Predigt zum 1. Adventssonntag - 29.11.2009 Liebe Gemeinde! Immer wieder einmal haben wir das doch empfunden, gedacht oder auch ausgesprochen: „So ganz leicht ist es nicht, eine Christin, ein Christ zu sein!“ Als Frage hat sich das vielleicht so angehört: Wie lebt man als Christ? Was gehört alles dazu, wenn wir Christen sein wollen. Was darf nicht feh- len? Ganz konkret haben wir dann überlegt, ob ein guter Christ wohl regelmäßig in der Bibel lesen muss oder ob man ihn daran erkennt, dass er sonntäglich zur Kirche geht? Vielleicht genügt es ja auch, die 10 Gebote zu halten oder sich bei schwierigen Entscheidungen immer wieder zu fragen: Was hätte Jesus jetzt wohl getan? - In den Versen, über die uns heute nachzudenken empfohlen ist, gibt uns der Apostel Paulus eine klare Antwort. Und er fällt dabei sozusagen gleich mit der Tür ins Haus. - Wir hören auf Worte aus dem Römerbrief, sie stehen dort im 13. Kapitel, die Verse 8 - 14: Textlesung: Röm. 13, 8 - 12 (13 - 14) Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn was da gesagt ist (2. Mose 20,13-17): »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst (3. Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung. Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschwei- fung, nicht in Hader und Eifersucht; sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt. Wie hieß das eben gleich am Anfang?: „Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr euch un- tereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt.“ Wenn wir diesen Satz durchbuchstabieren und in unserem Kopf hin und her bewegen, merken wir es dann doch: So ganz zufrieden sind wir damit noch nicht, denn aus der Frage danach, wie wir rechte Christen sein kön- nen, ist jetzt die Frage geworden, wie wir unsere Mitmenschen denn richtig lieben sollen: Was ge- hört alles zu dieser Liebe? Genügt es, dass wir einander freundlich wahrnehmen? Müssen auch Worte sein? Sind Berührungen erlaubt? Auch möchten wir wissen, ob ein bisschen Liebe und Güte hin und wieder wohl schon genug ist? Und schließlich interessiert uns, ob unsere Liebe auch für den schwierigen Nachbarn gelten soll, mit dem wir uns schon so lang nicht mehr grüßen! Paulus kannte die Menschen. Er wusste auch schon um unsere Fragen und hat sie beantwortet: Was es alles an Gesetzen gibt „und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammenge- fasst ‘Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.’“ Ich glaube wirklich, jetzt wissen wir Be- scheid: Dieses „wie dich selbst“ ist sozusagen der Schlüssel, der uns die Tür zur Nächstenliebe und damit zum rechten Christsein öffnet! Mehr als diesen Schlüssel brauchen wir nicht. Er passt in allen Fällen, er schließt unser eigenes Herz auf und auch das jedes Mitmenschen. - Aber wir wollen den Schlüssel prüfen und es einmal mit ihm probieren. Paulus sagt, alle Gesetze seien in diesem Schlüssel enthalten! Machen wir die Probe an den vier Geboten, die er nennt: Du sollst nicht ehebrechen! - ... deinen Nächsten lieben wie dich selbst ... In diesem Fall ist der Nächste sogar ein Mensch, bei dem ich ein ganzes Leben zu bleiben versprochen habe. Wollte ich betrogen werden von diesem oder irgendeinem anderen Menschen? Wollte ich ihn hören, wie er einem anderen sagt, was er mir einmal zugesagt hat: Ihn nie zu verlassen, mit ihm durch Freud und Leid zu gehen, ihn für immer zu lieben, „bis der Tod uns scheidet“? - Nein, das wollte ich niemals hören und mir sollte das auch niemals ein anderer antun - schon gar nicht der, der mir anvertraut ist und dem ich anvertraut bin nach Gottes Willen. - Wenn ich so empfinde und das zu mir selber sagen muss, dann habe ich es verstanden: „Wie dich selbst!“, dann passt der Schlüssel! Was ich nicht will, dass es mir einer antut, das soll, das will ich auch keinem anderen antun! Du sollst nicht töten! - Das wünsche ich mir: Mein Leben soll von keinem anderen Menschen an- gegriffen oder beeinträchtigt werden. Ich möchte mich nach meinen Begabungen entfalten können, ich möchte mich frei entwickeln dürfen, wie es mir gefällt und wie es mir Freude macht. Auch meine Gesundheit soll mein Mitmensch achten, dass er mich mit seinem Verhalten im Straßenver- kehr nicht in Gefahr bringt und mit den Lebensmitteln, die er erzeugt oder mit denen er handelt, nicht schädigt. Meine ganze Person will den Lebensraum haben, den sie braucht, um glücklich und zufrieden zu sein und ein erfülltes Leben zu finden. - Ich denke, auch hier öffnet der Schlüssel „Wie dich selbst!