Predigt am „Karfreitag“ - 6.4.2007 Liebe Gemeinde! Seltsam ist das: An Heiligabend, kommen immer viel mehr Menschen in die Kirche als an Karfrei- tag. Unterm Tannenbaum stehen wir lieber als unterm Kreuz - so scheint es. Dabei kann daran kein Zweifel sein: Heute ist der höchste Feiertag der Christen. Gewiss ist Weihnachten ein schönes Fest: „Gott wird Mensch“, darüber können wir uns freuen ..., aber wird Jesus nicht eigentlich nur gebo- ren, um für uns zu sterben? Ohne diesen Tod wären wir noch in unseren Sünden, kein Weg führte zu Gott, aus diesem ins Ewige Leben. Jesu Sterben für alle Menschen ist die Mitte des christlichen Glaubens, da gibt’s keinen Zweifel. Warum also drängen sich die Leute immer wieder in überfüllten Christvespern, warum nicht heute, in diesem Karfreitagsgottesdienst? Kerzenschimmer, Krippenspiel und „O du fröhliche“, das gefällt besser als die Dornenkrone, die Leidensstraße und das Dröhnen der Hammerschläge, wenn sie seine Hände und Füße ans Kreuz heften. Und ich verstehe das! Der Heilige Abend weckt bei uns Freude und gute Gefühle. Der Karfreitag aber steht für Trauer, Leid, Schmerz und Tod. - Wer hat es damit gern zu tun? Deshalb danke ich ihnen, liebe ZuhörerInnen, dass sie heute gekommen sind, dass sie sich dem aus- setzen wollen, dass sie sich nicht scheuen, unseren Herrn auf seinem Gang zum Kreuz zu begleiten - wenigstens in Gedanken. Ich weiß, auch ihnen ist das heute nicht leicht gefallen, zur Kirche zu gehen. Weihnachten oder Ostern zieht’s uns irgendwie mehr ins Gotteshaus. Aber jetzt sind sie da, haben innere Abwehr und Unbehagen überwunden und sind dem Gefühl gefolgt, dass eine Christin, ein Christ am Todestag ihres Herrn unter die Botschaft vom Kreuz gehört. Und hier ist diese Botschaft - in ganzer Härte: Textlesung: Mt. 27, 33 - 50 Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er’s schmeckte, wollte er nicht trinken. Als sie ihn aber ge- kreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. Und sie saßen da und be- wachten ihn. Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und spra- chen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht hel- fen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die andern aber sprachen: Halt, laß sehen, ob Elia komme und ihm helfe! Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriß in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen! Kreuz, Schmerz, Blut, Geschrei und Tod ... das sind diese dunklen Dinge, derentwegen so vielen Christen unbehaglich ist am Karfreitag in der Kirche oder auch schon in ihren Gedanken an den Sinn dieses Tages, wenn sie sich solche Gedanken überhaupt noch machen. Und natürlich denken wir auch an unsere Schuld, denn für die ist dieser Christus ja den Leidensweg gegangen. Und wer möchte zugeben, dass er schuldig ist? Wann haben sie zum letzten Mal zu ihrem Ehepartner oder sonst einem vertrauten Menschen gesagt: „Du, ich bin an dir schuldig geworden!“ Kam das überhaupt schon einmal über ihre Lippen? Und doch laden wir uns täglich Schuld auf, an den Nächsten und an denen in der Ferne. Schon ein böses Wort wie „du Narr“, nennt Jesus ein Verbrechen, für das wir den Tod verdienen. Schon der offenen oder verborgenen Not des Mitmenschen die Aufmerksamkeit und die Hilfe verweigern, ist - gemessen an unserem Herrn - ein Frevel gegen die Menschlichkeit. Und schließlich: Unsere Habe, alles was wir besitzen und so ungern abgeben und teilen - ist vor dem Hintergrund des Elends der Ärmsten auf diesem Globus - eine dauernde schwere Schuld, an der wir tragen. Da fragen wir jetzt: Wer ist denn dann überhaupt noch recht vor Gott? Wer ist denn nicht vor ihm mit Sünde beladen und der Strafe würdig? - Darum eben geht es an diesem Tag, dass wir erkennen: Keine und keiner von uns steht sündlos da. Niemand wird dem Maßstab gerecht, den Gott an seine Kinder anlegt. Und es gibt auch keinen Unterschied in der Schwere der Schuld: Schon einen Mit- menschen töricht oder dumm geheißen, erwirbt uns Gottes Verdammung - sagt Jesus. Und wer dürfte von sich sagen: „So etwas ist mir noch nie über die Lippen gekommen?