Predigt zum Karfreitag - 2.4.2010 Textlesung: 2. Kor. 5, 14 - 21 Denn die Liebe Christi drängt uns, zumal wir überzeugt sind, dass, wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch; und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr. Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. Liebe Gemeinde! Das wird Ihnen ähnlich gegangen sein wie mir: Der erste Teil dieser Verse ist einigermaßen unverständlich, voller "Dogmatik", wie Theologen sagen. Der zweite Teil spricht uns an, besonders ein Wort, das auch gleich fünfmal vorkommt: Versöhnung. Und auch das wird bei Ihnen ähnlich sein wie bei mir: Ich möchte mir immer etwas vorstellen können zu dem, was ich höre oder lese. Im ersten Teil entsteht in meinem Kopf kein Bild. Im zweiten aber sofort! Und vielleicht ist auch das bei Ihnen gleich wie bei mir: Ich höre "Versöhnung" und sehe eine ausgestreckte Hand vor meinen inneren Augen, Gottes Hand. Ich denke mir diese Hand so, dass ich sie nur ergreifen Muss, einschlagen Muss, um mit Gott ins Reine zu kommen. Aber ist das genug? Ist das der ganze Karfreitag? Reicht das als Bild für die Botschaft dieses höchsten Feiertags der Christen? Erwarten wir heute nicht, dass über Jesu Weg ans Kreuz gesprochen wird, über sein Leiden und seine Qual am Holz, über seine letzten Worte: Vater vergib ihnen ... und: Es ist vollbracht? Und müsste heute nicht sein Opfer zur Sprache kommen, das Lösegeld, das er für die Schuld aller Menschen bezahlt hat? Erwarten wir nicht das? Ja und nein. Ja - weil wir doch meinen, das gehört nunmal zum Karfreitag: Kreuz, Blut, Schmerz, Leid und Opfer. Und nein - weil wir uns eigentlich einen anderen Zugang wünschen, um in die Geschichte mit Gott und die Sache Jesu einzutreten. Kreuz - wir begreifen das einfach nicht mehr so recht, warum der Sohn Gottes hat leiden und sterben müssen. Opfer - wie kann das Lösegeld, das Jesus vor 2000 Jahren gezahlt hat, noch uns Menschen des 20. Jahrhunderts freikaufen? Schmerz - wie kann Gott es nur zulassen, dass einer für alle soviel Qual auf sich nimmt; er ist doch unschuldig gewesen! Bleiben wir für heute einmal bei diesem "Nein" zu den Begriffen, die sonst an diesem Tag genannt werden. Und sagen wir auch "nein" zu all den gewichtigen, schwer verständlichen Wörtern und Gedanken, von denen wir vorhin im ersten Teil der Lesung gehört haben. Bleiben wir bei diesem Wort: Versöhnung - und bei diesem Bild: Gottes ausgestreckte Hand. Wir kennen dieses Bild aus unseren menschlichen Beziehungen. Das war vielleicht erst neulich gewesen, dass wir einem oder einer in unserer Nähe unsere Hand hingehalten haben. "Komm, sei wieder gut, ich bin dir auch wieder Freund oder Freundin." Vielleicht war es ja auch umgekehrt: Einer oder eine -, hat uns die Hand gereicht? Im ersten Fall braucht es für uns viel Mut, die Hand dem anderen hinzustrecken. Und es erleichtert unser Herz, wenn er oder sie einschlägt. Im anderen Fall kommt der andere unserem Mut zuvor, nimmt uns ab, es mit der hingehaltenen Hand zu wagen. Denn ein Wagnis ist es ja auch immer. Was ist, wenn unser Gegenüber sich zurückzieht, ja vielleicht verweigert, unsere Hand zu ergreifen? Schmerzlich ist das! Und peinlich. Das verletzt tief. Wer weiß, ob wir je wieder einen Versuch machen? Aber wenn unsere Hand ergriffen und gedrückt wird...das ist wunderbar. Das macht alles wieder wett, was es uns vorher an Kraft und Überwindung gekostet hat! Ja, und genau das, so denke ich es mir, ist es, was sich an Karfreitag zwischen Gott und dem Menschen abspielt. Nein, ich Muss das persönlicher sagen: Heute streckt Gott seine Hand nach dir aus und nach mir aus - dass wir sie erfassen und nicht mehr loslassen. Ja, das ist für mich das Bild des Karfreitags. Da liegt alles drin, was diesen Tag ausmacht. Aber jetzt fragen wir uns sicher: Habe ich denn Streit mit Gott gehabt oder auch nur Anlass dazu gegeben, dass Gott mir böse ist oder mit mir nicht einverstanden sein könnte? Ja, habe ich gar Schuld auf mich geladen, die Kreuz und Tod verdient hat? Denn das ist doch die Predigt aller Karfreitage zuvor gewesen, dass Christus für unsere Schuld leidet und stirbt. Aber bleiben wir, um eine Antwort zu geben, beim Bild von Gottes Hand und was wir mit dieser Hand machen und ein Leben lang gemacht haben: Sie hat