Predigt zum Sonntag „Sexagesimä“ - 7.2.2010 Textlesung: Hebr. 4, 12 - 13 Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen. Liebe Gemeinde! Einer meiner Lehrer, bei dem ich das Handwerkszeug für die Verkündigung mitbekommen habe, hat immer gesagt: „Wenn Sie den Menschen predigen, müssen Sie immer damit rechnen, dass die Leute bestätigt werden wollen.“ Mit dieser Anschauung habe ich seitdem immer gehadert! Dabei war ich - was diesen Satz angeht - gar nicht anderer Meinung als er. Natürlich wollen die Menschen bestätigt werden. Natürlich möchten sie gern hören, dass sie in Ordnung sind mit Gott, dass sie ein gutes, christliches Leben führen. Das war und ist für mich keine Frage. Wo wir auseinandergingen - mein Lehrer und ich - war die Art, mit diesem Wünschen und Wollen der Menschen umzugehen. Es war die Frage: Darf ich die Leute bestätigen, nur weil sie das erwarten. Werde ich dem Evangelium gerecht, wenn ich alle seine Kanten und Ecken abschleife, nur dass sich dann keiner mehr daran wehtut. Noch einmal anders gesagt: Darf ich Gottes Wort die Spitze abbrechen, nur „weil die Leute es doch so haben wollen“??? Sie merken an der Weise, wie ich hier spreche: Ich bin der Meinung, ich darf das nicht, niemals! Ich will es einmal „spitz“ formulieren: Wenn Sie, liebe Kirchgänger, heute von hier weggingen mit dem Gefühl, was bin ich doch für ein guter Christ, wie darf ich doch mit mir zufrieden sein, dann sollte ich als Prediger des Wortes Gottes lieber meinen Talar (Anzug, Stola) an den Nagel hängen, dann hätte ich nämlich meinen Auftrag verfehlt. Noch deutlicher: Ich machte mich schuldig vor diesem Wort Gottes, wenn ich es verkürze, ihm die Schärfe nehme, nur dass es keinen aufrüttelt oder beunruhigt. Das will das Wort nämlich tun. Das will Gott tun: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer denn ein zweischneidiges Schwert und dringt durch ...“ Nun ist es sicher so, dass Sie eben gedacht und zu sich gesprochen haben: Aber ich gehe doch oft am Sonntag nach Hause, ohne dass mich die Predigt aufgewühlt oder auch nur verunsichert hat. Wie oft konnte ich schon sagen: Der Pfarrer (PrädikantIn, LektorIn) hat heute wieder „schön“ ge- predigt - und gemeint war: ich darf mit mir eigentlich ganz zufrieden sein. - Ist das nicht ein Wider- spruch zu diesem Bild vom Wort Gottes: Es ist ein zweischneidiges Schwert!? Liebe Gemeinde, das Wort Gottes ist und bleibt kräftig und scharf! Es will die Geister scheiden, aus dem Schlaf der Sicherheit wachrütteln, und es will durchdringen bis in unser Herz ... Aber wir haben gelernt, uns gegen dieses „Schwert“ zu schützen! Wir haben viele Schutzschilde erfunden und entwickelt, die es nicht bis in unser Inneres dringen lassen. Und ich will diese Schilde heute auch einmal nennen - offen, unverblümt - auf die Gefähr hin, dass Sie sich ärgern, aber auch mit dem Risiko, dass Sie sich auch jetzt gegen die Worte der Predigt schützen. (Übrigens kann ich über diese Abwehr des göttlichen Wortes nur reden, weil ich selbst diese Schutzschilde auch benutze!) Das erste Schutzschild ist: Wir hören einfach nicht zu. Wir machen uns unsere eigenen Gedanken. Und - das setze ich einmal voraus - nicht weil die Predigt so langweilig wäre, sondern weil wir so dem Zwang entgehen, uns mit dem Gehörten auseinanderzusetzen. Aus einem solchen Hören ent- steht vielleicht dann zu Hause dieses Gespräch: „Worüber hat der Pfarrer denn heute gesprochen? - Über die Sünde. Und ... was hat er gesagt? - Er war dagegen!“ - Um das zu wissen, hätte aber wahrhaftig niemand in die Kirche gehen müssen. Ein anderes Schutzschild ist dieses: „Was der oder die auf der Kanzel sagt, passt ja wirklich haar- genau für den und den!“ „Wie der Prediger doch wieder den XY so richtig gesehen hat!“ - Wir len- ken das Schwert des Wortes Gottes sozusagen auf unsere Mitchristen ab. Nicht wir sind betroffen, der andere ist gemeint - und zwar ganz genau. Unser Gefühl nach dem Gottesdienst ist dann etwa: „Wie aktuell ist doch Gottes Wort, wie gut kennt es die Menschen und diese Zeit. Erstaunlich, je- dem hat es immer etwas zu sagen - bloß mir nicht. Aber hoffentlich hören die andern gut zu!“ Hier ist ein drittes Schutzschild - von den vielen, die es gibt: Dieses Schild ist durchlässig. Es lässt das Schwert des göttlichen Wortes hindurchfahren, bis unter die Haut, vielleicht sogar ins Herz. Aber sogleich beginnen wir dann die Wunde, die es uns geschlagen hat, zu verarzten, sozusagen zu „desinfizieren“: „Es war gewiss nicht so gemeint! Das steht aber so nicht da! Diese Auslegung ist schief. Der Pfarrer konnte heute etwas Richtiges nicht so recht ausdrücken.