Predigt zum Sonntag „Estomihi“ - 18.2.2007 Textlesung: Lk. 18, 31 - 43 Es begab sich aber, als er in die Nähe von Jericho kam, dass ein Blinder am Wege saß und bettelte. Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre. Da berichteten sie ihm, Je- sus von Nazareth gehe vorbei. Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er solle schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Jesus aber blieb stehen und ließ ihn zu sich führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn: Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann. Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott. Liebe Gemeinde! Eine der ganz großen Fragen des christlichen Glaubens ist für mich: Wie man diesen Glauben ei- gentlich gewinnt? Wird er in der Schule im Religionsunterricht gelehrt? Vermitteln die Pfarrerin- nen und Pfarrer ihn während eines ein- oder zweijährigen Konfirmandenunterrichts? Können wir vielleicht überhaupt nichts für den Glauben der anderen und der nachfolgenden Generation tun, weil er ja doch Gottes Geschenk ist, also uns Menschen nicht verfügbar? Muss vielleicht das eben Genannte alles zusammenkommen? Oder haben wir das Entscheidende, dass einer zum Glauben findet, jetzt noch gar nicht erwähnt? Die Geschichte vom „Blinden am Weg“ kann uns bei diesen Fragen weiterhelfen. Sie tut das ganz einfach in der Art, wie sie erzählt, wie das war mit dem Blinden damals in der Nähe von Jericho. Dabei hebt sie nicht den Finger und zieht keine Schlüsse: So oder so ist das mit dem Glauben. Sie berichtet nur - und überlässt es uns, eine Lehre zu ziehen. Aber schauen wir noch einmal, wie die Sache mit dem Blinden hier abläuft und nehmen wir sie als eine persönliche Glaubensgeschichte dieses Menschen. Vielleicht kann sie uns ja doch auch Auskunft geben, wie das überhaupt ist mit dem Glauben? Der blinde Mann spürt, dass etwas vorgeht. Es ist anders als sonst, wenn er da an seinem Platz sitzt und die Hand um ein Almosen ausstreckt. Er erfährt, dass Jesus vorbei geht. Jesus - von dem hat er schon gehört. Er soll Kranke gesund gemacht und sogar Tote auferweckt haben. Blinden sind bei ihm die Augen aufgegangen und Stumme lernten reden. Also schreit er: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Und da müssen wir schon beachten, dass er Jesus den Davidssohn nennt. Das war nicht selbstverständlich. Ein Pharisäer hätte ihn wohl „Sohn des Zimmermanns“ oder „Je- sus aus Nazareth“ gerufen. Da schwingt in den Worten des Blinden schon ein wenig das Wissen mit, dieser ist mehr als die Schriftgelehrten, mehr als irgendein anderer Rabbi - und wir ahnen die Frage: Ist er vielleicht gar der verheißene Messias? Aber warum wollen sie ihn zum Schweigen bringen, den blinden Mann, der doch spürt, dass hier der in der Nähe ist, der ihm helfen kann? Vielleicht haben sie sich darüber geärgert, dass er diesen Jesus so anspricht: „Sohn Davids“? Vielleicht aber auch wollen sie diesen elenden, sicher mit Staub vom Weg bedeckten Bettler nicht zu „ihrem“ Jesus vorlassen. Weil sie ihn für sich haben wollen? Der aber lässt sich nicht abwimmeln: Nur um so lauter schreit er nach dem, von dem er weiß, er kann ihm helfen und sein erbärmliches Leben ändern: „Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Und Jesus hört, bleibt stehen, lässt den Blinden zu sich führen und fragt ihn, was er von ihm will. Als ob das nicht klar wäre - bei einem Blinden! „Herr, dass ich sehen kann!“ Und endlich erhält er, was er sich so sehnlich wünscht: „Sei sehend!“ - Seine Augen öffnen sich. Der Blinde ist nicht mehr blind. Fast hätten wir es gar nicht mehr gehört, geschweige denn beachtet, was Jesus hinzufügt: „Dein Glaube hat dir geholfen!“ Und wir müssen auch fragen, ob denn die Menschen um den Bettler herum wirklich auch dieses Wort gehört haben, wenn sie jetzt Gott loben und preisen!? Eine „Glaubensgeschichte“ soll das gewesen sein - auch für uns? Was will sie uns lehren? Gehen wir der Reihe und dieser Geschichte nach: Wenn ein Mensch heute zum Glauben findet, dann sicher nicht nur, weil er etwas über diesen Jesus in der Schule oder im Konfirmandenunter- richt „erfahren“ hat. Selbst wenn man von Jesu Wundern und Heilungen hört, bleibt das ja erst einmal weit entfernt von uns. Bis ... ja, bis er bei uns vorbei geht, bis er uns ganz nah kommt, so dass unser Ruf an sein Ohr dringen kann. Die Orte, an denen er ganz nah ist, sind vielleicht die Le- bensstationen, an denen wir unsere eigene Ohnmacht besonders deutlich empfinden. Eine Krank- heit hat uns aufs Lager geworfen. Ein lieber Mensch ist von uns gegangen und die Trauer hat uns ganz fest im Griff. Oder ein Schicksalschlag trifft uns hart. Wir verlieren unsere Arbeit oder es kriselt in unserer Ehe, so dass sie fast oder ganz zerbricht. Dann sind auch wir blind für die Zukunft - wie der Bettler damals. Dann fragen wir: Wie soll es weitergehen? Wer kann uns helfen. Und dann kommt vielleicht der Augenblick, in dem Jesus ganz nah bei uns vorbei geht, so nah, dass wir seine Nähe fühlen und wissen, dass er uns hört in unserem Gebet: „Jesus, hilf mir!