Predigt zu Heiligabend - 24.12.2009 Geeignet für Christvesper und Christmette für die erwachsene Gemeinde! (Hinweis: Vor dem Altar steht eine mit Strohhalmen gefüllte Krippe!) Liebe Gemeinde am Heiligen Abend! Warum sind wir heute Abend hier in der Kirche? Einige werden antworten: Weil das doch einfach dazugehört - an diesem Abend! Andere sagen vielleicht: Das ist doch immer so feierlich und rührt mich im Innersten an. Darauf möchte ich ein- fach nicht verzichten und davon kann ich immer noch lange zehren. Und noch eine ganze Reihe anderer Gründe gibt es, heute den Gottesdienst zu besuchen. Warum ich hier bin, fragen sie? - Nicht nur, weil ich heute Dienst habe - das glauben sie mir sicher. Und gewiss verbinden mich die Gründe, die ich habe, mit vielen anderen hier: Auch ich suche hier ein bisschen Freude. Ich möchte hier etwas über den innersten Kern der Weihnacht erfahren, der uns heute mehr und mehr verlorengeht und ich wünschte mir, dass hier auch mein Gefühl ange- sprochen wird - ich sage das altmodische Wort - ich suche hier etwas fürs Herz! Unter dem Weih- nachtsbaum zu Hause komme ich jedes Jahr zu kurz. Das ist mehr für die Kinder und Enkel ge- dacht. Die haben es ja so viel leichter mit dem Gefühl und der Freude! Hier - in der Kirche - kann vielleicht auch ich ein wenig froh werden. Darum bin ich gekommen - und viele andere auch. (Lied: EG 10, 1+2) Ganz unterschiedliche Wünsche bewegen uns jetzt, hier in diesem Gottesdienst am Heiligen Ab- end. Und doch, das glaube ich fest, ist uns eines allen gemeinsam: Wir erwarten etwas von dieser Stunde, wir suchen Hoffnung und Freude, wir sind voller Sehnsucht ... Alles andere ist vor- dergründig! Nicht weil es nunmal dazu gehört, sind wir hier! Nicht wegen dem bisschen Gefühl! Uns alle verbindet ein Sehnen, dass heute Abend - hinter all dem Rummel, hinter aller Hektik der vergangenen Tage, hinter Geschenkeweihnacht und den aufgesetzten Festtagsmienen ein Licht auf- strahlt, eines, an dem uns in tiefster Seele warm wird, eines, dessen Schein uns den Weg erhellt und uns noch lange begleitet. Das wünschen wir uns - alle! Und vielleicht können wir diesen einen Wunsch in solche Worte fassen: Hier soll das Wunder geschehen, dass bei uns noch einmal alles anders wird: Wo wir trauern, möchten wir getröstet werden, wo wir einsam sind, möchten wir einen finden, der für uns da ist, wo wir Lasten tragen, wollen wir frei werden, wo wir verstrickt sind in Schuld, möchten wir aufatmen, wo man uns verachtet, wollen wir neu anfangen dürfen ... Weih- nachten, wie wir es ersehnen, soll ein Beginn sein, das Ende für manches, das uns beschwert und quält und der Anfang einer neuen Zeit - für uns persönlich, in unseren Beziehungen untereinander - und auch im Verhältnis zu unserem Gott. Da passt es gut, dass auch der Predigttext, der uns für heute Abend empfohlen ist, von Veränderung und Neuanfang spricht. Er tut es das mit diesen Worten: Textlesung: Tit. 2, 11 - 14 Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken. Statt des Immer-so-weiter also ein neuer Anfang. Statt weltlicher Begierden - Zucht. Statt ungöttli- chem Wesen - Besonnenheit und Gerechtigkeit. Hohe Ziele! Erwarten wir das wirklich? Wollten wir nicht doch einfach nur eine gute, schöne Stunde fürs Gemüt? Nun, vielleicht sind das ja wirklich ein wenig zu hohe Gedanken, von denen wir eben gehört haben: Zucht, selige Hoffnung, Erscheinung der Herrlichkeit ... Aber ich glaube schon, dass jedes Jahr wieder