Predigt zum 4. Sonntag n. Trinitatis - 15.6.2008 Textlesung: Röm. 12,14-21 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22). Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Liebe Gemeinde! Der erste Gedanke, der uns zu diesen Worten in den Sinn kommt, ist wohl dieser: Ja, so soll es sein und so probiere ich es doch auch nach Kräften. Ich bin schließlich ein Christ, eine Christin! Wenn wir aber ein wenig genauer hinhören, dann müssen wir zugeben: Die gelebte Praxis sieht bei uns anders aus. Und wenn wir von dem, was wir tun und wie wir handeln auf unser Denken zurückschließen, dann werden wir es schnell merken: Wir sind keine Christen, die wirklich so sind und so leben, wie es hier verlangt wird. Aber hören wir genauer hin: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem.“ - Nun, vielleicht halten wir uns ja noch selbst zurück, wenn es darum geht, dem Mitmenschen, der uns etwas angetan oder uns geärgert hat, das postwen- dend heimzuzahlen. Ganz sicher aber finden wir es in Ordnung, wenn ein anderer, dem so etwas widerfährt, dann wütend wird und sich wehrt - auch mit ähnlich bösen Mitteln, wie sie ihm ge- genüber angewandt wurden. Denn im Grunde unseres Herzens sind wir durchaus einverstanden damit, das eigene Recht und die Verteidigung unserer eigenen Interessen auch in die eigenen Hände zu nehmen. „Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.“ - Klar, sind wir das ... wenn dieser Jedermann zu unseren Freunden gehört, uns nicht immer nur ausnutzt, nicht schlecht über uns geredet oder uns schon einmal sehr gekränkt oder beleidigt hat. Ja, und wenn wir einen nicht kennen, dann muss er sich schon einmal als vertrauenswürdig ausgewiesen haben. Und wenn er zu einer Bevölke- rungsgruppe gehört, die wir nun einmal nicht leiden können, dann wird das bei diesem Menschen auch ein bisschen schwierig ... Also: Im Grunde unseres Herzens sind wir nicht einverstanden da- mit, dass wir nun gleich jedem gegenüber gut und freundlich sein sollen! „Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Für den Frieden setzen wir uns nun wirklich ein! Da kann niemand etwas anderes sagen! Ausgenommen sind selbstverständlich alle, die selbst keinen Frieden mit uns wollen. Und da fallen uns schon einige ein: Der Nachbar Müller zum Beispiel, mit dem es immer wieder Grenzstreitigkeiten gibt. Ach und die Kollegin im Betrieb, die mir den Posten weggeschnappt hat, der doch ursprünglich für mich vorgesehen war. Und natürlich der Meier aus meinem Verein, der immer die Gestaltung des Som- merfests an sich reißt und die Leute in unserem Ort, die fremd sind und sich einfach nicht integrie- ren wollen. Ganz ehrlich: Im Grunde unseres Herzens sind wir nicht einverstanden damit, dass un- ser Friede wirklich allen gelten soll! „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes.“ - Das würden wir ja gern so halten, aber wir haben es doch erfahren: Es geschieht einfach nicht. Der Zorn Gottes schläft. Jedenfalls sehen wir nichts davon. Und wie lange sollen wir denn noch warten, bis wir den anderen einmal die Grenzen zeigen und mal ein klares Zeichen setzen: Bis hierher und nicht weiter und dass man so etwas mit uns nicht machen kann ... Noch einmal: Im Grunde unseres Herzens sind wir nicht einverstanden damit, alles dem Zorn und der Rache Gottes zu überlassen. Am Sankt- Nimmerleins-Tag haben wir nichts mehr davon, wenn Gott unsere Sache endlich in die Hand nimmt! Liebe Gemeinde, denken sie nun bloß nicht, ich wollte nur ihnen jetzt die Maske vom Gesicht reißen und zeigen, wie sie wirklich denken. Mir geht es doch selbst gar nicht anders. Aber für sie und für mich bleibt es dabei: So soll es nicht sein. Denn wir sind sehr wohl auf Vergeltung aus, wir sind nicht auf Gutes bedacht gegen jedermann, wir halten nicht mit allen Frieden und wir wünschen uns durchaus den Mut zur eigenen Rache - und manchmal verhalten wir uns auch entsprechend. - Was können wir tun, um das aufzulösen? Wie werden wir mit den Worten des Paulus fertig, ohne unsere Zuflucht bei der Unwahrheit zu nehmen und beim Selbstbetrug? Denn wir sind ja nicht so, wie er es fordert! Und hinter seinen Worten steht, das spüren wir genau, der Wille und Anspruch Gottes! Ich glaube, im tiefsten Grund ist es unser Problem, dass wir nicht warten können, dass Gott handelt, eingreift, etwas zurechtbringt. Es geschieht einfach zu selten und nicht so, dass wir es deutlich sehen und erkennen