Predigt zum Reformationstag oder 24. So. n. Trin. - 2.11.2008 Textlesung: Phil. 2, 12 - 13 Also, meine Lieben, - wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt noch viel mehr in meiner Abwesenheit, - schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen. Liebe Gemeinde! Ich sage es ganz offen: Ich wollte schon lang einmal über eine bestimmte, leider sehr kleine Men- schengruppe, sprechen und hätte das heute, am Reformationsfest (-tag) wohl auch in jedem Fall ge- tan. Nun passt aber auch noch ein Satz aus diesen zwei Versen aus dem Philipperbrief, der uns für heute zu bedenken verordnet ist, ganz wunderbar zu dem, worüber ich zu predigen vorhatte. Ich meine diesen: „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.“ Aber ich will das jetzt ge- nauer erklären: Ich möchte heute über „Außenseiter“ sprechen. - Wie sich das anhört: „Außenseiter“! Dass schon dieses Wort keinen guten Klang hat, kann man verstehen: Wer selbst zu denen gehört, die irgend- wie „außen“ stehen, der möchte nicht dauernd noch darauf gestoßen werden. Und die anderen? Die haben irgendwie Hemmungen das auszusprechen. Man kriegt dann leicht das Gefühl, man ist mit schuld daran, dass es Menschen gibt, die immer ausgeschlossen sind und weggestoßen werden. Heute wollen wir einmal offen drüber reden: „Außenseiter“. Es gibt sie. Sie leben mitten unter uns. Aber unsere Gesellschaft und wir selbst auch nehmen sie kaum wahr - außer vielleicht, wenn wir jemand brauchen, auf dem wir herumhacken, über den wir tuscheln, lachen oder herziehen können. Aber wir wollen einmal ganz ehrlich sein: Es tut einfach auch gut, Leute zu haben, die anders leben als wir, die sich anders geben, anders kleiden oder deren Sprache anders ist als unsere! Man fühlt sich selbst dann viel besser, viel klüger und viel normaler als sie. Dabei ist es auch immer gut zu wissen, dass die Mehrheit auf der eigenen Seite steht, dass die meis- ten sich so benehmen, so aussehen, so kleiden und sprechen wie wir selbst. Wer möchte schon gern anders sein als die große Menge? Wer will schon anders leben und denken als die Mehrheit? Da wären wir ja auf einmal selbst „außen“. Da würden ja vielleicht dann die andern mit Fingern auf uns zeigen und uns so nennen: „Außenseiter“. - Wer will das riskieren? Wenn wir das so hören, meinen wir jetzt sicher: Es ist eigentlich eine sehr schlimme und traurige Sache mit den Außenseitern. Es wäre gewiss besser, es gäbe sie nicht! Am besten, alle Menschen würden in einer großen Gruppe zusammengehören, keiner wäre anders und keiner würde von der Menge abweichen. Liebe Gemeinde, es gibt da noch einen anderen Gedanken zu diesem Thema. Es gibt nämlich auch einen Dienst, den uns die Außenseiter tun, einen wichtigen, guten Dienst, für den wir ihnen nicht genug danken können. Davon wollen wir jetzt hören: Es war einmal ein Außenseiter. Wir kennen seinen Namen nicht mehr. In der Bibel wird von ihm erzählt. Er war einer von 10 Aussätzigen. Jesus hatte alle 10 geheilt. Sie wurden rein, nachdem sie der Herr berührt hatte. Neun der geheilten Männer kommen nicht auf den Gedanken, zu Jesus zu- rückzukehren, um ihm zu danken. Sie nehmen ihre Heilung als selbstverständlich. Jeder sieht wahr- scheinlich auf den andern und sagt zu sich: Wenn der nicht danken geht, dann tue ich’s auch nicht. Und der andere spricht zu sich selbst: Meint jener, den Dank nicht nötig zu