“ - Dabei ahnen wir doch insgeheim, dass es schon richtig gesagt, ausgelegt und ausgedrückt war. Nur haben wir’s selbst so verbogen und stumpf gemacht - das Schwert des Wortes Gottes. Es sollte uns doch nicht allzusehr schneiden und verletzen. Eine vierte Art der Abwehr ist nicht zu überbieten. Da hantieren wir mit allen drei genannten Schil- den, je nach Bedarf, je nach Schärfe des Wortes, je nach eigener Verfassung und Laune. Die Vir- tuosen dieses Gebrauchs der drei Schilde können aber auch jeden Angriff abschmettern: Mal hören sie gar nicht erst hin, mal lenken sie das Wort auf den Nachbarn, mal nehmen sie ihm die Spitze. Sie sind am meisten gefährdet, dass Gottes Wort bei ihnen nichts ausrichtet. Ja, wirklich: „gefährdet“! Denn die Gefahr ist nicht, dass uns Gott mit der Schärfe seines Wortes erreicht; die Gefahr ist, dass er uns nicht erreicht, dass wir uns ihm immer wieder entziehen; denn das Schwert des Wortes Gottes will uns heilen! - Jetzt wird es Zeit, dass wir das Bild vom Schwert des göttlichen Wortes ergänzen: Ja, es schneidet, es dringt bis in unser Herz, es scheidet Seele und Geist ... aber es heilt auch! Ja, es ist lebendig - aber es hilft auch zum rechten Leben; es ist kräftig - aber es gibt uns auch Kraft, dass wir an der Wunde, die es schlägt, gesund werden; es ist scharf - aber es schärft auch unser Gewissen und Urteil, ob wir denn Menschen sind, die Gottes Willen entsprechen. - Warum aber lassen wir uns dann Gottes heilsames Schwert nicht gefallen? Eine kleine Geschichte: Ein Mann verliert alles, was er hat, sein ganzes Vermögen. Zuerst ist er wie von Sinnen vor Schmerz über den Verlust und vor Scham, wenn die Leute über ihn tuscheln und das Gesicht zu einem mitleidigen Grinsen verziehen. So nach und nach aber kehrt der Lebenswille wieder. Er arbeitet für seinen Unterhalt - was er früher nie gebraucht hat. Zum ersten Mal in seinem Leben spürt er: Dass ich essen und trinken kann, dass ich ein Dach über dem Kopf habe, hat mit dem zu tun, was ich leiste, was ich mir erarbeite. Ein ganz neues Gefühl überkommt ihn: Zufrie- denheit. Er ist eins mit sich und der Welt. Ohne das „Unglück“ am Anfang, wäre er nie so weit ge- kommen. Der Verlust ist zum Glück geworden. Die Schmach zum Segen. Der Schmerz war der Beginn der Heilung. Gewiss: eine erfundene Geschichte. Aber so etwas soll es ja geben. Und so etwas gab es: Wie hat Jesus zum reichen Jüngling gesprochen: Verkaufe alles, was du hast und gib’s den Armen und dann komm und folge mir nach. So gewinnst du Gottes Reich. Oder wie spricht der Zöllner Zachäus: Ich will denen, die ich betrogen habe, alles vierfach zurückzahlen! Drei Beispiele für ein und die selbe Sache: Es tut weh, am Anfang, wenn wir mit Gott und seinem Willen Kontakt bekommen! Und schon sein Wort kann weh tun, kann schmerzen und schneiden. Ja, es will geradezu unsere Abwehr zerschlagen und bis ins Herz dringen: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer, denn ein zweischneidig Schwert ...“ Aber es will uns auch heilen, gesund machen an unserem Geist, an unserem Willen und unserem Gewissen. Es ist ja doch nichts gewonnen, wenn wir uns vormachen, es wäre bei uns alles in Ordnung, wir wären nicht ge- meint, wir hätten die Mahnung nicht nötig, für uns wäre das kein passendes Wort ... und was wir sonst noch alles vorschützen. Vielleicht beobachten wir uns einmal in der kommenden Zeit, immer wenn wir ein Bibelwort lesen oder hören, oder wenn wir unter einer Kanzel sitzen. Wie funktioniert unsere Abwehr? Welcher „Schilde“ bedienen wir uns? Es sollte uns misstrauisch machen, wenn wir etwa nach der Kirche nach Hause gehen und denken: Was war die Predigt doch wieder so schön! Ich glaube nicht, dass die Botschaft des Wortes Gottes je „schön“ sein wird. Ich glaube nicht, dass es bei dem Schwert seines Wortes je ohne Verletzungen und schmerzhafte Schnitte abgeht. Aber ich glaube, dass wir an diesen Wunden gesund werden können - und nur an ihnen! Liebe Gemeinde, wenn hier nicht jeden Sonntag neu etwas von der Schärfe des Wortes Gottes zu spüren ist, dann liegt das an den Schilden, die wir uns vor das Herz halten. Oder aber - und dann sollten Sie Ihren Pfarrer, ihren Prädikanten oder Lektoren sehr ernst zurechtweisen - der Prediger hat begonnen, dem Schwert des göttlichen Wortes die Spitze abzubrechen. AMEN