Predigt zum Sonntag „Rogate“ - 27.4.2008 Textlesung: 2. Mose 32, 7 - 14 Der HERR sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben’s angebetet und ihm geopfert und ge- sagt: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat. Und der HERR sprach zu Mose: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist. Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen. Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkom- men geben, und sie sollen es besitzen für ewig. Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte. Liebe Gemeinde! Der Name des heutigen Sonntags ruft uns zu: „Rogate“, „Betet“! Es geht also heute bei diesen ural- ten Versen aus dem 2. Mosebuch weniger um die Geschichte selbst, die erzählt wird. Im Mittel- punkt steht die Art, wie Mose hier mit Gott spricht, mit anderen Worten: Die Art und Weise, wie er hier zu Gott betet. Aber darauf will ich erst später zurückkommen. Zuerst möchte ich ein paar Gedan- ken über das Gebet sagen und über die Meinungen die es dazu heute gibt. In vielen Gesprächen, die ich schon über das Beten geführt habe, ist für mich eines immer wieder deutlich geworden: Das „Gebet“ und das „Wie“ unseres Betens wecken Fragen, bei denen auch un- ter Christen viel Unsicherheit herrscht. Ganz unterschiedliche Meinungen kann man da hören: „Gott erhört Gebete“ sagen die einen. „Es geschieht nur, was vorherbestimmt ist, wir mögen Gott bitten, soviel wir wollen“, sagen die anderen. Manche denken also: „Wir können Gott beeinflussen, wenn wir im Gebet vor ihn treten“. Andere glauben dagegen: „Gottes Wille ist unwandelbar. Unser Beten kann bei ihm nichts bewirken. Das Gebet ist also höchstens ein frommes Nachdenken, eine Übung der Selbstbesinnung, aber es kann am Lauf der Welt und an unserem persönlichen Schicksal nichts ändern“. - Wer hat nun recht? Die einen? Die anderen? Beide Seiten? Niemand? Das sind für manche Menschen dann Gelegenheiten, um die Bibel zur Hand zu nehmen. Da werden dann Sprüche aus der Heiligen Schrift gesucht. Dabei weisen die einen vielleicht auf diesen Vers des Evangeliums: „Bittet, so wird euch gegeben ...“ - Heißt das denn nicht klar: Wer Gott um etwas bittet, darf auch mit der Erfüllung seiner Bitten rechnen? Andere halten sich vielleicht an dieses Wort: „Alles was ihr den Vater in meinem Namen bittet“, sagt Jesus, „wird er euch tun“. - Bedeutet das nicht: Das Gebet ist eine wirksame Macht, die Gottes Handeln bestimmen und ändern kann? Und hierhin gehört nun auch die Aussage der Mosegeschichte, die wir heute gehört haben, ja, sie geht noch viel weiter als dass sie nur bittet: Mose bedrängt Gott ja geradezu: „Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Un- heils gereuen, das du über dein Volk bringen willst.“ Mit einem solchen Beispiel für das Beten vor Augen und Ohren müssten wir nun sogar sagen: Ihr sollt den Vater nicht nur bitten, ihr sollt es ge- radezu verlangen, dass er euch hört und euch hilft, dann werdet ihr auch Erfolg haben. Die anderen wieder werden uns dann solche Schriftstellen vortragen: „Bei Gott ist weder Verände- rung noch Wechsel ...“ - Das will doch sagen, dass unsere Gebete keinen Einfluss auf den großen Gott nehmen können! Und dieses Wort sagt es noch deutlicher: „Wer kann Gottes Willen widerste- hen, der jeden von uns vorherbestimmt hat, den einen zu diesem, den anderen zu jenem?“ - Wofür spricht denn solch ein Gedanke, wenn nicht für die Kraft- und Wirkungslosigkeit unserer Gebete? Das ist alles sehr verwirrend. Das lässt sich nicht so ohne weiteres klären. Und das gibt auch ein grundsätzliches Beispiel für all unser Streiten um religiöse Fragen und um die „Wahrheit“ der bibli- schen Botschaft: Klar ist da meistens gar nichts. Jeder wird immer Verse in der Schrift finden, die seine Anschauung unterstützen. Das ist zunächst auch gar nicht schlimm. Vielmehr kann es zur immer intensiveren Suche nach der Wahrheit anspornen. So bleiben wir auch davor bewahrt, starr zu werden und uns auf einmal gewonnenen Überzeugungen festzusetzen und auszuruhen. Gefährlich und auch unchristlich wird es, wenn nicht mehr gesehen wird, dass der Glaube des anderen genauso seinen Grund in der Heiligen Schrift hat, wenn ein Mensch mit anderer Meinung verketzert wird und man nicht mehr offen ist für das, was er zu sagen hat. Und so ist es leider oft! Doch zurück zum „Beten“. Wie ist es denn nun, wird es von Gott erhört - oder kann es an seinem einmal getroffenen Willen und seiner Entscheidung nichts verändern? - Wir haben gesehen: Beide Ansichten können sich auf die Bibel berufen - und das ist in vielen Fragen, um die sich Christen streiten, nicht anders. Wie kommen wir jetzt weiter? Wie lösen wir das auf? Eben nicht, wie es manche gerne machen, indem die andere Seite verteufelt wird. Auf