Predigt zum Sonntag „Okuli“ - 11.3.2007 Textlesung: Jer. 20, 7 - 13 HERR, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. Denn sooft ich rede, muss ich schreien; »Frevel und Gewalt!« muss ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie Ich will nicht ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich's nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen. Denn ich höre, wie viele heimlich reden: »Schrecken ist um und um!« »Verklagt ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: »Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.« Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Sie müssen ganz zuschanden werden, weil es ihnen nicht gelingt. Ewig wird ihre Schande sein und nie vergessen werden. Und nun, HERR Zebaoth, der du die Gerechten prüfst, Nieren und Herz durchschaust: Lass mich deine Vergeltung an ihnen sehen; denn ich habe dir meine Sache befohlen. Singet dem HERRN, rühmet den HERRN, der des Armen Leben aus den Händen der Boshaften er- rettet! Liebe Gemeinde! Gewiss sind wir in einer völlig anderen Situation als der Prophet Jeremia vor 2600 Jahren! Eine ganz andere Zeit. Ein anderes Land. Auch eine andere Religion. Vor allem aber eine ganz andere Geschichte Gottes mit den Menschen, dem Volk Israel, seinem Volk. - Oder stimmt das vielleicht gar nicht? Die Geschichte damals ist so, wie wir es aus diesem kleinen Ausschnitt aus dem Prophetenbuch erahnen können: Jeremia ist von Gott (schon als ganz junger Mann, wie wir wissen) ins Amt eines Propheten berufen worden. Dabei hat sich Jeremia überrumpelt gefühlt, „überredet“ und gegen sei- nen Willen ausgenutzt. Und für was? „Denn sooft ich rede, muss ich schreien; »Frevel und Ge- walt!«“ Jeremia musste dem abtrünnigen Volk im Namen des Höchsten ihre Gottlosigkeit vorhal- ten. Und er musste ihnen ansagen, dass sie mit Krieg, Tod und Verderben überzogen und in die Verbannung geführt werden. Noch wollte Gott eine Gnadenfrist geben und durch seinen Propheten zur Umkehr rufen. - Was war der Erfolg? „Ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jeder- mann verlacht mich.“ Wie hat er sich für die Sache Gottes eingesetzt! Nichts hat er zurückgehalten, was er ausrichten sollte. Aber die Menschen haben es ihm schlecht vergolten: Denn ich höre, wie viele heimlich reden: »Schrecken ist um und um!« »Verklagt ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: »Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.« Wie so oft im Leben: Man schlägt den Boten, weil einem die Botschaft nicht gefällt! Wer den Menschen Honig ums Maul schmiert, der kann mit ihrem Wohlwollen rechnen. Wer ihnen die Wahrheit sagt, den verfolgen sie! Aber der Prophet leidet um des Wortes Gottes willen, das ihm aufgetragen ist. Darum weiß er: ... der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewin- nen. Sie müssen ganz zuschanden werden, weil es ihnen nicht gelingt.“ Vielleicht können wir es nicht ganz verstehen, wenn Jeremia schließlich bittet, Gott möge das, was er angekündigt hat, nicht mehr lange zurückhalten: „Und nun, HERR Zebaoth, der du die Gerech- ten prüfst, Nieren und Herz durchschaust: Lass mich deine Vergeltung an ihnen sehen; denn ich habe dir meine Sache befohlen.“ Und das Unheil ist über Gottes Volk hereingebrochen! Um das Jahr 600 vor Christus wurde Israel in mehreren Schüben nach Babel deportiert. Das Land wurde verwüstet, der Tempel in Jerusalem dem Erdboden gleich gemacht. Und vielleicht können wir noch weniger verstehen, wenn der Prophet seine Klage jetzt mit einem Lob Gottes beschließt: „Singet dem HERRN, rühmet den HERRN, der des Armen Leben aus den Händen der Boshaften errettet!“ Denn er meint damit durchaus sich selbst, Jeremia, auf den die Landsleute nicht gehört und den sie geschmäht und verachtet haben und dem doch jetzt von Gott Recht gegeben wird. Liebe Gemeinde, nein, das ist keine Geschichte, die wir uns so mir nichts, dir nichts zu eigen ma- chen können. Sehr fremd ist das alles und gerade auch für uns Christen schwer nachzuvollziehen. Und doch glaube ich, es liegen auch Gedanken in dieser Klage des Jeremia, denen wir für uns und unser Leben als Christen etwas abgewinnen können. Vielleicht das: Wenn Gott einen Auftrag für uns hat - und den hat er für jede und jeden für uns! - dann sollten wir uns nicht verweigern. Ich finde, es ist das mindeste Entgegenkommen unserem Schöpfer und Erhalter, unserem „Vater“ gegenüber, wenn wir uns von ihm in den Dienst rufen und nehmen lassen. Es ist nicht gut, sich dem zu entziehen, was wir doch sehr wohl als unser „Amt“ er- kannt haben! Hören wir doch: „Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie Ich will nicht ein brennendes Feuer in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich's nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.