Predigt zum 4. So. nach „Trinitatis“ - 1.7.2007 Textlesung: Jh. 8, 3 - 11 Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu ihm, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr. Liebe Gemeinde! Ich finde diese Antwort Jesu immer wieder ganz großartig: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Besser kann man einen solchen Angriff nicht parieren. Und es war ein Angriff! Es hätte sehr gefährlich für ihn werden können, je nachdem wie seine Antwort ausge- fallen wäre. Denn es war eine Falle, die sie ihm gestellt hatten: „Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu stei- nigen. Was sagst du?“ Es gab nur zwei mögliche Antworten - aber beide wären falsch gewesen: Hätte Jesus gesagt: Dann steinigt die Frau!, dann hätte er die Verfolgung der römische Besat- zungsmacht auf sich gezogen, denn die Juden durften die Todesstrafe nicht verhängen und schon gar nicht vollstrecken. Und wenn er - wie es der Barmherzigkeit entsprach, die er doch predigte - dafür gesprochen hätte, die Frau zu schonen, dann hätte er sich gegen das Gesetz Moses gestellt, das die Steinigung einer Ehebrecherin ganz eindeutig verlangte. Was hatten die Pharisäer und Schriftgelehrten erwartet? Auch das war ganz klar, denn: „Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten.“ Und sie hatten ihn doch nicht umsonst mit Meister, also mit seinem Titel Rabbi oder Lehrer angesprochen. Wenn er sich überhaupt auf die Frage einließ, hätte es nur so antworten können: Er musste die Frau verdammen! Es gab keine andere Möglichkeit für ihn, als dem Gesetz des Mose entsprechend, dem für die Juden einzig gültigen Gesetz, zu entscheiden. Sein Urteil musste also lauten: Steinigt sie. Aber wenn es nun von ihm heißt: „Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.“, dann dürfen wir nicht denken, er hätte vielleicht lieber schweigen wollen oder gar, er hätte da irgend eine Botschaft in den Sand geschrieben. Nein, er denkt nach. Die Antwort, die er geben soll, geben muss, ist zu wichtig, als dass er jetzt zu schnell, zu unbedacht ... das Falsche sagt. Aber als er sich nun aufrichtet und redet, kommen Worte aus seinem Mund, mit denen niemand gerech- net hat: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Wie gesagt: Großartig! Jetzt kann er sich wieder niederbücken und weiter mit dem Finger auf die Erde schreiben. Jetzt kann er abwarten, was die andere Seite tut. Und die kann nicht anders: „Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst ...“ Und wir können es uns denken, wa- rum die Ältesten, die Erfahrensten, die Ersten sind, die sich davonmachen: Sie haben begriffen, dass sie hier nichts mehr gewinnen können. Dieser Jesus ist ihnen einfach überlegen. Und vielleicht haben sie auch gespürt, dass er nicht aus sich selbst heraus spricht, sondern der Geist Gottes auf ihm ruht. Liebe Gemeinde, ganz gewiss ist es nicht unwichtig, wie die Geschichte nun weitergeht: Dass die Frau allein zurückbleibt. Dass Jesus sie fragt: „Hat dich keiner verdammt?“ Und dass er sie, als sie verneint, auch nicht verdammt und ihr so das Leben neu geschenkt ist. Wir wollen uns mit ihr über diese Wende freuen und mit Jesus hoffen, dass sie nicht so bald wieder die Ehe bricht. Und sicher werden wir auch darüber nachdenken, wie frauenfeindlich und von daher ungerecht das damalige Gesetz doch war, das nur den Ehebruch der Frauen sah und bestrafte. Für heute aber wollen wir ei- nen anderen Gedanken verfolgen, der sonst bei dieser Geschichte meist zu kurz kommt. Diesem Gedanken kommen wir auf die Spur, wenn wir noch einmal an dieser Stelle in die Szene hineinge- hen und sie weiterdenken: „Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.“ Denn selbstverständlich hätte Jesus noch eine Möglichkeit gehabt, sich aus der Sache herauszuzie- hen, in die sie ihn verwickeln wollten! Ich habe es ja auch schon angedeutet: Er hätte schweigen können - bis zum Abend vielleicht. So lange, bis die Männer, die jene bedauernswerte Frau vor ihn gezerrt hatten, zu ihrem Abendessen und ihrer Schlafmatte gingen. Und noch eins hätte er tun können: Die Männer anfahren! Vielleicht so: „Lasst mich in Ruhe! Das geht doch mich nichts an. Ich kenne diese Frau doch gar nicht und bin für ihre Sünden nicht zuständig!