Predigt zum Sonntag „Septuagesimä“ - 4.2.2007 Textlesung: Mt. 9, 9 - 13 Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm. Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.“ Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten. Liebe Gemeinde! Ihr Nachbar hat Geburtstag. Sie haben - wie es sich gehört - ein Geschenk besorgt und stellen sich pünktlich zum Kaffee ein. Sie kommen zum Haus, in dem gefeiert wird, klingeln, treten ein und schauen sich dann im Geburtstagszimmer um ... Da vorn, oben am Tisch sitzt der Nachbar und lä- chelt ihnen entgegen - gleich werden sie ihm gratulieren. Aber wer sitzt da noch am Tisch? Was sind das - um Gottes Willen - für Gäste? Da ist der jugendliche Rowdy, der sich so gern als Bürger- schreck aufspielt. Da hockt einer, den sie aus der Zeitung kennen: Einbruchdiebstahl und schwere Körperverletzung. Da sehen sie den Zeitschriftenwerber, der sie neulich an der Haustür so grob an- gegangen hat. Da sind einige Mitglieder aus dem Roma-Clan, der zur Zeit vor dem Ort campiert und noch ein paar Gestalten, mit denen ihre Erinnerung nichts Gutes verbindet. Und jetzt erhebt sich der Gastgeber, kommt auf sie zu - fast hätten sie vergessen, ihm Glück zu wünschen und ihm das Geschenk zu überreichen - führt sie zu dem freien Platz neben der ortsbekannten Schwätzerin, die sich an jeden hängt und die keiner leiden kann. Vielleicht sagt er dabei: Schön, dass du gekom- men bist! Jetzt sind meine lieben Gäste ja alle zusammen! - Was würden sie wohl tun? Wie würden sie reagieren? - - - So etwa werden sich die Pharisäer auch gefühlt haben, als sie Jesus mit den Zöllnern tafeln sahen! Er, der sich doch Rabbi nennen ließ, der von sich sagte, er hätte den Auftrag zum Heilen und Predi- gen von Gott, der ließ es sich am selben Tisch mit Sündern wohl sein? Ungeheuerlich! Eine Frech- heit, ja, eine Zumutung für jeden rechtschaffenen Juden! Und er versuchte das auch noch mit einem großartigen Wort zu belegen: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken!“ Was sollte das heißen? Gewiss, sie selbst waren stark, soviel war richtig. Aber die „Kranken“? Waren die Zöllner denn Kranke? War diesem Abschaum denn überhaupt noch zu helfen? Und war Jesus, dieser hergelaufene Wanderprediger denn ein „Arzt“? Mit welchem Recht ließ er sie denn links lie- gen, um sich diesen sündhaften, gottlosen Kreaturen zuzuwenden? - Damals wie heute: dasselbe! Unmöglich dieser Mann aus Nazareth! Mit den Außenseitern und Dir- nen, den Belasteten und Verachteten hat er’s am liebsten zu tun. An der Tafel der Reichen und An- gesehenen, der Mächtigen und der Frommen ist er nicht zu sehen. Damals wie heute sagt er: Die Kranken brauchen mich, nicht die Gesunden! Damals wie heute gefällt uns diese Art nicht: „War- um gibt dieser sich mit solchen Leuten ab? Warum kommt er nicht lieber zu uns?“ Und immer wieder gehen Menschen diesen Jesus an, wenn er ihre feine Gesellschaft um solcher Nichtsnutze willen ausschlägt: Die Pharisäer damals haben ihn lautstark angegriffen. Sie haben ihn beschimpft und ihn ihrerseits mit Verachtung gestraft. Schließlich waren sie an seiner Beseitigung beteiligt: Sie haben die Menschen gegen ihn aufgehetzt, dass sie mit ihrem Geschrei seine Kreuzi- gung verlangten. Und wir, heute? Das gilt weithin als „Schönheitsfehler“ der christlichen Religion - und auch bei den Christen selbst!, dass sie keine Verdienste kennt, kein besser und kein schlechter vor Gott. Ja, meist wollen wir es gar nicht wahrhaben, dass der bewährte Kirchenvorsteher vor Gott nicht höher steht als der Namenschrist, von dem wir hier im Gotteshaus das ganze Jahr nichts sehen. Und es är- gert uns, wenn wir bei einer Beerdigung erfahren, dass eine verdiente Mitarbeiterin der Gemeinde zuletzt vor Gott genau so mit leeren Händen steht wie die absolut unkirchliche Frau, mit der es uns immer so schwer fiel, gute Nachbarschaft zu halten. Und ich glaube, auch jetzt - in diesem Augen- blick - denken viele: Die Predigt nimmt gewiss noch eine Wendung, so kann das doch wohl nicht stehen bleiben! Aber es bleibt stehen: „Wir sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhms vor Gott“ (Röm.3,23), sagt Paulus. Er hat damit zusammengefasst, was uns Jesu Leben, Handeln und Beispiel lehren wollten. Damals aber wie heute sind es wenige, die diesen Gedanken wirklich fas- sen und bejahen. Bejahen aus ehrlichem, echten Herzen, meine ich. Denn oft genug schlägt das Wissen um unsere Sünde um in gespielte Demut: Da betont einer, wie schlecht und sündig er doch ist und rechnet sich hinter der Stirn schon aus, wie