“ Und vielleicht können wir dann ja auch „Sohn Gottes“ hinzufügen, oder „Herr“ und ihm damit sagen, dass wir ihm mehr zutrauen als den Menschen, die uns umgeben: „Herr Jesus, hilf mir!“ Und ganz gewiss erleben wir das dann auch - wie der blinde Bettler vor Jericho - dass sie uns sagen: Sei doch still! Das hat doch alles keinen Wert. Du bist allein mit deinem Elend. Niemand kann dir helfen. Oft sagen sie es auch gar nicht, aber die Zeit heute ist so, dass die Beziehung zu Je- sus Christus kaum noch im Gespräch ist und der Glaube an ihn wenig gilt - und auch die, die an ihn glauben halten damit oft hinter dem Berg. Da können wir leicht den Mut verlieren und aufgeben, nach Jesus zu rufen. Der Bettler damals hat nur um so lauter geschrien! Wenn wir’s ihm gleich tun, dann kann das auch für uns geschehen, dass Jesus hört. Und ich bin ganz sicher, er lässt uns nicht zu sich führen - er kommt selbst zu uns und fragt: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“ Denken wir dann nur nicht, er wüsste nicht, was uns fehlt und was wir brauchen! Es geht darum, dass wir’s ihm sagen! Dass wir’s ihm sagen und zutrauen, dass er helfen kann. Darum sprechen wir es vor ihm aus: „Herr, meine Krankheit quält mich!“ - „Herr, ich komme nicht darüber hinweg, dass mein Partner gestor- ben ist.“ - „Herr, dass ich keine Arbeit habe hat mein Leben in seinen Grundfesten erschüttert!“ - „Herr, meine Ehe ist gefährdet, ich würde so gern neu mit meinem Partner anfangen.“ Und dann wird er auch zu uns sprechen und uns das tun, was uns hilft und uns wieder festere Schritte in die Zukunft gehen lässt. Aber achten wir darauf, was er auch bei uns hinzufügen wird: „Dein Glaube hat dir geholfen!“ Es ist nämlich nicht zuerst seine Macht, die unsere Angst, unsere Krankheit, unsere Sorge und Trauer besiegt. Es ist unser Glaube! Unser Vertrauen: „Herr, hilf mir! Ich weiß, dass du es kannst! Ich will nicht aufgeben, zu dir zu rufen. Du wirst helfen!“ Aber vergessen wir nicht, wenn er uns gesund, froh und heil gemacht hat, das zu tun, was wir hier am Ende lesen: „Und sogleich ... folgte er ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.“ Und da meine ich gar nicht nur die unter uns, die vielleicht gerade oder in den kom- menden Tagen erfahren haben oder erfahren werden, dass ER auf ihren Ruf hört und ihnen Hilfe schickt. Sind nicht auch wir anderen schon wie der Blinde vor Jericho ganz in der Nähe Jesu gewe- sen? Hat er uns nicht auch schon getan, worum wir ihn angefleht haben? Ja, nicht nur einmal? Ist das nicht überhaupt eine gute Beschreibung dessen, wenn einer glaubt: Dass er im Gebet nach Je- sus, seinem Herrn, ruft und der ihn hört und ihm hilft? Aber - und da geben sie mir sicher Recht! - das Lob Gottes ist rar unter uns, wenigstens in der Öf- fentlichkeit. Wann können wir das schon einmal von einem anderen Menschen hören: „Mir hat Je- sus damals oder neulich erst so geholfen!“ (Hängt unser Schweigen darüber am Ende damit zusammen, dass dieser Herr zuerst „unser“ Jesus sein soll?) - Das andere jedenfalls kann man heute häufiger und lauter vernehmen - auch ohne Worte: „Sei still, hör’ auf zu schreien, da kann dir sowi- eso keiner helfen!“ Andererseits: Wie viel Ermutigung läge doch für unsere Mitmenschen darin, besonders für jene, die leiden oder sonst ein schweres Schicksal haben, wenn wir sie bestärkten: „Geh hin zu Jesus! Bete zu ihm, er wird dich nicht abweisen, sondern dir helfen!“ Und wie viel Hilfe für andere dazu, zum persönlichen Glauben zu finden, ginge wohl davon aus, wenn wir - mehr als bisher! - über das rede- ten, was wir mit Jesus Christus erlebt haben, wo er uns gesund gemacht und unser Geschick ge- wendet hat. Wie viel guter Anstoß würde auch darin liegen, wenn wir unseren Herrn über aller Güte, die wir von ihm geschenkt bekommen haben, mehr und lauter loben und preisen würden - auch vor den Leuten!?