keinen Fall auch, indem wir nur den eigenen Standpunkt gelten lassen. Die gegenteilige Antwort hat oft auch die Bibel auf ihrer Seite! Wir müssen es anders versuchen: Wir müssen die Antwort finden, die für uns, für mich und für dich ganz persönlich gilt. Das klingt nicht neu und wie selbstverständlich, ist aber - wie ich glaube - der Schlüssel zum Verständnis dieser und so vieler anderer Fragen, die uns Gottes Wort aufgibt. Die Schrift will zu mir persönlich sprechen. Ich kann nur mit meinem ganz persönlichen Glauben darauf antworten, niemand kann mir die Glaubensentscheidung abnehmen. Auch mit dem Beten ist das so: Ich soll für mich und die andern beten. Und ich persönlich werde dann meine Erfahrungen damit machen, entweder diese: Gott erhört mich - oder die andere: Mein Beten bewirkt nichts. Und je nach dem, wie das ausgeht, kann ich dann für mich sagen: Gott hat mir getan, worum ich gebetet habe; er hat mir geholfen, mich gerettet und bewahrt. Oder: Auf mein Beten hin ist nichts gesche- hen. Gott ist für mich stumm geblieben, hat mir nicht erfüllt, worum ich ihn bat. So darf ich dann reden und ich werde dann ja auch in der Bibel entdecken: Beide persönlich gemachten Erfahrungen haben in ihr einen Niederschlag gefunden, in diesem oder jenem Reden von Gott und dieser oder jener Ansicht eines biblischen Schreibers. Je nachdem, was wir dann erfahren, dürfen wir aber nicht sagen: „Gott erhört Gebete!“, oder: „Unser Beten bewirkt bei ihm nichts!“ Beide Aussagen bestrei- ten nämlich die andere Erfahrung, hinter der die Bibel genauso steht und die Menschen damals und heute genauso persönlich haben machen dürfen oder müssen. Vielleicht ist das jetzt ja immer noch mehr verwirrend als klärend. Darum ein Beispiel aus dem Le- ben: Eine Frau ist krebskrank im fortgeschrittenen Stadium. Nach Meinung der Ärzte hat sie nur noch ein paar Monate zu leben. Sie nimmt ihre Zuflucht zum Gebet. Sie bittet Gott um Heilung, wieder und wieder. Und sie findet Erhörung! Vielleicht ist hierbei noch wichtig, wie das geschieht: Sie wird nicht gesund, nein, sie stirbt nach einen halben Jahr, nach schwerem Leiden und vielen Schmerzen. Aber durch ihr unablässiges Gebet hat sie zur Ergebung in den Willen Gottes gefunden. Er hat sie durch die Verheißung eines neuen, ewigen Lebens dahin geführt, dass sie zuletzt dieses irdische Leben gerne loslassen konnte. Diese gewisse Hoffnung und dieser Glaube an die Zukunft über den Tod hinaus wurde ihr im Gebet geschenkt. - Diese Frau hätte für sich sagen können: Gott hat mein Gebet erhört! Das selbe Beispiel, jetzt anders erzählt: Eine andere genau so schwer kranke Frau. Auch nur noch ein paar Monate Leben. Und sie betet, betet ohne Unterlass. Aber sie erfährt keine Antwort, jeden- falls keine, die sie sich erhofft hat. Und hierbei ist wohl auch wichtig, wie die Haltung der Frau ist, die da betet: Sie kennt nur den einen Wunsch: Ich will gesund werden. Ihr Wille soll geschehen. Sie möchte noch bleiben, noch weiterleben dürfen. Deshalb kann sie auch den Trost nicht sehen, der darin liegt, dass Gott uns ja doch mehr versprochen hat, als dieses Leben ... hier. Darum kann sie aus ihren Gebet auch keine Hoffnung über den Tod hinaus beziehen, weil ihre Bitte eben nur „Gesund werden“ heißt, Stopp der fortschreitenden Krankheit und ihres schweren Leidens. Das aber will ihr Gott nicht geben! - Diese Frau müsste für sich so sprechen: Gott hat mir die Erfüllung meiner Gebete versagt. Er hat mein Beten nicht gehört. Wir sehen, zu beiden Ergebnissen können Menschen auf Grund ihrer Erfahrungen kommen. Und beides - wie gesagt - ist gedeckt durch die Aussagen der Bibel, denn auch in ihr melden sich ja Menschen zu Wort, die mit Gott und mit ihrem Gebet solche oder solche Erfahrungen gemacht ha- ben. Liebe Gemeinde! Wie heißt denn nun ihre Antwort? Hat Gott ihre Gebete schön erhört oder nicht? Haben sie persönlich diese oder jene Erfahrung gemacht? - Die Fragen lösen sich auf für den, der sich von den Worten der Schrift einladen und anstiften lässt, die Wahrheit ihrer Aussagen für sich persönlich zu erproben und zu überprüfen. Für unser Beten heißt das: Probieren wir es doch wieder einmal aus, was der Name dieses Sonntags heißt: „Rogate“, „Betet“! Wenn sie jetzt sagen, aber ich bete doch, sogar täglich, dann füge ich hinzu: Versuchen sie es doch einmal mit einem solchen Be- ten, das Gott auch einmal ein wenig bedrängt. Ich glaube nämlich, das ist die Botschaft der uralten Mosegeschichte, die wir vorhin gehört haben. Sie will uns dazu führen, über das herkömmliche Maß unseres Betens hinauszugehen. Es kann nicht falsch sein, wenn Mose in seinem Gebet so deutlich zu Gott spricht. Hören wir doch, wie es ausgeht: „Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.“