Predigt zum 3. Advent - 14.12.2014 Textlesung: Mt. 11, 2 - 6 (7 - 10) Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. (Als sie fortgingen, fing Jesus an, zu dem Volk von Johannes zu reden: Was seid ihr hinausgegan- gen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern se- hen? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch: er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist’s, von dem geschrieben steht (Mal. 3,1): „Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.“) Liebe Gemeinde! „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“, sagt Jesus. Ich glaube fest, nicht nur die Jünger des Johan- nes, die Jesus hier anspricht, auch wir haben uns alle schon an ihm geärgert - und wir tun es wohl noch! Bevor Sie jetzt protestieren, lassen Sie mich das erklären: Als Jesus über diese Erde ging hatten die Menschen ganz bestimmte Erwartungen. Der da „kom- men sollte“, war der Messias. Und der sollte Israel von der Herrschaft der Römer befreien und wie- der zu seiner früheren Größe bringen. Das konnte nicht ohne Gewalt geschehen, deshalb musste der Messias Soldaten haben und mit dem Schwert die Besatzer vertreiben. Und dann war er gekom- men, dieser gewaltlose, sanftmütige, ohnmächtige Mann. Bei den Jüngern des Johannes und vielleicht auch bei Johannes selbst war der Ärger an Jesus be- sonders groß: Sie hatten miterlebt und dabei mitgeholfen, wie der Täufer den Mann aus Nazareth angekündigt und seine Ankunft durch die Taufe vorbereitet hatte. Der aber hatte sie alle enttäuscht. Denn er war ganz anders als der Messias, von dem sie geträumt hatten. Gut, sie hatten es erlebt und erzählt bekommen: „Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige wer- den rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt...“ Aber was war das schon gegen das, worauf sie sehnlich hofften: Dass Israel wieder frei wird und groß und mächtig! - Doch, Sie mussten es bekennen: Sie ärgerten sich an Jesus! Liebe Gemeinde, wie ist das bei uns? Warten wir nicht auch auf einen, der stark und machtvoll ein- greift in unser Leben? Der uns befreit von den Zwängen, die andere auf uns ausüben und dem Druck, unter den sie uns setzen. Der uns endlich gerecht behandelt und alle, die uns nicht zum Zug kommen lassen, in ihre Schranken weist. Der unsere Abhängigkeit vom Wohlwollen anderer been- det und uns den Platz in der Gesellschaft gibt, der uns zusteht. Und auch, was die große Welt an- geht, wäre für ihn doch so viel zu tun: Den Terror, die Kriege und den Hunger beenden. Die Milli- onen Vertriebenen und Flüchtlinge in ihre Heimat zurückführen. Gerechtigkeit für die Armen schaffen und Heilung denen, die unter den Krankheiten und Seuchen unserer Zeit leiden. Gekommen ist er, dieser Jesus, der so ganz anders ist, als wir gehofft hatten. Zwar finden wir gut, was er damals für die Menschen getan hat, die Kranken und Behinderten, die Armen und Schwa- chen. Und wir glauben ja auch, dass er Gottes Sohn ist und dass er für uns gestorben ist als Opfer für unsere Sünden. Auch an seine Auferstehung glauben wir... Aber heute, was tut er schon heute für uns und unsere Welt? - Ja, wir müssen es bekennen, er hat auch uns enttäuscht und wir ärgern uns an ihm! Ich möchte einmal fragen: Sehen wir gar nicht, was geschieht? In unserer Nähe und in der Ferne? Da ist ein Arzt in der Stadt, der hat eine Sprechstunde für Migranten und Flüchtlinge eingerichtet. Zweimal in der Woche behandelt er alle, die zu ihm kommen. Und es kommen viele. Manchmal wird es Abend bis alle dran waren. Und es kostet nichts und auch die Medikamente sind frei. Da ist eine Frau - vielleicht ganz in Ihrer Nähe, aber Sie wissen es nicht, denn sie hängt es nicht an die große Glocke -, die gibt von ihrem bescheidenen Lohn als Verkäuferin jeden Monat 10 % an ein Projekt von Brot für die Welt in der Hungerregion von Äthiopien. Was sie dafür gibt, ist für sie durchaus ein Opfer. Sie muss sich deshalb selbst einschränken. Aber sie tut das gern, es macht ihr Freude, wenn sie anderen Menschen helfen kann zum Leben...zum Überleben. Dann kenne ich einen Mann, der in den letzten Jahren durch das Schicksal ziemlich gebeutelt wor- den ist: Seit einer schweren Krankheit ist er behindert. Wegen der Behinderung kann er nicht mehr in seinem Beruf arbeiten und bezieht schon Rente. Eine kleine Rente. Er lebt allein, aber er ist über seinem Geschick nicht mürrisch und eigenbrötlerisch geworden. Die Nachbarn kennen ihn