Predigt zum 10. Sonntag n. Trinitatis - 27.7.2008 Textlesung: 2. Kön. 25, 8 - 12 Am siebenten Tage des fünften Monats, das ist das neunzehnte Jahr Nebukadnezars, des Königs von Babel, kam Nebusaradan, der Oberste der Leibwache, als Feldhauptmann des Königs von Babel nach Jerusalem und verbrannte das Haus des HERRN und das Haus des Königs und alle Häuser in Jerusalem; alle großen Häuser verbrannte er mit Feuer. Und die ganze Heeresmacht der Chaldäer, die dem Obersten der Leibwache unterstand, riss die Mauern Jerusalems nieder. Das Volk aber, das übrig war in der Stadt, und die zum König von Babel abgefallen waren und was übrig war von den Werkleuten, führte Nebusaradan, der Oberste der Leibwache, weg; aber von den Geringen im Lande ließ er Weingärtner und Ackerleute zurück. Liebe Gemeinde! Heute frage ich mich schon, was ich hierzu predigen soll? Einmal ist es ja nicht unsere christliche Geschichte, aus der hier ein kleines Stück, eigentlich nur ein paar Tage, erzählt werden. Aber selbst wenn wir das einmal in den Hintergrund schieben - was ist denn hier überhaupt so wesentlich und vor allem so gut, vorbildlich oder beherzigenswert, dass man darüber eine Predigt halten könnte? Das ist doch alles eher erschreckend und beängstigend - besonders wenn man dazu noch ein bis- schen mehr weiß, als wir hier lesen können: Rund einen Monat zuvor hatten die Heerscharen des Königs Nebukadnezar von Babylon nach 1 ½-jähriger Belagerung die Stadt Jerusalem eingenommen und den letzten König Judas, Zedekia, abgesetzt und grausam umgebracht. Jetzt wird das Werk der Zerstörung vollendet: Der Tempel Gottes und alle großen Häuser der Stadt werden verbrannt, die Heiligen Geräte geraubt, der Rest der Oberschicht wird deportiert, dazu alle Handwerker, die künftig in Babylon Frondienste leisten müssen. Zurück bleiben nur Weingärtner und Ackerleute, also Menschen, die das Land bebauen sollen und deren Produkte man dann wohl am babylonischen Hof verbrauchen will. Wir hören hier also vom (vorläufigen) Ende des Gottesvolkes und dem Abbruch der Beziehung zu seinem Gott. Damals zumindest hat wohl niemand daran geglaubt, dass ein paar Jahrzehnte später Israel und der Tempel des Herrn doch wieder aufgebaut werden würde. Aber noch einmal: Was soll ich dazu predigen? - Soll ich darüber sprechen, dass sich hier das ge- rechte Gericht Gottes über Israel vollzogen hat? (Eine Meinung, die übrigens damals in Israel die meisten Menschen teilten!) Soll ich dem vorgreifen, was zu dieser Zeit noch niemand ahnte, ge- schweige denn wusste: dass es rund 50 Jahre später doch wieder eine Beziehung, ja sogar einen Bund Gottes mit seinem Volk geben würde? Aber besonders wichtig ist mir als christlicher Prediger doch diese Frage: Was gibt uns das, uns Christen, die über 2 ½ Tausend Jahre später leben und neben den mit den Juden gemeinsamen reli- giösen Wurzeln, aus denen wir hervorgegangen sind, doch auch eine ganz andere Geschichte mit Gott haben? Mir ist dazu ein recht aktueller Bezug in den Sinn gekommen, der zugegeben auf den ersten Blick ein wenig weit hergeholt erscheint. Ich spreche trotzdem einmal davon: Wie die Juden damals den Tempel als ihren wichtigsten religiösen Ort und Bezugspunkt verloren haben, so haben in unserem Land schon einige Gemeinden ihren Versammlungsort, ihre Kirche verloren. Und wenn es mit der religiösen Aktivität in den beiden großen christlichen Kirchen weiter so bergab