Predigt zum Sonntag „Invokavit“ - 10.2.2008 Textlesung: Jak. 1, 12 - 18 Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben. Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand. Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Be- gierden gereizt und gelockt. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod. Irrt euch nicht, meine lieben Brüder. Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis. Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien. Liebe Gemeinde! Wir merken es: Die Passionszeit hat begonnen. „Versuchung“ ist heute das Thema. Ich muss ihnen gestehen, ich hätte diese Verse aus dem Jakobusbrief nach dem ersten Lesen am liebsten wieder aus der Hand gelegt und über etwas anderes gesprochen. „Versuchung“ - da versteht doch jeder etwas anderes darunter! Wie soll ich da jeden von ihnen hier erreichen? Wenn ich etwa von der Versuchung durch den weltlichen Besitz rede, werden wohl die Jüngeren unter uns abschalten, denn das geht sie noch nicht so sehr an. Spreche ich aber von Dingen des „Fleisches“, von „Begierde“ und der Versuchung zur Untreue in Partnerschaft und Ehe, dann ziele ich wohl an den Älteren hier vorbei, für die das nicht mehr oder nicht mehr so sehr ein Problem darstellt. Ich könnte auch ganz konkrete Situationen schildern, wo einer in der Entscheidung stand, dies oder jenes zu tun, das Richtige oder Falsche zu wählen, biblisch gesprochen: wo ein Mensch vor der weiten oder der engen Pforte entscheiden musste, gehe ich den leichten und bequemen Weg, den die große Menge einherschreitet oder den schmalen, steinigen und schwierigen Pfad hinter Jesus her, von dem wir aber wissen, dass er ins Leben führt? Was ich nun auch an Beispielen fände - immer würden einige sagen: „Uns betrifft das nicht! So etwas habe ich noch nie erlebt. Vor dieser Versuchung habe ich noch nie gestanden.“ Es müssten also allgemein gültige Versuchungen sein, von denen die Predigt handelt. Jeder müsste spüren können: Diese Sache geht mich an! - Aber wie soll das gehen? Sagen sie, liebe Gemeinde, sind wir jetzt nicht doch schon mitten drin in der Predigt, in den Fragen die uns betreffen - und zwar jeden hier!? Ist das nicht vielleicht gerade unsere „Versuchung“, dass wir immer denken: „Dies ist nicht unsere Sache, das geht uns nicht an und jenes betrifft uns auch nicht“!? Anders herum gesagt: Sind wir nicht wirklich immer wieder versucht, uns jeden Tag neu zu bestätigen: Wir sind in Ordnung so, wie wir sind. Wir haben keine Veränderung nötig. Wir gefallen uns so, wie wir sind - und Gott werden wir gewiss auch gefallen. Und wenn wir im Alltag, die Woche über so wie eben beschrieben zu uns selbst sprechen, könnte sich diese Versuchung am Sonntag nicht vielleicht so anhören: Ich brauche keinen Gottesdienst, denn ich bin ein rechter Christ, ich sündige nicht oder nur ganz selten und ich weiß von Gott schon genug und muss nicht mehr wissen. Und für uns, die wir jetzt hier in der Kirche sitzen, klänge diese Versuchung dann vielleicht so: Ich bin ein guter Christ, weil ich hierher gekommen bin. Ich habe diese Stunde Zeit, vielleicht Schlaf geopfert! Nicht viele bringen das fertig. Was der Pfarrer da oben redet, weiß ich ja eigentlich schon und ich befolge es ja auch schon seit langem. Ach, würden es doch einmal die da draußen hören! Haben sie sich jetzt irgendwo wiedererkannt, liebe Zuhörerin, lieber Zuhörer? - Ich muss es zuge- ben: Ich schon! Ich bekenne mich dazu, dass ich oft so zu mir spreche: Du bist doch eigentlich ein ganz ordentlicher Mensch und rechtschaffener Christ. Dann klopfe ich mir sozusagen selbst auf die Schulter und finde mich prima. - Mir ist das jetzt deutlich geworden: Das ist die Versuchung! Dass ich mich so recht und in Ordnung finde! Und die Gefahr dabei ist: Wenn ich mit mir selbst so zufrieden bin, was sollte mich veranlassen, mich irgendwie zu entwickeln und zu verändern? Aber jetzt mal ganz ehrlich, teilen sie dieses Problem nicht auch mit mir, dass sie manchmal denken und zu sich sprechen: Mit einem wie mir kann Jesus doch ganz zufrieden sein; ich bin kein so ganz großer Sünder; ich führe mein Leben in der Spur meines Herrn? Das aber ist auch klar: Wer von solch einem Denken über sich selbst ausgeht, der wird keine besondere Neigung haben, sich von einer Predigt oder einem Gottesdienst verändern und neu ausrichten zu lassen. Wer so sehr mit sich einverstanden ist, der wird durch Gottes Wort wohl kaum im Glauben wachsen wollen. Und was sollte denn sonst der Sinn von Predigt und Gottesdienst sein? - Noch einmal: Sind wir nicht in genau dieser Versuchung, dass wir uns nicht mehr durch Gottes Wort verändern lassen wollen? Und sind wir ihr nicht schon (oft) erlegen? Das hieße jetzt für unser Thema: Ist vielleicht die Versuchung des Fleisches oder des Geldes, der