Predigt zum 2. Christtag - 26.12.2007 Textlesung: 2. Kor. 8, 9 Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet. Liebe Gemeinde, selten war ein Predigttext kürzer als dieser! Aber ist er deshalb auch leicht und schnell zu verstehen? Nun, auf den ersten Blick scheint das ja doch ganz einfach: Die Gnade Jesu Christi ist, dass er um unsertwillen seinen Reichtum aufgab und arm wurde, damit er uns reich macht. - - - Aber wenn man das so einen Augenblick stehen und wirken lässt, dann kommen doch Fragen: Warum wird Gott in Jesus Christus ein Mensch, ein Kind? Warum gibt er seinen Himmel auf? Warum geht Gott selbst in die Armut unseres Lebens ein? Schließlich müssen wir aber auch das noch fragen - gerade heute, an Weihnachten: Sind wir durch ihn wirklich reich geworden? Es ist nur eine recht kleine Geschichte, die ich ihnen erzählen will. Aufs erste Hören wirkt sie un- bedeutend, nicht weltbewegend. Aber ich habe doch in ihr die Antworten auf die eben gestellten Fragen gefunden. Und das gilt, obgleich eine der zwei handelnden Personen der Geschichte wohl nicht einmal ein Christ ist. Aber hören sie die Geschichte „Viel Licht“ (Verfasser unbekannt): Herbert Muschat, Busfahrer der Linie 34 zwischen dem Hauptbahnhof der Kreisstadt und den Dör- fern im Hügelland, verlässt den Bahnhofsvorplatz pünktlich um 20.10 Uhr. Kein Fahrgast. Am Hei- ligen Abend nicht ungewöhnlich. Muschat macht sich nicht viel aus heiligen Abenden. Deshalb hat er sich auch gemeldet, als das Büro der Fahrbetriebe Freiwillige für den 24. Dezember suchte. Kein Mensch auf der Straße. Ab und zu ein Auto. Es nieselt ein wenig. Das monotone Surren des Scheibenwischers macht schläfrig. Komischer Abend, denkt Muschat. Morgen ist alles wieder beim alten. An der Haltestelle Stegerhäuschen wartet ein kleiner Mann unter der Straßenlaterne. Er macht eine erschreckte Geste. Keine Angst, denkt Muschat, ich wäre nicht vorbeigefahren. Der Mann hat feuchtes Haar. Muss schon lange da gestanden haben. Türke. Muschat hat einen Blick für so was. Der Mann setzt sich seitlich vom Fahrer in die zweite Sitzreihe. „Gorgsmühle“, sagt er, mit k und zwei l. „Sie vielleicht kennen Peter Althaus?“, fragt er nach einer Weile. Muschat kennt Peter Althaus. Möbelgeschäft in Gorgsmühle, nicht reich, nicht arm, kleiner Bungalow am Dorfausgang. Der Türke, erfährt Muschat, hat diesen Althaus im Oktober nach einem Fußballspiel an der Theke ken- nengelernt und wurde von ihm zum Heiligen Abend eingeladen. Die Freude ist unverkennbar. In Gorgsmühle hat es der kleine Türke eilig. Muschat setzt sich zum Kollegen Bender, von der Linie 27, in den Bus, für den Gorgsmühle auch die Endstation ist. Sie haben 20 Minuten bis zur Rückfahrt. Als Muschat zu seinem Bus zurückkehrt, sitzt der Gast von vorhin wieder auf seinem Platz. „Nanu“, sagt Muschat. Der Türke hebt die Schultern. „Niemand da?“ fragt Muschat. „Nicht aufmachen“, sagt der Türke. „War Licht im Haus?“ fragt Muschat. „Viel Licht“, sagt der Türke. Sie ist zu Ende, die kleine Geschichte. Wie gesagt: Eher unbedeutend ihr Inhalt, nicht weltbewe- gend. Trotzdem: Das Herz kann sie bewegen, diese Geschichte. Mich hat sie angerührt, betroffen und traurig gemacht. Sicher wäre es auch ein Thema jetzt, den Gefühlen des kleinen Türken nach- zugehen, seiner Enttäuschung und was er jetzt wohl von den Deutschen denkt. Aber ich möchte lie- ber dorthin sehen, wo die Feier des Heiligen Abends stattgefunden hat, in den Bungalow des Peter Althaus, wie er hier heißt, der Mann, der den kleinen Türken zu sich eingeladen hatte. Wir wollen ihn jetzt nicht entschuldigen, vielleicht so: Sicher hat er das Klingeln des Türken an der Haustür nicht gehört. Oder: Es waren vielleicht Leute bei ihm im Weihnachtszimmer, die er mit dem