gehen wird, dann werden überall Gotteshäuser verkauft werden müssen, weil das Geld fehlt, bzw. weil es sich nicht lohnt, das Geld aufzuwenden, sie zu erhalten. Die Pläne dazu liegen schon in den Schubladen Bi- schöflicher Ordinariate und der Leitungen der Evangelischen Landeskirchen. Dabei ist nicht mehr der Verkauf von Kirchen selbst fraglich, sondern nur noch der Umfang, in dem er geschehen wird. Wir könnten nun - vor dem Hintergrund der Verse, die wir zu Beginn gehört haben - einmal darüber nachdenken, wie Christen - und da besonders wir evangelische Christen! - damit umgehen, wenn wir - möglicherweise in naher Zukunft - die Stätte verlieren, an der unsere Beziehung zu Gott aber auch untereinander ihren Ort hat. Diese Gedanken sind uns nicht angenehm, aber ich glaube, sie sind einmal nötig! Da ist zunächst einmal über eine Tatsache zu sprechen, die mich persönlich immer ganz besonders erschrickt, ja, geradezu verstört: Wenn irgendwo in einer Gemeinde (es sind noch überwiegend sol- che in den Städten) wegen schlechtem Gottesdienstbesuch davon gesprochen wird, dass wohl in absehbarer Zeit der Tag gekommen sein wird, an dem die Kirche verkauft oder anderweitig vermie- tet werden muss, weil die Unterhaltungskosten für die Kirche nicht mehr aufgebracht werden können, dann ist die Aufregung groß! Aber es ändert sich doch grundsätzlich nichts mehr an der Situation. Vielleicht gibt es in den folgenden drei, vier Wochen ein kleines Strohfeuer, dass am Sonntag zum Gottesdienst zwei oder drei Menschen mehr erscheinen. Vielleicht gibt es eine Aktion des Kirchenvorstands: Rettet unsere Kirche! Vielleicht auch gehen engagierte Artikel und Leserbriefe bei der örtlichen Presse ein. Aber es dauert meist nicht lang, dann ist es wieder genau so wie am Anfang, als die ersten Gerüchte über einen möglichen Verkauf des Kirchengebäudes in Umlauf kamen. - Mir ist das ein Zeichen dafür, dass den Menschen unserer Tage, wenn sie ganz ehrlich sind, an ihrer Kirche eigentlich gar nichts mehr liegt - jedenfalls nicht so viel, dass sie auch echte Opfer und einen persönlichen Neuanfang z.B. in der Praxis ihres Gottesdienstbesuchs auf sich nehmen würden. Ein zweites vertieft meine Skepsis, dass der schon vorhersehbare Ausverkauf unserer Kirchen noch aufzuhalten sein könnte: Nachdem die Kirche dann nicht mehr im Besitz der Kirchengemeinde ist, meldet sich bei den Gemeindegliedern meist weniger Trauer darüber, dass sie den Versammlungsort und die „Stätte, da seine Ehre wohnt“ verloren haben, sondern eher bloße Nostalgie: „Es war doch die Kirche, in der ich meinem Mann das Jawort gegeben habe.“ Oder: „Alle meine Kinder sind dort getauft und konfirmiert worden!“ und „Es war doch Heiligabend immer so schön!“ Oder auch: „Ich dachte, dass dort der Pfarrer einmal bei meiner Beerdigung spricht!“ - Dass die Kirche als Ort der Beziehung zu Gott und den Mitchristen auch in der Gegenwart wichtig ist und dass darin der vornehmste Sinn der kirchlichen Bauten liegt, davon hört man dann wenig. Und es dauert auch meist nicht lang, da hat man sich mit der neuen Situation arrangiert. Es hat sich ja auch grund- sätzlich für die meisten Mitglieder der Gemeinde nichts geändert. Die paar Gottesdienstbesucher finden jetzt im kleinen Saal des Gemeindehauses Platz. Dort werden jetzt auch die Taufen und Konfirmationen gehalten. Für die Traueransprachen weicht man auf die Friedhofshallen aus und die Trauung lässt man in einer besonders schön gelegenen kleinen Kirche in der weiteren Umgebung machen. Die haben dort auch viel Erfahrung damit. Liebe Gemeinde, wem das jetzt alles ein bisschen zu pessimistisch und vor allem zu deprimierend erscheint, dem will ich eine Frage stellen: „Was bedeutet für sie, ganz persönlich!, diese Kirche, in der wir jetzt sitzen?