haben, dann habe ich ihn auch nicht nötig! Nur einer handelt anders als die große Mehrheit - und macht sich dadurch - zum Außenseiter. Er geht Jesus danken. Und der freut sich über ihn und sagt ihm: Du gefällst mir, denn du weißt, was recht ist. Du bist nicht nur am Körper, du bist auch in deinem Herzen gesund geworden. Ein anderer Außenseiter: Paulus. Das heißt, er hieß damals noch Saulus. Er verfolgte die Christen. Er stellte ihnen nach, nahm sie gefangen und führte sie nach Jerusalem, damit sie dort gequält und getötet wurden. Es heißt, Jesus selbst ist dem Paulus vor Damaskus erschienen. Saulus war von da an ein anderer. Es war eben „Paulus“ aus ihm geworden. Und der war seinen früheren Freunden verdächtig. Er wollte die Christen nicht mehr verfolgen, ja, er nannte sich jetzt selbst Christ. Paulus hatte sich zum Außenseiter gemacht. Die Juden, denen er früher angehörte, bekämpften ihn nun. Aus dem Freund war ihr Feind geworden. Von den Verfolgern der Christen, von den Feinden des Paulus spricht heute keiner mehr. Paulus wurde für uns ein Vorbild, ein großer Lehrer des christli- chen Glaubens. Ohne ihn gäbe es heute wohl keine Gemeinde des Herrn Jesus Christus überall in der Welt. Und noch ein Außenseiter - und damit kommen wir zum Thema dieses Tages: Martin Luther. Ge- rade heute denken wir ja an ihn. Vor rund 500 Jahren hat er gelebt. Wenn wir uns heute evangeli- sche Christen nennen, hat das mit seinem Wirken zu tun. Ihm passte vieles an der Kirche seiner Zeit nicht. Er hatte viele Fragen und Klagen. Aber er hat darüber nicht geschwiegen. Er hat es mutig ausgesprochen. Und es gehörte damals wirklich Mut dazu, den Mund aufzutun: Er wurde aus der Kirche ausgeschlossen. Sie haben ihm sogar nach dem Leben getrachtet. Er hat trotzdem weiter von dem gezeugt, was für ihn die Wahrheit des Evangeliums war: Unser Gott, so hat er es bezeugt, ist ein gnädiger, gütiger Gott! Er will nicht, dass wir uns den Himmel erkaufen oder verdienen, er will ihn uns schenken! Das ist damals und heute der Kern unseres evangelischen Glaubens. Aber Luther hat sich - indem er das bezeugte - selbst zum Außenseiter gestempelt. Viele seiner kirchlichen Vorgesetzten haben ihn dafür gehasst und verdammt. Sie haben den Menschen sogar befehlen wollen: Mit Luther, diesem bösen, teuflischen Mann dürft ihr nichts zu tun haben. Aber was Luther gelehrt und vertreten hat, ist heute die Mitte unseres evangelischen Bekenntnis’: Gott schenkt uns seinen Himmel, er vergibt uns ohne unser Verdienst, er macht uns gerecht, ohne unsere Leistung. Liebe Gemeinde! Ich glaube, wir müssen wirklich einmal darüber nachdenken, ob nicht gerade die Außenseiter eine wichtige Botschaft an uns haben. Vielleicht diese: Nicht immer hat die Menge recht! Oder: Die Wahrheit kann auch auf der Seite der Einzelnen oder der Wenigen sein! Unsere drei Beispiele jedenfalls machen das deutlich: Der Aussätzige, der Apostel Paulus und der Refor- mator Luther, alle drei haben gegen die Mehrheit gelebt und gedacht. Sie haben sich von der Masse der anderen nicht beirren und beeindrucken lassen. Sie haben das Richtige festgehalten. Sie haben die Wahrheit ganz allein bewahrt und zum Sieg geführt. Wir müssen ihnen dankbar sein. Wir ver- danken der Treue dieser Außenseiter sehr viel. Aber jetzt will ich diese Gedanken doch auch noch mit diesem Satz aus den Versen verbinden, die ich am Anfang vorgelesen habe: „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.