können: hier handelt Gott! Ja, oft vergehen Jahre und Jahrzehnt und manchmal gar ein ganzes Leben, ohne seinen Zorn, ohne seine Rache, die denen zurückgibt, was sie uns und anderen Böses getan haben. Ich will dabei gar nicht so reden: Dass es ja erst einmal gar nicht sicher ist, ob der Grund zum Zerwürfnis nicht bei uns lag, ob nicht wir die Bosheit begangen haben, ob also der Zorn Gottes nicht uns treffen müsste? - Nein, wir nehmen einfach einmal an, wir sind wirklich im Recht, waren unschuldig und haben Gottes Eintreten für uns verdient. Aber da müssen wir halt wirklich sagen: Wir lassen dem ewigen Gott nicht die Zeit, die er und sein gerechtes und vielleicht richtendes Han- deln braucht. Tage geben wir ihm ja gern, manchmal auch Wochen ..., aber keine Jahre und schon gar nicht unser ganzes Leben! Aber können wir uns das eigentlich nicht vorstellen, wie schwierig das ist bei so vielen Menschen, die doch alle glauben, der Unfriede würde auf der anderen Seite gemacht und das Böse geschähe nur von den anderen her und - ganz deutlich - die Rache Gottes müsste, wenn überhaupt irgendje- mand, doch die anderen treffen! Aber ich will mich jetzt beileibe nicht zum Anwalt von Gottes Schwierigkeit machen, uns, seinen vielen Kindern, Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Das hat Gott gar nicht nötig! Aber noch etwas anderes will ich zu der Zeit sagen, die uns doch immer so schnell zu lange wird: Unser himmlischer Vater hat uns in Jesus Christus ja nun wirklich mehr ver- sprochen, als dieses Leben und diese Spanne Zeit in dieser Welt. Von seiner Warte aus sieht er alles, unser Leben, die Bosheit, den Frieden und die Rache sicher ganz anders! Warum soll der ewige Gott denn alles hier in dieser kurzen Zeit der Welt und unseres Lebens lösen und zu einem für uns annehmbaren Ende bringen? Und umgekehrt: Ist unsere Ungeduld und oft unser Drängeln auf Gottes schnelles Eingreifen nicht wirklich viel zu kurz gedacht und geschaut? Anders gesagt: Müsste unser Glaube an Gott und das Geschenk einer Ewigkeit, die auf uns wartet, nicht ein wenig freier mit diesen Dingen umgehen können und vertrauensvoller auch? Es gibt nichts, was vor di- esem ewigen Horizont so bleiben wird, wenn es nicht dem Willen Gottes und seiner Gerechtigkeit entspricht! Es kommt alles in Ordnung, was hier und heute nicht gut ist, was nicht richtig und nur der Bosheit entsprungen ist. All unser Denken, Reden und Tun - das eigene wie das der anderen Menschen - wird geprüft und geläutert werden. Bestand wird nur haben, was Gott gefällt und vor seinem Recht und seinem Willen bestehen kann. Wenn wir in den Versen des Paulus nun noch weiter lesen, dann werden wir bemerken, dass er uns sozusagen für die Zwischenzeit bis sich Gottes neue Ordnung endgültig durchsetzen wird, noch mindestens einen guten, ich finde sehr guten Rat mit auf den Weg gibt: „Vielmehr, wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken.“ - Nutzen wir doch die Zeit, die wir haben und die uns mit dem Warten auf Gottes Eingreifen und seine Rache ja doch nur lang wird, dazu, dass wir unseren Mitmenschen Gutes tun - und eben auch denen, die wir nicht leiden können und von denen wir glauben, dass sie uns feindlich gesonnen sind: Dass wir ihnen dienen und helfen, wie und wo immer wir das können. Was uns vielleicht erst wie eine Zumutung vor- kommt, ist im Grunde ein wunderbarer Ausdruck unserer christlichen Gelassenheit: Wir haben es doch gar nicht nötig, unser Recht in die eigenen Hände zu nehmen! Vertrauen wir unserem Gott. Er wird alles richten - und das im Doppelsinn: recht machen und gerecht richten. Warum sollen wir denn nicht in der Aussicht auf Gottes herrliche Zukunft, die uns keiner mehr nehmen kann, anderen Menschen - und selbst unseren Feinden - freundlich und sogar liebevoll gegenüber treten? Das ha- ben sie nicht verdient, meinen sie? - Haben wir verdient, wie viel Güte und Liebe Gott uns schenkt? Vielleicht erleben wir es ja auch hin und wieder bei einem solchen Verhalten, dass wir unsere Nächsten beschämen und durch unsere Liebe verändern, denn das ist mit diesem Wort gemeint: „Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln!“ Es kann uns im Leben einfach auch sehr froh und zufrieden machen, wenn wir das beherzigen, was Paulus schreibt und wozu er uns mahnen will und was er am Ende seiner Worte in diesem Satz zu- sammenfasst: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ AMEN