“ Aber noch nicht genug: „Sie“ sind ja jetzt hier und zeigen damit, dass dieses Gebäude für sie durchaus eine Bedeutung hat. Darum erweitere ich die Frage: „Wenn sie sich in ih- rer Familie, ihrer Verwandtschaft, Nachbarschaft und ihrer sonstigen näheren Bekanntschaft umse- hen, wen würde es wirklich stören oder gar hart treffen, wenn bald diese Kirche nicht mehr für Gottesdienste und andere Feiern zur Verfügung stünde?“ Gut, werden sie sagen, sie haben ja Recht: Viele sind es nicht, die das ehrlich bedrücken oder auch nur kümmern würde. Aber was sollen wir mit diesem Wissen anfangen? Was machen wir denn jetzt damit? Wie können wir denn etwas daran ändern? - Mir geht es darum: Ich glaube, die einzige Möglichkeit, die Bedeutung einer Sache richtig einzuschätzen ist es, einmal zu denken, man hätte sie verloren. Und seine Kirche zu verlieren, ist das schlimmste, was einer Gemeinde passieren kann. Oder sagen wir es so: Wenn es so weit kommt, dass eine Gemeinde ihre Kirche nicht mehr mit dem angemessenen Leben erfüllen kann, dann ist die Gemeinde und ihre Kirche nicht mehr zu retten. - Was sie jetzt also mit diesen bedrückenden Gedanken anfangen sollen, ist dies: Helfen sie mit, dass unsere Kirche mit dem für ihren Erhalt und die Pflege der Beziehung zu Gott und zueinander nötigen Leben erfüllt wird. Laden sie die Menschen in ihrer Nähe ein, dass sie den Gottesdienst wieder besuchen und damit vielleicht wieder neu den Zugang zur Sache Gottes entdecken. Sprechen sie auch darüber, dass sie selbst zum Gottesdienst gehen und was er ihnen bedeutet: Wo das gemeinsame Singen und Beten sie froh gemacht und eine Predigt ihnen geholfen oder Trost ge- geben hat, wo das Zusammensein mit anderen Christen ihnen Gemeinschaft und Zusammengehö- rigkeit vermitteln konnte und sie in diesem Haus des Herrn Frieden und Freude gefunden haben. Erzählen sie um Gottes Willen davon! Ich bin zum einen überzeugt, das geschieht viel zu wenig. Zum anderen glaube ich fest, dass ein solches Reden über und Werben für unser Kirchgebäude und was man darin erleben kann, die Menschen unserer Tage sehr wohl erreichen wird. Es ist einfach so in unserer Zeit, dass sich so vieles wichtig macht und unsere Zeit beansprucht und unsere Kräfte schwächt. Bis wir merken, wie wenig wir im Grunde davon haben und dass es uns eigentlich nicht weiterbringt, haben wir uns oft von wirklich guten, hilfreichen Gewohnheiten (wie dem Kirchgang) entfernt und damit von echten Quellen der Kraft und der Zufriedenheit abgeschnitten. Wie hilfreich kann es sein, wenn uns da einer wieder zurück ruft in die Nähe der Mitchristen, in unsere Gemeinde und die Geborgenheit unserer Kirche! Im Jahr 538 wurde der Tempel in Jerusalem wieder aufgebaut. Wir lesen davon in den ersten sechs Kapiteln des Buches Esra. Damit gab es für die Juden nach der Katastrophe der Zerstörung ihres Gotteshauses einen neuen Anfang, damit konnte sich auch die Beziehung zu ihrem Gott und unter einander wieder neu entwickeln und die Sache Gottes und der Glaube an ihn ist nicht untergegan- gen. AMEN