“ - Was das mit der Wahrheit der Außenseiter zu tun hat? - Ich glaube fest, die Außenseiter, über die ich ge- sprochen habe, waren von genau dieser Haltung beseelt, die man vielleicht so umschreiben kann: Die Sache Gottes nicht so leicht zu nehmen, es ist nicht gleichgültig, ob ich meinem Gewissen folge oder das denke und sage, was die Mehrheit denkt und sagt; mein Glaube kostet auch etwas; gerade in Herzensdingen ist es nicht immer gut und richtig, die breiten, von der Menge ausgetretenen Wege zu gehen, sondern um der Wahrheit willen die engen, vielleicht steinigen Pfade zu wählen - aber damit solche Pfade, die ans Ziel führen! Ich will nicht nur in Bildern sprechen: Ich glaube, dass wir in dieser Zeit schon damit, dass wir be- wusst evangelisch zu sein versuchen, schnell die Rolle einer Außenseiterin, eines Außenseiters ein- nehmen. Evangelisch sein, das heißt ja zum Beispiel nicht nur hie und da und schon gar nicht nur an Heiligabend den Gottesdienst zu besuchen. Evangelisch sein, das bedeutet auch mit dem Wort Gottes, also mit der Heiligen Schrift umgehen - nicht nur wenn ich einen Taufspruch für mein Kind oder einen Text für eine Kondolenzkarte suche. Und evangelisch sein, das meint ganz gewiss auch, das wirklich ernst nehmen und in meinem täglichen Leben umsetzen, dass ich in dieser Welt keine Verdienste mehr erwerben und von meinen Mitmenschen auch keine mehr verlangen muss, um der Seelen Seligkeit zu gewinnen. Evangelisch sein, wird uns damit oft ganz gewiss in die Position von Außenseitern bringen. Auf der anderen Seite werden wir aber auch eine ganz wichtige Erfahrung machen: Es schenkt eine große Genugtuung und Zufriedenheit, sich die Wahrheit, die wir erkannt haben, etwas kosten zu lassen: „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern“, sagt Paulus im Philipperbrief. Er hat damit sicher nicht gemeint, dass wir vor Angst vergehen, weil wir ja nicht wissen, ob unser Glaube uns einmal vor Gottes Stuhl retten kann. Im Gegenteil: Er will uns dazu führen, dass wir unseren Glauben und was er für uns persönlich bedeutet, ganz ernst nehmen und nicht von seiner Wahrheit abweichen - auch wenn uns das vielleicht in dieser Zeit zu Außenseitern macht. Was ich jetzt sage, ist keine Warnung, sondern eine Einladung: Man ist schnell ein Außenseiter, wenn man nicht mittratscht, wo die Menge über andere herfällt. Wir sind schnell „außen“, wenn wir, bevor wir urteilen, den Dingen auf den Grund gehen. Wir sind rasch draußen weil wir nicht al- les mitmachen, was die große Mehrheit unserer Gesellschaft gut findet. Ich glaube, wir sind besonders dann schnell in der Rolle der Außenseiter oder am Rande der Ge- meinschaft, wenn wir uns um ein wirklich christliches Leben bemühen. Denken wir an den Aussät- zigen, der zu Jesus zurückfindet, um zu danken. Denken wir an Saulus, der sein Leben umkrempelt und zu Paulus wird. Und heute ... denken wir besonders an Martin Luther, der sich zum Außensei- ter gemacht hat, weil er uns das Evangelium von Gottes Barmherzigkeit wieder entdeckt und in sei- nem Reden und Handeln gegen alle Schwierigkeiten daran festgehalten hat. Prüfen wir, was uns gerade die Außenseiter sagen können! Die große Masse hat bestimmt nicht immer recht! Die Wahrheit, das gute Handeln, das bessere Leben liegt oft bei den Wenigen, die wir ausschließen! AMEN