uns schon geschaffen, diese Hand! Wir sind aus ihr hervorgegangen. Sie hat uns gewollt, geformt und mit allem begabt, was zu einem Leben als Mensch nötig ist. Ihr verdanken wir alles. Aber sind wir bei ihr geblieben, an dieser Hand und an der Seite dessen, der uns geschaffen hat? - Weggelaufen sind wir! Da war uns zu wenig Freiheit, oder was wir für Freiheit hielten. In unserem Eigensinn sind wir immer wieder eigene Wege gegangen: Ich nehme mein Leben in die eigenen Hände! Ich mache etwas aus mir! Ich Muss nur richtig zupacken, dann wird es mir schon gelingen! So und ähnlich haben wir immer wieder geredet. - Was ist dabei herausgekommen? Nichts Gutes meistens. Wo wir uns in den Vordergrund geschoben haben, musste Gott in den Hintergrund treten - und unsere Mitmenschen auch. Wo einer sich ein großes Stück vom Kuchen nimmt, da bleibt halt für andere nur noch ein kleines übrig. Und Gott lässt uns ja immer die Freiheit, eigene Wege zu wählen, selbst in die entgegengesetzte Richtung lässt er uns laufen. So haben wir also oft genug seine Hand verlassen, ja, auf sie gespuckt haben wir. Gut, hin und wieder sind wir für ein Weilchen zurückgekehrt in Gottes Nähe. In der Stunde an Heiligabend oder während der Beerdigung waren wir seiner Hand wieder einmal ganz nah. Oder es war neulich vor der Operation, vor der uns so bange war, oder mit der Prüfung vor Augen, die wir ablegen mussten. Auch die Angst, die uns manchmal überfällt, ist so ein Moment, in dem wir nach Gottes Händen tasten. Da können wir beten. Da sind wir zu mancherlei Versprechen bereit. Da könnte alles neu werden - auch in unserer Beziehung nach oben. Aber wie lange hält das an? Stunden? Tage? Eine Woche gar? Dabei zieht Gott dann seine Hand nicht einmal beleidigt zurück! Denken wir doch, wie uns dann wäre: Wir haben doch unsere Hand ausgestreckt, unser Gegenüber hätte nur zugreifen müssen, und es ist uns ja auch gar nicht leicht gefallen... Und dann das: Kalt abgewiesen! Ich brauche dich nicht...mehr. Ich kann wieder ohne deine Hilfe weiter. Als könnte ich mein Leben nicht in meine eigenen Hände nehmen! Übrigens - ich bin überzeugt davon: Ganz tief in unserem Herzen wissen wir genau, dass wir nicht immer so weitermachen können! Vielleicht fühlen wir uns heute noch zu stark, uns endlich den guten Händen Gottes anzuvertrauen? Vielleicht meinen wir, ich bin doch noch zu jung - später wird noch viel Zeit sein? Vielleicht trauen wir uns auch nicht, uns Gott in die Hand zu geben, weil wir denken, das wäre doch beschämend und peinlich für so selbständige, starke Menschen wie wir es sind. Aber - wir ahnen es: Wir sind nur stark, weil Gott uns alle Kraft gibt. Und wir sind nur jung, weil wir glauben und hoffen, dass wir noch ein langes Leben vor uns haben. Vor Gott ist unsere Lebensuhr vielleicht schon fast abgelaufen und unsere Tage sind schon alt und abgetragen wie ein Kleid? Und beschämend ist es wohl viel mehr für den Schöpfer, der uns gemacht hat, wenn wir uns ihm entziehen und in die eigenen Hände nehmen. Und peinlich... Pein, Qual und Leiden war es für Gott, an gerade dem Kreuz zu sterben, das unser Eigensinn und unsere Ichsucht aufgerichtet hat und täglich neu aufrichtet. - Aber wir wollen beim Bild der Hände bleiben: Heute - an diesem Karfreitag - streckt uns Gott wieder neu seine Hand hin. Er spricht dazu: Komm, mein Kind, schlag ein. Heute fangen wir neu miteinander an. Lass dich mit mir versöhnen! Es soll nichts mehr zählen von dem, was bis heute war, was du mir angetan hast, womit du mich beleidigt und wie du mich verachtet hast. Du darfst ganz neu anfangen. Keine Schuld gilt mehr. Keine Sünde soll uns trennen. Ich sehe dich an, als gingest du heute neu aus meinen Händen hervor, wie neu geboren...frei, unbelastet, gut und mit allen Möglichkeiten. Wenn wir jetzt fragen, aber warum nur gibt Gott mir diesen neuen Anfang, warum diese Güte, dieses Erbarmen mit mir... ich habe das doch nicht verdient... Dann zeige ich auf diese anderen Hände, dort vorn auf dem Altar, die durchbohrten Hände unseres Herrn. Er ist der Grund dafür, dass ich frei bin und reinen Händen und unbeschwertem Herzen vor Gott treten darf. So spricht Gott heute mit uns, so freundlich und so voller Güte: "Lass dich mit mir versöhnen! Schlag ein, fang neu an mit mir!"