“ Ich bin fest überzeugt davon, die meisten Menschen wissen oder ahnen doch wenigstens, dass sie vor Gott schuldig sind. Ich denke sogar, auch die Menschen, die vorgeben, gar nicht an Gott zu glauben, fühlen ihre Schuld. - Wie gehen die Menschen damit um? Hier sind ein paar Beispiele, wie viele Zeitgenossen versuchen, mit ihrer Schuld fertig zu werden. Hören wir gut hin, vielleicht kommen du und ich und die Art, wie wir unsere Sünde bewältigen wollen, auch darin vor: Da ist Herr K., ein erfolgreicher Mann, er hat es zu etwas gebracht. Über Fragen wie die nach der Schuld wird er es ablehnen, überhaupt nachzudenken. Das Leben meistert nur einer, dem solche „frommen Flausen“ fremd sind. Persönlicher Einsatz, Leistung, das sind die Werte, die zählen. Die Möglichkeiten zu etwas zu kommen, mögen in dieser Welt ungleich verteilt sein, räumt Herr K. ein, aber das ist für ihn keinesfalls ein hinreichender Grund für das Christentum, „solchen süßlichen Quatsch wie die Nächstenliebe“ zu verkündigen. K. jedenfalls liebt zunächst einmal sich selbst. Wer es anders hält, ist selber schuld, wenn er seine Lebenschancen verpasst. Seit einiger Zeit quälen Herrn K. allerdings schwere Träume und nächtliche Schweißausbrüche mit Atembeklemmung. Herr K. schreibt das seiner ständigen Überarbeitung zu. Er wird bald einmal Ur- laub machen. Da ist Frau M., das ganze Gegenteil von K. Dass ihre Ehe vor 12 Jahren kaputtgegangen ist, hat sie sich nie verziehen. Gewiss: Der Mann hatte auch sein gerüttelt Maß Schuld daran - aber hätten sie nicht einen Weg finden müssen, zusammen zu bleiben, schon der Kinder wegen? Frau M. weiß, dass sie damals versagt hat. Sie ist schuldig geworden vor Gott und sie trägt daran noch heute und sie wird immer daran tragen müssen, ein Leben lang ... Deshalb, so glaubt sie, geht ihr seitdem ja auch alles schief! Ein Schicksalsschlag nach dem anderen trifft sie, die Beziehungen zu anderen Menschen zerbrechen eine um die andere und aus den Kindern - sie wurden damals ihr zugespro- chen - scheint auch nichts Rechtes zu werden. Nun ja, Frau M. weiß ja, warum ihr das alles ge- schieht: Gott straft sie, er sucht sie heim, sie ist schuldig geworden, damals vor 12 Jahren. Und da ist Herr G. Er ist schon 88. Wenn man mit ihm ins Gespräch kommt, spricht er sehr bald über den Krieg, sein Lieblingsthema! Oder sagen wir besser: Wie ein Zwang ist das bei ihm: Er muss davon reden! Von gesprengten Brücken erzählt er und wie viele „feindliche“ Soldaten mit in die Tiefe stürzten, vom Kampf Mann gegen Mann an der Ostfront, wo es immer geheißen hat: „Er oder ich“ und wo er, „Gott sei Dank“, immer wieder lebend davonkam ... Seltsam oft gebraucht Herr G. die Worte: „Wir hatten ja Befehl“ und „was hätten wir anderes tun können“ und besonders oft sagt er: „Das war ja nicht unsere Schuld, dieser Krieg“. - „Es war ja auch nicht ihre Schuld, Herr G., möchte man ihm dann sagen, doch beim nächsten Mal wird er wieder von seinen Kriegserlebnissen reden und beim übernächsten Mal wieder ... Ich möchte diesen drei Menschen und uns allen heute das weitersagen: Gott hat den Schuldschein, der uns belastet, ans Kreuz seines Sohnes genagelt. Das ist die gute Nachricht des Karfreitags. Er lässt nicht „fünfe gerade sein“, er tut nicht, als hätte ihn unsere Sünde nicht gekränkt, sondern er lässt den liebsten Sohn leiden und sterben, damit wir begreifen, wie groß unsere Schuld ist. Sagen wir ja zu unserer Schuld - dann hat Gott uns durch das Opfer seines Sohnes vergeben - und sagt ja zu uns. Herr K. kann anfangen, sich selbst zu vergessen und auch einmal an andere zu denken. Seine bishe- rige Art, seine Ichsucht, seine Härte gegenüber Schwächeren - es ist ihm vergeben. Er kann neu be- ginnen. Sein Schuldschein hängt am Kreuz. - Frau M. darf aufatmen: So wirklich und so schwer ihr die Schuld ist, an der sie trägt, so wirklich und schwer war Christi Leiden und Sterben für sie - auch ihr ist vergeben. Sie kann neu beginnen. Ihr Schuldschein hängt am Kreuz. - Auch Herr G. kann sa- gen: Ja, ich habe Schuld auf mich geladen, doch Gott lässt es heute vergangen sein. Mir ist verge- ben. Ich kann neu beginnen. Mein Schuldschein hängt am Kreuz. Liebe Gemeinde, Karfreitag bedeutet, wir dürfen alle so sprechen: Ich habe Sünde und Schuld und sie sind blutrot. Aber mir ist von Gott vergeben. Ich kann neu beginnen. Mein Schuldschein hängt am Kreuz. Gelobt sei der Herr Jesus Christus! AMEN