Predigt zum 4. Adventssonntag - 23.12.2007 Textlesung: Jes. 52, 7 - 10 Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König! Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt. Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes. Liebe Gemeinde! Friede, Freude, Fröhlichkeit, so könnte man diese Prophetenworte überschreiben. Und ich denke, weil wir nach diesen drei Dingen suchen, sind wir auch heute - so kurz vor Heiligabend - in die Kirche gekommen. Und irgendwie meinen wir doch, dass die Zeit drängt! Auch meinen wir, wir müssten es jetzt selbst in die Hand nehmen. Denn es ist ja nur noch ein Tag, es sind nur noch Stun- den, da sollen sie sich einstellen: die Fröhlichkeit, die Freude, der Friede in unseren Herzen. Wir wollen nun heute nicht so ganz tief in die Worte des Jesaja eindringen, die sind uns doch zu fern und zu weit weg von dem, was uns gerade beschäftigt. Längst haben wir uns ja in unseren Ge- danken auf Weihnachten und die Geburt des Heilands eingestellt und darauf, wie und mit wem wir das Fest feiern. Eines aber wollen wir hören und beachten, denn es will und es kann uns dabei hel- fen, dass wir wirklich finden, was wir suchen: „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten ...“, sagt der Prophet und wir könnten denken, die Freude Wäre schon da! „Sie verkündigen Frieden, predigen Gutes, verkündigen Heil, und sagen zu Zion: Dein Gott ist König!“ So lesen wir weiter. Und fast könnten wir über solche Sätze hinweggehen, ohne dass es uns auffällt: „Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden (!!!) es sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt.“ Jetzt haben sie es gemerkt: Das ist noch gar nicht soweit. Der Prophet nimmt die Wirklichkeit vorweg, er sieht voraus, was kommen wird. Und wir heute wissen: Es ist gekommen! Aus den Trümmern der heiligen Stadt entstehen wieder bewohnbare Häuser. Der Tempel wurde wieder aufgebaut. Gott hat als König wieder seinen Sitz auf dem Zion genommen. Die Freude, der Friede und die Fröhlichkeit haben sich eingestellt! Davor aber mussten die Menschen die eine Tugend beweisen, die eigentlich jeder Freude voraus geht: Wartenkönnen. Friede und ein fröhliches Herz sind nicht gleich da - schon gar nicht, wenn wir uns bemühen, uns anstrengen, um sie zu erhaschen. Es ist Gott selbst, der damals den Menschen brachte, was sie wieder froh und glücklich gemacht hat. Alles, was sie tun mussten war zu warten, bis Gott ihnen die Zeit der Freude schenkte. Ich habe eine Geschichte gefunden, mit der machen wir jetzt einen gewaltigen Sprung in unsere Zeit. Die Geschichte handelt von der Freude, von der Erwartung und sie spielt gerade an diesem Tag vor Heiligabend. Aber jetzt genug der Vorrede: „Lange ist es schon her, wohl fünfzig Jahre. Aber ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, wie man ja denn für einige dunkle Geschehnisse des jungen Lebens oft ein merkwürdig gutes Gedächtnis hat. Es war am Tag vor Heilig Abend. Ich war acht Jahre alt, Und wie man es so als Kind ist: Ich war geladen vor Spannung und Erwartung kommender Herrlichkeiten. Meine Mutter pflegte immer am Tag vor Heilig Abend alle Vorbereitungen beendet zu haben. Die letzten Stunden sollten nicht in Hast, sondern in Stille verlaufen. Überall im Haus roch es nach Spekulatius und nach Stollen. Es war überhaupt ein wunderbarer Duft im ganzen Haus, wie er nur Weihnachten die Häuser durchzieht. Natürlich hatte ich schon auf der Treppe einen Silberfaden entdeckt, untrügliches Zeichen: Das Christkind war an der Arbeit gewesen. Freilich, mehr durfte ich nun auch nicht wissen. Die Tür zum Weihnachtszimmer war sorgsam geschlossen. Mir war immer, als wache der Erzengel Gabriel vor dem Tor. Selbst durchs Schlüsselloch hatte ich nichts sehen können. So half es nichts, ich musste noch Geduld haben und warten. Das Warten war schwer. Ich wusste den ganzen