“ Das wäre nicht so schön und überzeugend gewesen, eine Möglichkeit war es allemal, wenn auch eine, die nicht zur Überlieferung dieser Geschichte im Evangelium geführt hätte. Und eben darauf will ich heute hinaus: Jesus stellt sich der Frage, wie mit der Frau zu verfahren wäre. Er hält sich nicht für unbeteiligt. Vielmehr geht ihn das etwas an, was sie mit der Frau ma- chen wollen. Und warum? Nein, nicht weil er Rabbi war, nicht weil er Jesus hieß und viele ihn schon damals und Millionen Christen heute für den Sohn Gottes hielten und halten. Wie er sich verhält ist nur ... einfach menschlich oder sagen wir: christlich! Und wenn ich darüber nachdenke, kommen mir unzählige Szenen in den Kopf, die heute spielen und in denen Menschen wie wir ihre Rolle haben: - Die Zuschauer bei gewalttätigen Auseinandersetzungen auf offener Straße: Einer liegt schon am Boden, mehrere andere lassen nicht ab von ihm. Blut fließt. Der am Boden windet sich vor Schmerzen. - Die Passanten, die drumherum stehen, schauen zu als handelte es sich um einen Krimi im Fernsehen. Keiner greift ein - was man vielleicht noch verstehen kann. Keiner aber auch, der sein Handy aus der Tasche nähme und 110 wählte! - Aber auch viel weniger gefährliche Situationen fallen mir ein: Im Betrieb wird der Kollege vom Chef zur Schnecke gemacht. Vor aller Augen und Ohren im Büro. - Aber keiner ist da, der einmal ein gutes Wort über den sagt, der da vorgeführt wird. Und da gäbe es viel zu sagen. Vielleicht bes- teht ja nicht einmal ein Anlass dafür, dass der Chef sich so gehen lässt. Aber es bleibt beim Schweigen ringsum. Und in manchem Hirn arbeitet es. Und bei einigen meldet sich das Gewissen. Stärker aber sind am Ende solche Überlegungen: Der Chef wird sich auch wieder einkriegen. Das geschieht dem Kollegen ja auch einmal recht, so oft wie der mich auch schon geärgert hat. Für den riskiere ich doch nicht meinen Job! - Und schon in der Schule und in Konfirmandengruppen gibt es das: Eine oder einer wird aufs Korn genommen: „Die ist zu fett. Der trägt die falschen Turnschuhe. Die ist langweilig. Der zieht sich immer raus, wenn wir mal die Lehrerin ärgern wollen. Die macht sich beim Pfarrer lieb Kind!“ - Wer steht auf und setzt sich für die oder den ein, die sie zum Außenseiter machen? Wer hat genug Mut, herauszutreten aus diesem Denken und Handeln: Was geht’s mich an!? Ich glaube, auch hierzu hat uns die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin etwas zu sagen. Und ich glaube, was sie uns da sagen kann und will, ist fast noch wichtiger als das, was die Pharisäer und Schriftgelehrten, was die Frau und die gute Antwort Jesu betrifft. Jesus kann auch darin unser Vorbild werden, dass er sich nicht in mehr oder weniger gute Ent- schuldigungen zurückzieht: „Das ist nicht meine Sache. Das geht mich nichts an.“ Auch schweigt er nur so lange wie er braucht, auf eine gute Antwort zu kommen: „Wer unter euch ohne Sünde ist ...“ Wir können es am Reden und Verhalten unseres Herrn ablesen: Es gibt keine Situation, in die wir geraten oder schon seit langem sind, in der uns der von Gewalt oder Herabsetzung, von Schaden oder Verleumdung Bedrohte „nichts anginge“. Und es gibt kein Unrecht, das ein Mitmensch leiden muss, das ihm „recht geschieht“ und das er verdient hätte. Ein solches Denken verbietet sich, seit derselbe Herr Jesus Christus für unser aller Schuld ans Kreuz ging. In ihm und durch ihn sind wir alle Geschwister, deren Leid wie deren Freude, deren böses Schicksal und deren frohe Zeit, deren Unglück wie deren Glück alle angeht. Eigentlich ist das schon „menschlich“. Wenn wir Christen sein wollen, kann es überhaupt keinen anderen Weg geben als den, sich in Mitleid oder Mitfreude, in Beistand oder guten Wünschen, in Hilfe und geschwisterlichem Geist an allem teilzunehmen, was den Menschen in der Nähe und in der Ferne betrifft. Es ist nicht leicht, hier immer wieder die richtige Entscheidung zu treffen und das zu sagen und zu tun, was dem anderen wirklich dient. Unser Herr hat sich die Zeit gelassen nachzudenken, während er mit dem Finger auf die Erde geschrieben hat. Dann aber hat er sich zu der bedrängten Frau ges- tellt und so gesprochen, dass ihr geholfen wurde. Wir dürfen uns auch besinnen, auch unsere nächsten Worte oder Schritte bedenken und abwägen. Dann aber müssen wir den Mund aufmachen und so handeln, dass es dem Menschen, der uns braucht, dienlich ist. Ich bin überzeugt, dass wir bei unseren Taten und Worten in Jesu Sinn Gottes heiligen Geist geschenkt bekommen und auf unserer Seite haben. AMEN