“ nicht nur den Blick in unsere eigene Seele, sondern auch in die jedes anderen Menschen unter Gottes Himmel: Wie andere mir Leben und Lebensraum zugestehen sollen, so will ich das auch anderen gegenüber tun. Du sollst nicht stehlen! - Wie selbstverständlich ist mir das doch, Eigentum zu haben, das mir heute mein Auskommen gewährt und in der Zukunft mein Alter sichert. Wie wichtig ist mir auch der Ge- danke: Das gehört mir! Das darf mir keiner nehmen! Fast schon schmerzhaft ist die Vorstellung, ein anderer könnte mir rauben, was ich mir mit meiner Hände Arbeit erworben habe. Oft genug sind das ja nicht einmal Sachen, die irgend einen materiellen Wert haben. Aber es verbinden sich Erin- nerungen mit manchen Dingen, rufen Bilder in mir auf von Zeiten, die lange vergangen sind: Zeiten besonderen Glücks oder Gedanken an besondere Menschen, die längst nicht mehr bei mir sind. Je- denfalls gibt es auch viel, was ich nicht hergeben könnte, obwohl es nichts einbringen würde, wenn ich es verkaufte - aber mein Herz hängt daran! - Niemals möchte ich das verlieren, was mein Leben sichert und trägt, niemals will ich lassen müssen, was mir so lieb ist! „Wie dich selbst!“ Ja!, auch andere haben das Recht auf das, was nur ihnen gehört. Ich darf an nichts rühren, was doch ihr Ei- gentum ist. Du sollst nicht begehren ...! Und noch einmal passt der Schlüssel! Denn schon das ist schwer er- träglich: Zu wissen, ein anderer trachtet nach meinem Eigentum, nach meiner Frau oder meinem Mann, nach dem, was ich habe und besitze oder gar nach meinem Leben. Fröhlich und zufrieden jeden Tag zu begrüßen, hoffnungsvoll und mit Dankbarkeit jeden Tag zu beschließen wäre dann nicht mehr möglich. Ich möchte keinen Neid und keine Missgunst spüren. Ich möchte nicht das Ge- fühl haben müssen, ein anderer spekuliert auf mein Eigentum, meine Position im Beruf, auf meine Stellung in der Gesellschaft oder gar auf die Liebe des Menschen, der mit mir das Leben teilt. „Wie dich selbst!“ - Ich werde auch selbst nicht mit Begehrlichkeit oder Habsucht nach dem schauen, was das Leben eines anderen Menschen ausmacht und sein ist. Liebe Gemeinde, hier bleiben keine Fragen mehr offen, jedenfalls keine, was denn die Liebe ist und dass sie wirklich alle Gesetze und jedes weitere Gebot überflüssig macht. Und es ist auch nicht mehr fraglich, dass sie jedem Mitmenschen gilt - immer und ohne Einschränkung: Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses, sagt Jesus. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung. Zwei Dinge gehen mir aber weiter durch den Kopf. Das erste ist: Es scheint so, als müssten wir uns diesen Schlüssel doch auch nach Kräften einprägen – wieder und wieder, dass wir ihn nur ja nicht vergessen und verlieren: Wir sollen unseren Nächsten lieben, „wie uns selbst“. Von allein wird unser Begehren nach dem, was doch anderen Menschen gehört, wohl immer wieder durchkommen - auch bei uns Christen. So manches Reden und Verhalten von uns selbst und der Menschen unserer Umgebung lässt sich anders nicht erklären. Darum üben wir uns im Gebrauch dieses Schlüssels. Sagen wir uns das, was dieser Schlüssel bedeutet: „Wie dich selbst!“, immer wieder einmal vor - wenigstens in Gedanken! Das andere ist dies: Hilfreich ist sicher auch, wenn wir uns immer wieder einmal daran erinnern und erinnern lassen, dass wir „nur“ Geschöpfe Gottes sind, dass alles, was uns und unser Leben ausmacht, seine Geschenke sind, dass wir selbst nichts sind, nichts können und nichts haben! Und auch unser Leben ist Gottes Gabe. Und auch unsere Zukunft in der Herrlichkeit Gottes - wir können sie uns nicht verdienen. Jesus Christus hat sie uns erworben und will sie mit uns teilen. Vielleicht macht es uns dieses Wissen leichter, auch anderen das zuzugestehen, was ja auch ihnen von Gott geschenkt ist und sie zu lieben, wie wir uns selbst lieben. Ich glaube, eine solche Haltung ist gemeint, wenn Paulus am Ende der Worte, die er heute an uns richtet, so spricht: „... zieht an den Herrn Jesus Christus“! Ja, das wollen wir tun, indem wir uns in seiner Liebe üben! AMEN