aus- ländischen Besucher verärgert hätte. Wir wollen nur sehen und hören, was die Geschichte uns über diesen Heiligen Abend im Haus der Familie Peter Althaus vermitteln will: Der kleine Türke war eingeladen. Er folgt der Einladung, was ihm wahrscheinlich nicht leicht gefallen ist. Er war sicher allein in Deutschland, sonst hätte er seine Frau mitgebracht. Aber man lässt ihn nicht ein. Im Haus aber war Licht, viel Licht sogar. Und da sind wir zurück bei den Fragen vom Anfang: Warum wird Gott in Jesus Christus ein Mensch, ein Kind? Warum gibt er seinen Himmel auf? Warum geht Gott selbst in die Armut unse- res Lebens ein? Und mit dieser Geschichte können wir nun antworten: Weil wir sonst nicht zur Menschlichkeit fin- den! Wir brauchen das Beispiel Gottes, der Mensch wird, um selbst Menschen zu werden. So lange Gott fern in seinem Himmel thront, können wir es nicht begreifen, dass hier auf der Erde jeder Mensch, der uns begegnet, sein Antlitz trägt - auch wenn es das Gesicht eines Türken, eines Inders, eines Afrikaners oder Chinesen ist! Und wäre Gott in seiner Herrlichkeit geblieben, dann hätten wir es nie begriffen, dass gerade die Armen und Schwachen, die Einsamen und Zukurzgekommenen die sind, die er am liebsten mag. - Und der kleine Türke war sicher nicht reich und einsam war er auch. Und schließlich ist Gott gerade in der Gestalt eines kleinen Kindes zu uns gekommen, weil er unse- re Liebe entfachen wollte, dass wir sie denen zuwenden, die uns brauchen und unsere Liebe nötig haben. - Der kleine Türke hätte gewiss auch ein wenig Liebe und Zuwendung gebrauchen können, allein in einem fremden Land und oft genug den Feindseligkeiten und dem Fremdenhass der Ein- heimischen ausgesetzt. Liebe Gemeinde, sicher haben sie auch diese Anspielung verstanden, wenn der Türke zum Busfah- rer sagt, es wäre „viel Licht“ im Bungalow von Peter Althaus gewesen. Ist nicht unser Weihnachts- fest ein Fest des Lichts? Bereitet nicht auch schon unser Adventskranz mit seiner sich steigernden Zahl von Kerzen die Ankunft des ganz großen Lichts, ja, des Lichts der Welt, Jesus Christus vor? Aber ist dieses Licht denn wirklich in einer Weihnachtsstube angekommen, wenn ein Fremder, nein, ein eigentlich eingeladener Gast draußen bleiben muss? Anders gesagt: War es nicht in der Stube bei Peter Althaus trotz des „vielen Lichts“ sehr dunkel geblieben? Und da komme ich zu der letzten der eingangs gestellten Fragen: Sind wir durch Jesus Christus, das Gotteskind in der Krippe, wirklich reich geworden? - Im Bungalow in Gorgsmühle, das können wir sicher sagen, ist es bei der geistlichen Armut geblieben, die wohl auch das ganze Jahr über dort herrscht. Aber verlassen wir jetzt die Geschichte und ihre Personen und Orte - wie ist es bei uns: Hat uns die Geburt Gottes in unsrer Welt reich gemacht, froh und aufgeschlossen dazu, die Liebe, die Gott uns geschenkt hat, an andere Menschen weiterzuschenken? Denn um nichts anderes als dies geht es an Weihnachten: Dass wir die Liebe Gottes, die in Bethlehem die Gestalt eines Kindes angenommen hat, weitergeben an unsere Mitmenschen - und eben nicht nur an die, die uns nah, sondern auch die, deren Lebensart, Nationalität, Aussehen oder Hautfarbe uns fremd sind. Ich wünsche uns zu diesem Weihnachtsfest von Herzen, dass alle Menschen, die uns nah kommen, bei uns „viel Licht“ finden. Ich wünsche uns, dass dann auch auf unserem Gesicht etwas von die- sem Licht strahlt und wir damit den anderen Menschen etwas Helle, Freude und Liebe abgeben können. Und ich wünsche uns dabei auch selbst die Freude, die es macht, mit dem Licht des menschgewordenen Gottes bei anderen das Dunkel und die Schatten der Mühsal und des Leids zu vertreiben. So wünsche ich uns gesegnete und lichtvolle Weihnachten. AMEN