Tag nichts mit mir anzufangen, stand bald hier, bald dort, blickte aus dem Fenster in den verdämmernden Tag. Da sah ich plötzlich, dass die Mutter das Haus verließ, vermutlich, um doch noch letzte Weihnachtswege zu gehen. Wie ein Magnet zog mich das Weihnachtszimmer an. Ich schlich auf den Flur und entdeckte - mich durchfuhr ein Schreck, der Zimmerschlüssel steckte in der Tür. In mir tobte ein Kampf. Alle guten Mächte waren wohl da, aber auch alle bösen Kräfte. Und das Schreckliche war: Die bösen Kräfte siegten. Neugierig, aber doch behutsam, schlich ich zur Tür, drehte den Schlüssel mit zitternden Händen um, öffnete die Tür und stahl mich in das Weihnachtszimmer. Tatsächlich, der Baum stand da, geschmückt mit Gold und Silber und unter dem Baum sah ich mit geübtem Blick alle Geschenke, die Bleisoldaten, die Eisenbahn, den Baukasten und den neuen Schulranzen. Dann war ich wieder draußen. Das böse Gewissen trieb mich in mein Zimmer, wo ich, als wäre nichts geschehen mich ausgerechnet über die Ferienaufgaben der Schule hermachte. Eine Stunde später war die Mutter zurück. Und wie es so bei Müttern immer ist: Sie entdecken ja alles. Meine Schandtat war entdeckt. Ich hatte vergessen, den Schlüssel wieder umzudrehen. Es war sinnlos zu leugnen, und so bekannte ich, was geschehen war. „So, nun bekommst du Weihnachten nichts.“ Das war ein hartes Wort der Mutter, die schwerste Strafe, die angedroht wurde, aber das Allerschwerste war wohl doch, dass ich mir gestehen musste: Ich hatte das verdient. Wie ich die Nacht geschlafen habe, weiß ich nicht mehr. Aber das weiß ich, dass der ganze andere Tag, der Heilige Abend, für mich wie mit Nebeln verhangen war und selbst das gute Auge der Mutter schien mir unsagbar traurig. Am Heiligen Abend dann wurden auf dem Flur erst die Weihnachtslieder gesungen, die Weihnachtsgeschichte wurde verlesen. Aber in mir war kein Friede auf Erden und auch kein menschliches Wohlgefallen. Dann wurde die Weihnachtstür geöffnet, wir traten ins Zimmer. Ich sah den brennenden Baum, den Baum mit all den funkelnden Lichtern. Ein Blick auf den Gabentisch. Ach, es durchfuhr mich richtig. Es war ja alles da. O wun- derbare, nie zu verstehende und so überwältigende Unlogik aller Mütter in der Welt der Strafe. Es war alles da. Die Eisenbahn, der Baukasten, die Bleisoldaten und sogar der Schulranzen lag noch da. Und doch - alles hatte seinen Glanz verloren, die Soldaten in ihrer schimmernden Wehr, der Baukasten und der Ranzen, auf den ich mich das ganze Jahr gefreut hatte. Selbst auch die Lichter am Baum hatten ihren geheimnisvollen Glanz verloren. Ein Zauber war gestorben. Eine Tür war zu früh aufgebrochen. Nie habe ich seitdem diesen Heiligen Abend je vergessen können. Und nun meine ich, dass in dieser Geschichte eine kleine, aber tiefe Wahrheit steckt. Wehe dem, der die Türen zu früh aufbricht, die Weihnachtstüren des Lebens, zur Liebe. Wehe, wer diese Türen, die Tür zur Freude, die Tür zum Leben, aufbricht, ehe sie sich von selbst öffnen. Wo nämlich eine Tür zu früh geöffnet wird, da schwindet aller Glanz und alle göttliche Herrlichkeit und damit aller Segen. Das ist im Leben so, in der Freude, in der Liebe und in der Heiligen Nacht. Wir müssen warten vor den Türen, bis Gott sie öffnet. (nach Martin Knolle: Die Weihnachtstür) Liebe Gemeinde! Nein, viel ist nun nicht mehr zu hinzuzufügen. Die Geschichte hat es gesagt: Wir müssen warten können, Geduld haben. Die Fröhlichkeit, der Friede und die Freude der Weihnacht kommen nicht durch uns. Gott selbst bringt sie, schenkt sie uns. Er öffnet uns die Tür. So wünsche ich heute uns allen, dass wir von hier mit nach Hause nehmen: die stille Gelassenheit, dass Gott uns zu diesem Fest alles schenken wird, was wir uns erhoffen. Er wird dies um so mehr und um so leichter tun können, je mehr wir uns getrost und im Glauben darauf verlassen. AMEN