Predigt am Sonntag „Exaudi“ - 20.5.2007 Textlesung: Jh. 14, 15 - 19 Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, daß er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. Liebe Gemeinde! Es ist schon wunderbar mit den Worten der Heiligen Schrift. Man hat bestimmte Verse gewiss schon 10-mal oder noch mehr gelesen - immer wieder springt einem ewas Neues ins Auge: Ein in- teressanter Gedanke, ein Wort, über das man bisher noch nie nachgedacht hat, ein Satz, der auf einmal ganz anders zu uns spricht ... So ist es mir heute mit diesen letzten Worten Jesu vor seiner Auffahrt zum Vater gegangen. Genau war es dieser Gedanke, diese zwei Sätzchen, über die ich ganz neu ins Nachdenken gekommen bin: „Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.” Die „Welt”, das sind hier ganz klar die Menschen, die nicht an Jesus Christus glauben, damals wie heute. Für sie ist er seit Karfreitag tot. Für sie ist er im Grab geblieben. Sie haben ihn nie gekannt oder schon lange vergessen. Und was er in der Welt getan hat an Zeichen und Wundern, an Taten der Liebe und der Zuwendung, in Leiden und Sterben, das hat für sie keine Bedeutung. Schon gar nicht glauben sie an seine Auferstehung. Darum ist auch die „Welt” alles, was diesen Menschen zu- teil wird - hier und ewig. Die anderen aber sind alle, die durch den Glauben verbunden sind und verbunden bleiben mit ihrem Herrn. Sie spricht er hier mit „Ihr” an. Sie vertrauen ihm in diesem und hoffen auf ihn in einem an- deren Leben. Sie wissen, dass er ihnen in der Auferstehung als Erstling der Toten vorausgegangen ist und sie ihm einmal folgen werden. - Soviel zur Theologie dieser beiden Sätze. „Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.” Hier kommt die praktische Seite: Ihr sollt mich sehen!? - Wenn wir ehrlich sind, dann haben wir uns eigentlich damit abgefunden, dass wir Jesus heute nicht mehr sehen. Gerade haben wir seine Himmelfahrt bedacht und im Got- tesdienst gefeiert. Wird es da denn nicht wirklich deutlich: Er ist nicht mehr bei uns. Er ist beim Vater ... im Himmel ... jedenfalls dort, wo sein Reich ist und das ist, wie er selbst sagt, nicht von dieser Welt. Wie und wo also sollen wir ihn heute in dieser Welt „sehen“? Oder ist da vielleicht ein „Sehen“ mehr im geistlichen Sinn gemeint? Wie man so sagt: Wenn Men- schen in seinem Auftrag handeln, dann „sehen“ wir in ihren Taten, in ihrem Wirken den Herrn. Oder: Alle Menschen tragen Jesu Antlitz; noch in den geringsten unserer Brüder und Schwestern „sehen“ wir ihn! - Das ist gewiss auch nicht verkehrt, wenn wir so reden und vor allem, wenn wir uns entsprechend verhalten. Für mich aber führt ein anderes Verständnis dieses Wortes: Ihr sollt mich sehen!, doch noch weiter. Sehen wir Jesus denn nicht auch noch auf Bildern und in plastischen Darstellungen? Da dürfen wir ruhig auf die heute in den Schlafzimmern und Wohnstuben älterer Menschen noch weit verbreiteten Ölgemälde vom „Guten Hirten“ denken. Manchmal ist auch die Stillung des Seesturms zu sehen oder vielleicht die Speisung der 5000. Immer aber wird mit diesen Bildern - wenn wir die Gesch- macksfragen einmal draußen lassen - etwas vom Wesen Jesu vermittelt, das wir auf diesen Gemälden „sehen“ können: Beim „Guten Hirten“ etwa Jesu liebevolle Fürsorge zu uns, bei der „Sturmstillung“ seine Macht über die Elemente, über Sturm und Wasser, Himmel und Erde. Und in der „Speisung“ schließlich erkennen wir, dass er uns satt machen kann und wir alles, was wir zum Leben wirklich brauchen, von ihm empfangen. Aber sicher werden sie sagen: Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt, wenn das hier gemeint sein soll: Ihr werdet mich sehen! Wünschen würden wir uns doch jedenfalls etwas anderes: Die leben- dige Beziehung zu Jesus, dass wir ihn vor uns sehen könnten, so wie wir einander sehen, wenn wir uns gegenüber stehen. Andererseits: Kennen wir nicht manches in dieser Welt, was wir eigentlich nicht auf diese Weise „sehen“ und von dem wir doch wissen, das wir spüren und auch mit unseren Augen wahrnehmen können? Die Liebe fällt mir ein, die auf unserem eigenen und dem Gesicht des Menschen liegt, den wir lieb haben! Oder das Vertrauen, für das es auch nur Bilder gibt, das