alles, was wir in den Tagen vor Weihnachten bedenken, planen und vorbereiten im Grunde nur diesem innersten Wunsch dienen soll: Dass zum Fest etwas geschieht, etwas anders wird für uns, ja - sagen wir’s in etwas einfacheren Worten: dass sich ein Wunder und die Freude einstellen? Warum machen wir Geschenke und lassen uns beschenken? Warum die Sorge um den Christbaum und das Schmücken? Warum die Arbeit um die Plätzchen und den Braten? Warum der Weihnach- tsputz, die festliche Kleidung, die stimmungsvollen Lieder? Warum auch die Mühe mit den Gefühlen und dem fröhlichen Gesicht, obgleich wir doch eigentlich so abgeschafft und fertig sind? - Wenn nicht wegen einem Wunder, wegen der Freude, wegen dieser tiefen Sehnsucht, es möge doch heute etwas geschehen, zu diesem Fest, in dieser Christnacht ... Nun müssen wir aber auch das sagen: Immer wieder, Jahr für Jahr ist es nicht wahr geworden! Un- sere Hoffnungen wurden enttäuscht, Wünsche sind nicht zum Ziel gekommen, was wir erwartet ha- ben, hat sich nicht erfüllt. Schenken und der Schmuck der Weihnachtsstube, Kerzenglanz und „O du fröhliche“ konnten das Wunder nicht herbeizwingen. Immer aufs Neue, „alle Jahre wieder“, wich unser Sehnen der Resignation. - Kann das Wunder wohl heute geschehen? (Lied: EG 10, 3) In einer uralten Legende wird erzählt, auch ein Wolf habe sich auf den Weg gemacht, um dem neu- geborenen Kind einen Besuch abzustatten. Es war ein Wolf, wie Wölfe halt sind, blutrünstig, hun- grig, mordgierig ... In einem unbeobachteten Augenblick inmitten der Heiligen Nacht drückt er sich vorsichtig durch die Stalltür, blickt sich um und als er sieht, dass Maria und Josef schlafen, schleicht er heran an die Krippe ... Weil er nichts sehen kann von dem Kind, erhebt er sich auf die Hinterläufe, stützt sich mit den Vordertatzen auf den Rand des Futtertrogs und schaut dem Kind ins Gesicht. Das Kind lächelt, scheint keine Angst zu haben vor den Wolfsaugen, dem zottigen Fell, dem bleckenden Gebiss ... So etwas hat der Wolf noch nie erlebt. Irgendwie bewegt sich etwas in ihm. Sein Wolfswesen bekommt einen Riss! Auch wird ihm innerlich wärmer, Gefühle, die er nie gekannt hat, durchströmen ihn, machen sich breit in ihm. Als er sich nach einer ganzen Weile zum Gehen wendet, bleibt ein Strohhalm an seinem struppigen Pelz hängen. Noch viele Tage - so weiß es die alte Legende - sei der Wolf wie verwandelt gewesen. Solange der Strohhalm von der Krippe in seinem Fell hing, konnte er keine Mordgedanken haben, konnte keinem anderen Tier etwas zuleide tun, konnte nicht töten, ja, nicht einmal beißen. Mit diesem Strohhalm war ein kleines Stück des Wunders der Heiligen Nacht von der Krippe mit ihm gegangen. Wir wissen nicht, was in diesem Wolf vorgegangen sein mag, aber die Legende möchte ja uns an- sprechen und etwas über uns Menschen sagen! An der Krippe des Heilands geschieht offenbar et- was mit unserem innersten Wesen. Die Gedanken, die wir mitbringen, können wir nicht mehr den- ken, wenn wir von der Krippe weggehen. Die Meinung über Gott und die Welt ist nicht mehr di- eselbe, wenn wir dem Kind ins Antlitz geblickt haben. Die Sorgen, die uns so schwer waren, drücken nicht mehr wie vorher. Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher. Der Strohhalm von Jesu Krippe verändert unser Herz. Eine wunderbare Verwandlung geht vor. - Woher kommt das? Ich denke mir, das hat mit dem Wunder Gottes zu tun, für das uns das Kind im Futtertrog steht. Es ist das Wunder, das wir heute so gern übersehen, weil sich uns so viel Kram und Ablenkung, so viel Krampf und Flitter davorschieben. Vielleicht aber können wir auch in dieser modernen Welt mit ih- rem Wohlstandswahn und all ihren Verirrungen das Krippenwunder nicht mehr begreifen, mögen wir auch noch so lange hinschauen? Ja, vielleicht ist das für uns heute einfach zu groß, zu gewaltig, zu fremd? Denn da liegt Gott im Viehtrog! Der Gott, den wir uns immer so gern im majestätischen Purpur, sitzend auf seinem himmlischen Thron vorstellen, ist ein hilfloses Kind „in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend“. Die Weite seiner Himmelshallen, in denen er nach unserer Phantasie lust- wandelte, hat er gegen die Enge eines Stalls eingetauscht. Die himmlischen Düfte werden hier von Ochs und Esel verbreitet. Dein und mein Schöpfer, der Ursprung und Vollender der Welt beginnt seinen Weg mit einer Arme-Leute-Geburt. Die Gäste sind standesgemäß: Hirten vom Feld, die Außenseiter der Gesellschaft, Zeichendeuter, Magier, die verachtetsten Leute, die jedem anständi- gen Menschen verdächtig waren. Gott kam zur Erde - und ist im wahrsten Sinn „heruntergekom- men“ in diesem Kind. Oben und Unten berühren sich. Das Oberste wird zuunterst gekehrt. Gott wird Mensch, einer der Ärmsten - und wir? - werden seine Schwestern und Brüder. Und wir wissen, wie die Sache weiterging: Ein Leben lang der untere Weg. Immer keinen Ort ge- habt, wo er sein Haupt hätte hinlegen können. Aus der Härte der Krippe an die harten Balken des Kreuzes. Leiden und Tod, Schmerzen und Blut - um uns, den Schwestern und Brüdern zu zeigen, wie die Liebe des Vaters ist: Gewaltig, grenzenlos, ohne Maß, ein verzehrendes Feuer ... (Lied: EG 10, 4) Kommt sie an bei uns, die Liebe Gottes? Begreifen wir an der Krippe, was da Unbegreifliches ge- schieht? Da liegt Gott als ohnmächtiger kleiner Mensch. Da gibt er sich in meine Hand. Da macht er sich so gering, dass ich ihn leicht übersehen kann. Aber da wird er auch wie ich, mein Gefährte, da kommt er wie ein Bruder an meine Seite, da wird alles neu und anders: Unsere Sorgen erscheinen in einem anderen Licht - was sind sie, gemessen an Gottes Sorge um seine Kinder, wie sie in dieser Nacht deutlich wird? Unsere Traurigkeiten können nicht dunkel bleiben - vor dem, was Gott in diesem Kind auf sich nimmt, müssen sie weichen. Unsere Ängste werden klein vor der Angst, die dieses Kind später für uns durchleidet. Unsere Einsamkeit ist ein für allemal vorbei - wir haben alle einen Bruder und durch ihn unzählige Geschwister. An seiner Krippe kann für uns alles neu an- fangen. Von seiner Krippe gehen wir nicht fort, wie wir gekommen sind: Der Wolf kann nicht mehr beißen! Der furchtsame Hase kriegt neuen Mut! Der verachtete Schakal erfährt, was auch er wert ist. Der stolze Löwe entdeckt die Gemeinschaft. Die kleine graue Maus bekommt Selbstvertrauen. Die boshafte Schlange spürt Mitgefühl ... Wir müssen zur Krippe gehen! Wir müssen das Wunder sehen! Das Oberste ist zuunterst gekom- men. Gott ist Mensch geworden. Einer von uns. Wir seine Geschwister. Keiner ist mehr allein! Keiner muss bleiben, wie er ist. Es kann nun alles anders werden! „Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen ... die selige Hoffnung und Er- scheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus ...“ AMEN (Hinweis: Am Ende des Gottesdienstes werden alle Besucher eingeladen an der Krippe vor dem Altar vorbeizugehen und sich einen Strohhalm mitzunehmen!)