Predigt zum Sonntag „Rogate“ - 9.5.2010 Textlesung: 1. Tim. 2, 1 - 6a So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist EIN Gott und EIN Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, dass dies zu seiner Zeit gepredigt werde. Liebe Gemeinde! „Rogate“ ruft uns der Name dieses Sonntags zu: „Betet“. Und dieser Aufruf, das Beten nicht zu vergessen, war auch bestimmt der Grund, warum dieses Stück aus dem 1. Timotheusbrief, für die- sen Sonntag zu predigen ausgesucht worden ist, denn es heißt: „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen!“ So weit, so gut. Allerdings gibt es in diesen Versen noch ein zweites Thema, das wichtig ist, ja, sogar entscheidend wichtig! Dieses Thema ist dazu noch ziemlich heikel, man möchte fast nicht daran rühren. Wenn wir davon etwa vor Muslimen sprechen würden, müssten wir uns sogar fürch- ten, denn die Aussagen zu dieser Sache sind klar und deutlich und lassen keinen Zweifel daran, wer der Herr und Gott dieser Welt ist. Aber wovon spreche ich? Ich will Ihnen die so deutlichen Verse noch einmal vorlesen: „Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist EIN Gott und EIN Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, dass dies zu seiner Zeit gepredigt werde.“ Nun gibt es im Neuen Testament sicher viele dieser klaren Aussagen, wer der Gott des Universums ist und wer der einzige Mittler zwischen ihm und den Menschen. Aber wir Christinnen und Christen überhaupt und besonders wir, die der Christengemeinde zu predigen haben, drücken uns gern um die Klarheit des Bekenntnis’ zu Jesus Christus und zu dem Gott, den er „unseren Vater“ nennt, her- um. Und ich glaube, da steckt die Angst vor den Konsequenzen dieses Bekenntnis’ dahinter! Aber noch einmal - mit etwas anderen Worten: Gott, unser Heiland, will dass alle Menschen die Wahrheit erkennen! - Was kann das anderes heißen als das: Die Wahrheit ist, dass der Vater Jesu Christi der einzige Gott ist im Himmel und auf Erden. Und der Timotheusbrief wird ja wirklich noch deutlicher - in genau dieser Richtung: „... es ist EIN Gott und EIN Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung“. Es ist also Jesus Christus, und niemand anderes, der die Menschen zu Gott führen kann, dem einzigen Gott, und es sind alle Menschen, gleich welcher Religion und welchen Glaubens, die auf ihn angewiesen sind. Da wird es jetzt sehr schwierig im Blick auf andere Religionen, liebe Gemeinde! Man bekommt wirklich Hemmungen, solche Worte und Gedanken in einer Predigt weiter zu verfolgen. Andererse- its: Davon immer nur und immer wieder zu schweigen und sich über solche klaren Aussagen hin- wegzusetzen, als stünden sie gar nicht in den Evangelien und z.B. den Paulusbriefen, ist auch keine Möglichkeit. Was machen wir also mit diesen Gedanken und mit den Versen, die heute als Predigttext vorgeschlagen sind? Schweigen wir davon oder verfolgen wir das Thema weiter? Und: Gibt es vielleicht noch eine dritte Möglichkeit? Was wir nicht machen sollten, ist dies: Dass wir jetzt über andere Religionen sprechen und dass sie alle nicht an unsere heranreichen. Es ist schließlich so: Juden oder Muslime etwa, Hindus oder Buddhisten und wohl die meisten anderen Anhänger eines nichtchristlichen Glaubens könnten - ge- deckt von den Urkunden und Lehren ihrer Religion - über das Christentum genau so reden: Dass es also nicht an ihren Glauben und dessen Wahrheit heranreicht. Aber solches Reden würde nur zu Streit und fruchtlosen Diskussionen führen, möglicherweise zu Hass und Zwietracht. Und am Ende würden wir selbst keinen Deut weitergekommen sein und der Verständigung zwischen den Völkern und Religionen hätten wir ganz gewiss auch nicht gedient. Die klaren Worte und das deutliche Bekenntnis zu Jesus Christus und dem, den er Vater nennt, könnte uns aber sozusagen innerhalb unseres Glaubens weiterbringen! Dass Sie mich hier recht ver- stehen, will ich Ihnen zwei kleine Geschichten