wir aber doch auch sehen und spüren, wenn wir in der Nähe der Menschen sind, bei denen wir uns geborgen fühlen und von denen wir wissen, sie meinen es gut mit uns. Doch: Es gibt dieses „Sehen“, das uns sozusagen durch Bilder oder Erfahrungen vermittelt wird. Und wir müssen uns wohl - solange wir in dieser Welt sind - mit diesem Sehen zufrieden geben. Aber kommen wir noch einmal zurück zu den Bildern Jesu Christi in unserer Welt. Die wichtigste Darstellung von ihm haben wir noch gar nicht genannt! Das ist nämlich unser Herr, wie er am Kreuz hängt. Nicht umsonst ist dieses „Bild“ des für die Menschen geopferten Gottessohns auch das Symbol unseres Glaubens und des Christentums überhaupt geworden. Ich weiß es nicht, aber ich würde denken, die Kreuzesdarstellungen in den Kirchen und christlichen Häusern rings um die Erde zählen nach Millionen! Und ich glaube, wenn wir sagen sollten, wo wir unseren Herrn heute wirklich am deutlichsten „sehen“, dann müssten wir sagen: In den Darstellungen, in denen sein ge- schundener Leib am Kreuz hängt. Nun scheint das im Zusammenhang mit diesem anderen Gedanken ja doch ein wenig seltsam und fragwürdig: „... denn ich lebe, und ihr sollt auch leben!“ Wie passt das denn mit dem Bild des ge- kreuzigten Christus zusammen? Liebe Gemeinde, schauen sie jetzt doch einmal nach vorn auf das Kruzifix (Kreuz) auf unserem Al- tar. (Stellen sie sich den Gekreuzigten einmal daran hängend vor!) Denken sie vor diesem Bild Jesu Christi wirklich an einen Toten? Oder ist es nicht vielmehr so, dass wir in unserem Kopf den Kar- freitag immer mit Ostern verbinden, dass also der gekreuzigte Herr für uns immer auch der Aufers- tandene ist? Und genau an dieser Stelle rundet sich die „Sache“ oder besser: Hier wird das Bild un- seres Herrn, das wir nur auf der Kreuzesdarstellung „sehen“, zur Erfahrung und zur lebendigen Be- ziehung zu ihm. Denn es ist dieser Gedanke, der uns im Glauben begleitet: Jesus Christus ist der Herr meines Lebens. Er hat für mich gelitten und ist für mich gestorben. Aber er ist auch für mich auferstanden und wie er werde auch ich einmal auferstehen und in die Ewigkeit Gottes gehen! Mit diesem „Sehen“ Jesu Christi, das vor seinem Kreuz beginnt und im Glauben in meinem Herzen einzieht und Wurzel schlägt, beginnt auch mein Herr in mir zu leben: Wenn ich frohe Stunden habe, dann weiß ich es: Er schenkt sie mir - und ich werde ihm danken. Wenn mir der Mut ausgeht, dann kann ich mich daran erinnern, dass auch ihn im Garten Gethsemane der Mut verlassen hat. Aber ich darf auch an den Sieg am Ostermorgen denken, den Sieg über Tod und Teufel und alle Mächte, die mich zu Boden drücken wollen - das wird mir neue Kraft schenken. Und wenn ich leiden muss, werde ich es spüren: Er lässt mich keinen Augenblick allein. Und wenn’s ans Sterben geht, dann reicht er mir die Hand und führt mich das letzte Stück - und hinüber. Ja, noch einmal ja, es ist hier nicht dasselbe Sehen, das wir meinen, wenn wir davon sprechen, wie unsere Frau, unser Mann, unser Freund oder unser Nachbar aussieht oder wie wir uns im Spiegel erkennen. Es ist eher ein inneres Sehen, eines des Herzens oder des Glaubens. Aber die Augen des Herzens, die Augen des Glaubens sehen nicht schlechter als die, die wir im Kopf haben. Ich würde sogar sagen, wie es ein Dichter des vergangenen Jahrhunderts ausgedrückt hat: „Man sieht nur mit dem Herzen gut!“ Und hinzugefügt hat er, was nicht weniger wahr ist: „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar!“ Liebe Gemeinde, wenn wir also unseren Herrn „nur“ mit den Augen des Herzens und des Glaubens sehen können, dann denken wir nur nicht, das wäre wenig! In der Betrachtung seines Kreuzes wird unser Sehen deutlich und lebendig. Alles, was unser Herr für uns getan hat, was er für uns bedeutet wird unser Denken, Reden, Fühlen und Handeln erfüllen. Wir werden Freude erfahren, Trost, Kraft und Hilfe bekommen und der Weg den wir gehen können und das Ziel, zu dem uns der Glaube führen will, wird klar vor uns liegen und wir werden spüren, dass Jesus Christus bei uns ist und uns begleitet und dass sein Wort, das er uns heute sagt, wahr ist: „Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.“ AMEN