Ehre oder der Lüge, ja, ist die einzelne Versuchung, die einzelne Entscheidung für uns wohl gar nicht die Sache, um die sich alles dreht? Geht es bei uns nicht vielmehr um unsere gesamte Einstellung, um unsere Lebenshaltung, aus der heraus wir sprechen: Ich bin in Ordnung! Mit mir kann Gott zufrieden sein! Und trifft für diese Haltung nicht zu, was Jakobus sagt: Es sind die eigenen Begierden und Wünsche, die den Menschen ködern und fangen ...? Wir möchten vor Gott untadelig, rein und gut dastehen, das wünschen wir uns. Aber wir möchten gleichzeitig starr und fest, ohne Wachstum und Entwicklung auf der Stelle verharren, die wir lange schon kennen, auf der wir schon immer standen, die wir seit Jahren einnehmen ... denn wir sind wie gefangen an dieser Stelle. Und auch das stimmt, was wir vorhin gelesen haben: „Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde...“ Anders gesagt: Wenn einer seinen Wünschen nachgibt, wird sein Begehren gleichsam schwanger und bringt Sünde hervor. Denn wir können es nur „Sünde“ nennen, wenn wir das Angebot Gottes ausschlagen, täglich neu zu werden, uns zu verändern und dem Bild, das er von uns hat immer ähnlicher zu werden. Und es ist auch „Sünde“, welches Urteil wir damit über das Geschehen der Passionszeit sprechen, die jetzt begonnen hat: Denn wer gut und recht ist, so wie er heute ist, was braucht der eigentlich die Erlösung, die uns Jesus durch sein Leiden verdient hat? Liebe Gemeinde, es führt kein Weg an dieser Erkenntnis vorbei: Wer mit sich selbst zufrieden ist, und das angesichts all der Ereignisse der Passion unseres Herrn, der treibt - ob er das will oder nicht - seinen Spott mit Gott und dem, was er zu unserem Heil tun wollte! Der Selbstzufriedene, der Starre, der meint, er wäre auf dem rechten Weg, der nicht mehr wahrnimmt, wie dürftig sein Christentum ist und wie viel mehr er für die Sache Gottes und seine Mitmenschen tun könnte, der ist der Versuchung verfallen. Seine Haltung wird fortwährend Sünde gebären, von der Jakobus sagt: Wenn sie sich auswächst, führt sie zum Tode. Und da ist der Tod vor dem Sterben gemeint: der Tod von Menschen, denen nichts mehr nahe geht, die sich nicht formen lassen können, die nicht mehr wachsen wollen, die Jesu Leiden für sie nicht mehr rührt, die heute schon geistig und seelisch dort sind, wo sie in 10, 20 oder 30 Jahren auch noch sein werden. Aber es gibt Hoffnung und davon wollen wir jetzt auch reden! Wer auf die Probe gestellt wird und sie besteht, darf sich freuen! Wenn ein Mensch in Versuchung geführt wird, darf er nicht sagen: Gott hat die Versuchung über mich gebracht. Es sind immer die eigenen Wünsche, die den Men- schen ködern und fangen! Es liegt an uns selbst, worauf wir unsere Aufmerksamkeit, unser Interesse und unser Begehren richten. Und vielleicht kann ja die Passionszeit, die gerade beginnt, für uns zu einem neuen Anfang werden, zu einer Chance, aus der Starre des Immer-so-weiter auszubrechen. Ich glaube, wer in diesen Tagen den Weg des Herrn ans Kreuz in seinen Gedanken mitgeht, der begreift schon, dass Jesus nicht für sture und unbewegliche Zeitgenossen gelitten hat und gestorben ist, sondern für formbare, weiche Menschen, die sich von seinem Opfertod anrühren, bewegen und zu einem neuen Leben überwinden lassen. Und welche Zeit im Kirchenjahr würde sich ähnlich gut für eine Neubesinnung und Umkehr eignen, wie die Wochen auf Ostern hin? Der Gedanke des „Fastens“ und des „Verzichts“, wie er seit alters in die Passionswochen gehört, möchte uns helfen, unser Denken einmal auf das Wesentliche dieser Zeit zu konzentrieren: Wer sich eine Enthaltung auferlegt, die ihm wirklich etwas abverlangt, der begleitet Jesus auf der Straße nach Golgatha, der wird dann wohl auch leichter verstehen, was das heißt, was wir in diesen Wochen singen: „Der gute Hirte leidet für die Schafe.“ Außer einer Zeit der Umkehr, ist Passion - wir sehen es an den violetten Vorhängen an Altar und Kanzel - auch eine Bußzeit. Buße - dieser zweite Gedanke möchte uns anregen, einmal in uns zu gehen, vor uns selbst und vor Gott zu einzugestehen: Ich bin nicht in Ordnung, auch wenn ich im- mer gern nach außen so tue. Ich bin ein oft auch ein unfreundlicher, starrer Mensch, ohne Herzenswärme, ohne viel Verständnis für die Nöte der andern, verstrickt in eigene Wünsche, ganz und gar nicht liebenswürdig. Ich bin wirklich in der Versuchung, bequem auf der selben Stelle meiner geistlichen Entwicklung stehen zu bleiben, und bin ihr schon oft gründlich erlegen. Aus dieser Haltung heraus habe ich schon viel Sünde und Schuld geboren! Alle, die in diesen Passionswochen zu solchen Gedanken und zu solchem Erkennen gelangen, dür- fen sich freuen: Sie haben der Versuchung getrotzt und die Probe bestanden. Gott wird ihnen die „Krone des Lebens“ geben. AMEN