erzählen, die eine Erfahrung, die ich in der Wende- Zeit mehrfach gemacht habe, verdeutlichen: Eine Frau fällt mir ein, die lebte, bevor sie nach Deutschland kam, in Kasachstan. Dort war es nicht ungefährlich, Christin zu sein und zu den christlichen Gottesdiensten zu gehen. Gesangbücher gab es überhaupt nicht, denn sie durften nicht verkauft werden. Was also tat diese Frau: Sie hat sämt- liche Kirchenlieder, die ihr bekannt waren, die sie von anderen zugesteckt bekam und die sie im Laufe einiger Jahre hier und da gesammelt hatte, in ein Büchlein aufgenommen, das sie mit der Hand geschrieben hat. Am Ende waren es mehrere Hundert Lieder - ein Schatz für die Frau, den sie bis heute bewahrt und ein Ausdruck für die enorme Wertschätzung dieser Christin für die Dinge ihres Glaubens, der auch unser Glaube ist. Und an einen Mann denke ich, er stammte aus Siebenbürgen, der sprach davon, dass er aus der hiesigen Kirche ausgetreten wäre, bei der er sich bei seiner Übersiedelung nach Deutschland zunächst hatte einschreiben lassen. Und er sagte auch warum: Einer Kirche, die im täglichen Leben der Menschen eine so geringe Rolle spielt, mochte ich nicht mehr angehören. Ich hätte mir in der al- ten Heimat niemals vorstellen können, dass es Gegenden gibt, in denen Christen wohnen, in deren Alltag und Sonntag man wirklich gar nichts mehr davon spürt, dass sie auch auf den Herrn Jesus Christus getauft und konfirmiert sind. Liebe Gemeinde, es ist diese mangelnde Bedeutung des Glaubens bei uns und es ist diese allge- meine Geringschätzung der christlichen Werte und Überzeugungen in unserem Land, die für mich zuerst angesprochen sind, wenn ich höre: „Gott, unser Heiland, will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist EIN Gott und EIN Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung ...“ Und ich wünschte mir, dass in unseren christlichen Kirchen, Gemeinden und Versammlungen wied- er mehr davon zu sehen, zu hören und zu spüren wäre, dass wir zu einer Glaubensgemeinschaft zäh- len, die sich auf den wahren Gott beruft, der seinen Sohn Jesus Christus - und niemand anderen! - zu unserer Erlösung und Rettung in die Welt gesandt hat. Und wir haben ganz gewiss genug zu tun, wenn wir uns dabei auf unser christliches Umfeld beschränken und auf die Menschen, die oft ganz in unserer Nähe leben, vielleicht in unserer Familie, die auch getauft und konfirmiert sind, die aber ihren Glauben so wenig zeigen und ihr Denken und Handeln von so vielen Einflüssen bestimmen lassen, nur nicht von dem Herrn, nach dem sie Christin/Christ heißen. Es mag ja nun sein, dass wir uns so sehr daran gewöhnt haben, dass der Glaube der Christen in un- serem Land ins Private verdrängt worden ist und dabei immer mehr als eine nur persönliche Angel- egenheit gilt. Nach den Worten aus dem 1. Timotheusbrief, die wir heute bedacht haben, müssten wir allerdings wenigstens innerhalb unserer Gemeinde und vor den anderen Menschen, die den Namen Jesu Christi tragen, wieder sichtbarer, hörbarer und glaubhafter davon zeugen und reden, was eigentlich die Mitte und die Wahrheit unseres Glaubens ist: Dass wir den einen Gott haben und den einen Mittler zwischen ihm und uns: Jesus Christus. Und dass es um nicht weniger geht als un- ser aller Erlösung! Ich glaube fest, damit haben wir schon genug zu tun - für ein ganzes Christenleb- en! Sollte aber wirklich noch Zeit bleiben und sich Gelegenheiten dafür ergeben, auch vor den An- hängern anderer Religionen für die christliche Sache und die Wahrheit unseres Glaubens ein- zutreten, dann wollen wir das klar und deutlich tun, aber niemals rücksichtslos und ohne zu achten, dass die Andersgläubigen von dem, was ihr Glaube ist, genau so überzeugt sind, wie wir von un- serem. Eines aber können wir immer und zu jeder Zeit üben, nämlich das, was Paulus uns an diesem Sonntag Rogate besonders ans Herz legt: So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen ...! AMEN