als im- mer freundlich und hilfsbereit. Man kann ihn jederzeit ansprechen, wenn man jemanden braucht, der einmal eine Besorgung macht, wenn man selbst verhindert ist. Er hat zwar nur noch kleine Kräfte, aber ein großes Herz - und beides setzt er für seine Mitmenschen ein. Und noch eine Frau kenne ich, die war Lehrerin und hatte sich sehr auf ihren Ruhestand gefreut. Sie wollte endlich reisen und noch etwas von der Welt sehen. Als sie vor zwei Jahren dann pensioniert worden ist, erfuhr sie, wie viele Kinder in ihrer Umgebung, in der Nachbarschaft und Familie, schulisch Schwierigkeiten hatten. Es gab auch einige Migrantenkinder in ihrer Straße, die unbedingt Deutschunterricht bekommen mussten - und Deutsch war eines ihrer Fächer gewesen. Also hat sie angefangen bei sich zu Hause den Kindern, die es nötig hatten, Nachhilfe zu geben und denen, die kaum Deutsch konnten, die Sprache zu lehren. Seither hat sie keine einzige Reisen unternommen. Aber, wenn wir sie fragten, würde sie sich nicht beklagen, denn es schenkt ihr selbst viel, den Kindern zu helfen. Und es gäbe noch einige Beispiele, die ich erzählen könnte, von Menschen, die sich auf diese oder ähnliche Weise für ihre Mitmenschen engagieren. Vielleicht kennen Sie ja auch solche Menschen? Es gibt Gott sei Dank mehr davon, als wir zunächst denken. Aber, und das ist mir ganz wichtig da- bei und Sie können es vielleicht bestätigen: Solche Menschen sind meist Christen! Auf jeden Fall ist bei Ihnen immer im Hintergrund ein Bemühen, so zu handeln, wie Jesus Christus das getan hätte und sie tun es, weil er ihre Herzen angerührt hat. Ich glaube nämlich, dass kein Mensch das ohne diese Beziehung zu und den Glauben an Jesus Christus lange durchhält, so zu sein, so selbstlos und mit so viel Liebe für die Mitmenschen. Liebe Gemeinde, wenn Sie bis hierher mitgehen konnten, dann sagen Sie jetzt vielleicht auch, dass es heute doch mehr Taten Jesu gibt, als sie zuerst dachten. Denn es ist doch so: Jesus Christus kann in dieser Welt nicht für jeden und an allen Orten das tun, was für ihn nötig und wichtig wäre. Er braucht uns dazu - und das meine ich jetzt ganz persönlich: Auch wir, wenn unser Herz von ihm berührt ist, können manches für unsere Nächsten tun, wenn wir etwas Zeit und vielleicht ein wenig Nächstenliebe investieren. Vielleicht sehen wir dann wie einem „Blinden“ in unserer Nähe, dem die Welt nur noch eine Last war, auf einmal aufgeht, dass sein Leben doch auch schöne Stunden hat - durch uns. Und einer der „lahm“ war und gedacht hat, er wäre zu nichts mehr nütze, entdeckt bei sich selbst auch Gaben, die er dann wieder für andere einsetzen kann - durch uns. Von Schuld beladene Menschen erleben Gottes Liebe, die er für alle Menschen, auch für sie empfindet - durch uns. Menschen, die immer „taub“ waren für das Evangelium hören, wie froh es die macht, die daran glauben - bei uns. Und schließlich werden selbst die aus ihrer Starrheit auferstehen, die immer wie „tot“ waren, an nichts geglaubt haben und an nichts Freude hatten - durch uns. - Könnte es eine Zeit geben, die geeigneter wäre, damit anzufangen, unser Herz für die Mitmenschen zu öffnen als diese milde, besinnliche Adventszeit? Aber auch in der großen Welt, in der Gesellschaft, unter den Prominenten aus Kunst, Film und Fernsehen und in der Politik gibt es immer wieder Menschen, die sich aus christlichen Motiven für andere, besonders für die Armen und Schwachen, die Notleidenden und Zukurzgekommenen dieser Erde stark machen. Mir fällt - als evangelischer Christ! - dabei zuerst der Papst ein, der immer wie- der durch - für Teile des römischen Klerus sehr anstößige - Taten und Reden zeigt, dass er ganz auf der Seite der Armen und Unterdrückten steht. Und ich denke an einige Schauspieler und Künstler, die Hilfsaktionen ins Leben gerufen haben und begleiten, die schon viele Millionen für Projekte in der 3. Welt eingebracht haben. Und schließlich gibt es auch in einigen Staatsregierungen Minister und sogar Präsidenten, die aus christlicher Überzeugung wirklich Diener ihres Volkes sind und Machthaber, die sich selbst und ihre Macht einsetzen, um denen ganz unten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Die Jünger des Johannes haben Jesus gefragt: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Und wir fragen insgeheim oft auch so. Heute fragt Jesus uns: Wollt ihr nicht mithelfen, dass die Menschen auch heute meine Liebe und Kraft erfahren? AMEN