weg vom Sport und vom kameradschaftlichen Verhalten, hin zu einer Mentalität, die nur noch nach der Bezahlung fragt - und das sowohl bei den Spielern als auch bei den Trainern. Manchmal wollte er darum schon alles hinschmeißen, weil das für ihn nicht zu einem Sportverein passt. Immer wieder hat er gewartet und gehofft ... Besser geworden ist es aber nicht. Schließlich werfen wir noch einen Blick in unsere Kirchengemeinden. Da ist ein Christenmensch wie du und ich, der durch einen Schicksalsschlag seinen Glauben verloren hat. Aber er kann nicht darüber reden. Er kann dazu nicht stehen, nicht einmal vor sich selber. Also lässt er sich nichts an- merken und tarnt das, was wirklich in ihm vorgeht, mit einem bemüht fröhlichen Gesicht. Aber das kostet zunehmend viele Energien! Da ist eine Kirchenvorsteherin, die sich einfach nicht traut, ihr Anliegen nach mehr Engagement in der gemeindlichen Jugendarbeit endlich einmal in einer Kirchenvorstandssitzung zur Sprache zu bringen. Immer wieder hat sie einen Anlauf gemacht - immer wieder hat sie dann doch geschwieg- en. Sie war nicht mutig genug, würde man sagen. Sie selbst nennt sich allerdings feige und ver- achtet sich dafür. Und da ist eine Konfirmand, der in diesen Wochen gefragt wurde: Willst du zu Jesus Christus gehören und zu seiner Gemeinde? Wenn er ehrlich wäre, müsste er sagen, dass ihn dieses Ver- sprechen gar nicht weiter berührt hat. Überhaupt war ihm von Anfang an das Geld und die Ges- chenke, die er bei der Konfirmation erwarten durfte, das wichtigste. So hat er auch aus dem Un- terricht nicht viel mitgenommen. Liebe Gemeinde, vielleicht kann man es auf den ersten Blick nicht so erkennen, aber alle diese Männer, Frauen und Jugendlichen, die ich eben kurz vorgestellt habe, teilen eine Eigenschaft: Sie sind „auswendige“ Menschen. Vielleicht wollen sie es gar nicht sein, vielleicht bemühen sie sich seit Jahren, auszubrechen aus dieser Haltung - aber sie stecken heute noch darin. Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater ..., dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid. Das ist heute die Empfehlung des Apostels und dafür setzt er sich mit seiner Fürbitte für uns ein, dass wir unserem inwendigen Menschen den Raum geben, der ihm zusteht. Dass wir auf das hören, was in uns ist, auf das, was unser Gewissen uns in der Tiefe unseres Herzens rät: Dass wir den Menschen keine Lügen erzählen, nur weil wir bei der Wahl ihre Stimme haben wollen. Dass wir auch anerkennen, was andere Gutes und Richtiges tun. Dass wir uns nicht mehr zutrauen, als wir wirklich leisten können, wenn wir selbst uns ehrlich prüfen. Dass wir uns nicht hergeben zu Diensten, die uns im Innersten widerstreben, weil sie nicht moralisch sind. Dass wir die Ideale nicht aufgeben, für die wir einmal angetreten sind. Dass wir als Christen auch zu unseren Zweifeln stehen können und ansprechen, wenn uns der Glaube schwer fällt. Dass wir unsere Verantwortung erkennen und wahrnehmen, wenn wir in der Gemeindeleitung sitzen und uns nicht feige zurückhalten, wenn anzusprechen ist, was anderen vielleicht unangenehm sein könnte. Dass wir lieber auf die Konfirmation verzichten, wenn es uns nur um Geld und Geschenke geht und es uns mit der Sache eigentlich nicht ernst ist. So auf seinen inwendigen Menschen zu hören und dem, was uns das Gewissen sagt, zu folgen, ist gewiss nicht leicht. „Auswendig“ und oberflächlich zu leben ist einfacher. Aber - und das ist ein starkes Argument dafür, inwendige Menschen zu werden - es schenkt eine tiefe Freude. Es macht auf eine ganz tiefe Weise zufrieden. Es führt uns zu dem zurück, wofür wir in unserem Leben wohl alle einmal angetreten sind: Ehrlich zu sein, offen und treu, gütig und liebevoll und mit Gott und den Menschen im Einklang. So wollen auch wir jetzt mit dem Wunsch und dem Lobpreis schlie- ßen, die Paulus ans Ende der Verse gestellt hat, die wir heute bedacht haben: „Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“