“ Das muss nun nicht unbedingt ein prophetisches Amt sein, zu dem uns Gott haben will, obgleich eigentlich alles, was Menschen im Auftrag Gottes tun, auch immer ein Stück Verkündigung ist - und das auch oft ohne dass wir irgendwelche Worte sprechen! - Was können das für Aufträge sein, die Gott für uns hat? Der eine ist unermüdlich dabei, seine Freunde, Nachbarn oder Vereinskollegen zum Gottesdienst seiner Gemeinde einzuladen. Eine andere öffnet täglich am Nachmittag ihr Haus für zwei Kinder aus ihrer Straße, die zu Hause alleine wären, bei ihr aber ihre Hausaufgaben machen und manches Erlebnis erzählen und ihre Sorgen abladen können. Ein Dritter besucht seit Jahren die alten Men- schen seiner Gemeinde, aus ganz eigener Initiative, nicht als Mitglied eines Besuchsdienstkreises. An festen Tagen stellt er sich ein und hat ein, zwei Stündchen Zeit für Gespräch und vor allem für das Zuhören. Auch wenn einer „seiner Alten“ ins Krankenhaus muss, begleitet er sie mit Besuchen durch diese Zeit. Eine Vierte hat im Kindergarten ihres Ortes eine wöchentliche Vorlesestunde an- gefangen. Mit Märchen und Geschichten - auch aus der Bibel - erfreut sie die Kinder und erlebt immer wieder, wie wichtig es ist, auf diese Weise Lebens- und Glaubenserfahrungen weiterzuge- ben. Ein Fünfter hilft als ehemaliger Verwaltungsbeamter seinen Mitmenschen bei allen anstehen- den „Schriftlichkeiten“ und macht auch den einen oder anderen Behördengang für sie oder mit ih- nen. Und so gibt es noch viele andere Aufgaben, die wir von Gott gestellt bekommen - und es sind durchaus nicht nur solche, die andere Menschen ganz deutlich oder ausgesprochen auf Gott und den Glauben hinweisen. Viele Aufträge vermitteln ganz einfach „nur“ die Liebe Gottes zu allen Menschen, die wir an andere weiterreichen sollen. Das zweite, was wir Jeremias Klage ablesen können, ist vielleicht dies: Es wird manchen Menschen nicht gefallen, wenn wir unser „Amt“ erfüllen. Da müssen wir überhaupt kein großes Aufhebens darum machen, das wird genau beobachtet! Und allein die Tatsache, dass ein anderer etwas Gutes, Hilfreiches tut, weckt ja das schlechte Gewissen bei denen, die sich der Gemeinschaft und den Mitmenschen beharrlich verschließen. Aber das soll uns nicht abhalten und nicht zum Aufgeben bringen! Wir tun, was wir tun, weil Gott uns dazu berufen hat! Er wird uns auch die Kraft geben, dabei zu bleiben und wir werden sogar die Freude empfinden, die darin liegt, mit Gott und sich selbst im Reinen zu sein. Wenn dann noch hin und wieder eine Dankeschön unserer Nächsten hin- zukommt, dann wird uns keiner mehr mit seinen abfälligen Bemerkungen erreichen. Und das führt uns zum Dritten, das wir der Klage des Propheten entnehmen wollen. Er spricht es so an:“Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen.“ Wer sich auf die Aufgaben einlässt, die Gott ihm vor die Füße oder auf das Herz legt, der schließt sich an Quellen der Kraft an, von denen die anderen gar nichts ahnen! Alle eige- nen Bedenken, alles Lästern der Mitmenschen, alle Ängste vor Versagen und Kränkung vergehen im Laufe der Zeit, wenn wir immer wieder spüren, Gott lässt uns bei seinen Aufträgen nicht allein. Wenn Jeremia am Ende seines Klagens seine Zuflucht in Worten der Rache und der Vergeltung sucht, dann müssen wir ihn aus seiner Zeit heraus verstehen. Er kannte noch nicht die Gnade Gottes, die uns in Jesus Christus aufgegangen ist. Wir aber wollen tun, was uns von Gott aufgege- ben ist, was wir als gut und dem Willen Gottes entsprechend erkannt haben. Vor dem Kreuz Jesu Christi muss jeder Gedanke an Vergeltung und Rache verstummen. Vor dem Kreuz ist keiner mehr und keiner weniger der Liebe Gottes wert, keiner hat mehr oder weniger Strafe verdient. Alle ste- hen wir dort beschämt und überwältigt von Gottes Güte. Und wenn wir tun, was unser Auftrag ist, dann werden wir den „Lohn“ in seiner Erfüllung empfangen und wollen nur das tun, mit dem Jere- mia seine Rede beschließt: „Singet dem HERRN, rühmet den HERRN, der des Armen Leben aus den Händen der Boshaften errettet!“ AMEN