hoch Gott wohl sein demütiges Getue schätzen wird. Da spricht es eine aus: Wir sind alle Sünder ... und sie meint doch eigentlich nur die anderen, keinesfalls aber sich selbst. Nein, damals wie heute mögen wir ihn nicht, diesen schwierigen Zug an Jesus: Dass er die Armen aufsucht, die Menschen am Rande, die Zukurzgekommenen, die Krüppel und die Gottlosen ... Eigentlich wünschten wir uns, dass er zu uns kommen soll, zu den Starken, den Gesunden, den Gläubigen, denen, die seine Gesellschaft verdient haben. Wir lassen uns nicht gleich machen und gleich achten mit dem Abschaum, wir nicht! Liebe Gemeinde, jetzt kommt vielleicht doch eine Wendung in dieser Predigt, eine aber, die sie machen, liebe Hörer! Ich glaube, das geht nicht anders, als dass wir das heute endlich recht verste- hen, was das heißt: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht“ und: wir sind allzumal Sünder ... Wir sind ja gar nicht stark! Wir sind nicht gesund! Wenn wir uns überhaupt auf diesen Jesus Chris- tus einlassen wollen - und das wollen wir ja! - dann müssen wir uns auch das Urteil sprechen las- sen: „Sünder“! Oder anders gesagt: Wenn wir die Sprechstunde dieses „Arztes“ aufsuchen, dann müssen wir uns auch die Diagnose anhören und die heißt: „Du bist krank!“ - Nun meint aber „Sün- der“ nicht: unrettbar. Und „krank“ bedeutet nicht: ohne Heilungschance. Das ist es! Der Sünder muss ja sagen zu seiner Schuld! Der Kranke muss seine Krankheit sehen und annehmen! Dann ist Besserung, dann ist Heilung in Sicht! Und wir können das doch auch: Dieser Christus ist für das Urteil, das er uns spricht, selbst ans Kreuz gegangen. Dieser Arzt ist selbst die Medizin geworden, durch die wir heil werden. Darum können wir jetzt ja sagen, wenn er uns sündig nennt und krank. Aber tun wir’s ehrlich! Es geht nicht um ein Bekenntnis der Lippen. Davon hat niemand etwas, am wenigsten wir selbst. So sollen wir sprechen: Ja, ich bin Sünder - für mich ist Jesus gestorben. Ja, ich bedarf des Arztes, denn ohne ihn kann ich nicht gesund werden. Es mag ja sein, das ist sehr schwer, zu dieser Einsicht zu kom- men. Damals wie heute will uns manches darüber hinweg täuschen, wie es wirklich um uns steht und wer wir in Wahrheit vor Gott sind. Der Pharisäer zur Zeit Jesu mag bei seiner strengen Beachtung des Gesetzes gedacht haben: Mein Leben ist Gott gewiss wohlgefällig und wertvoll. Jünger an der Seite Jesu haben es nicht nur ge- dacht, sondern ausgesprochen: „Uns gebührt doch gewiss einmal der Platz zu deiner Rechten und Linken im Himmelreich! (Mk.10,37)“ Christen aller Zeiten waren nicht gefeit gegen Einbildung und Dünkel: „Wenn ich mich mit diesem schlimmen Menschen vergleiche, schneide ich aber sehr gut ab!“ Heutzutage kommt nun noch die Versuchung eines grenzenlos scheinenden Wohlstands hinzu: Wenn ich nur etwas leiste, dann verdiene ich auch was und dann kann ich mir alles leisten: Wie leicht überträgt sich das auf die Dinge des Glaubens: Wenn ich mich nur anstrenge, dann muss Gott mich auch achten! Wenn ich nur durch Frömmigkeit glänze, erwerbe ich mir auch Gottes Wohlgefallen! Wenn ich mich nur bemühe, wird mir gewiss einmal der Himmel werden! - Das soll alles ganz falsch sein? Wirklich: Es ist schwer, da hindurch auf der Spur Jesu zu bleiben! Aber es geht: „Die Starken be- dürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.“ Wir sind krank. Wir sind allzumal Sünder. Christus aber ist gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten! Beachten wir doch: Er ist überhaupt gekommen, um uns zu suchen und heimzuholen! Er ist in der Welt gewesen, nur um für uns zu leben und zu sterben. Das war sein Auftrag von Gott, uns die Ewigkeit zu gewinnen. Wie wichtig müssen wir Gott sein - in unserer Sünde und Krankheit! Wie lieb muss er uns haben! Und dann noch etwas: Sind nicht die Menschen, die wir landläufig als stark und gesund ansehen, die Reichen und Mächtigen, die Großen und Angesehenen oft genug eigentlich krank bis ins Mark? Sieht man es ihnen nicht an? Sie geben sich zwar laut und lässig - aber wenn die Scheinwerfer aus- gehen starrt sie die Öde ihres Lebens an. Sie haben zwar alles, was man mit Geld kaufen kann - aber das Glück einer wahren Liebe lernen sie oft nicht kennen. Sie haben zwar heute noch das Sa- gen - aber wenn sie in die Grube gefahren sind, wird man sie schnell vergessen. Wer wird diese Menschen beneiden? Und sie werden es noch weniger vermögen, dass sie von sich sagen: Ja, mein Herr Christus, ich nehme dein Urteil über mich an! Ja, mein Arzt, mache du mich gesund! Das aber, liebe Gemeinde, ist ein für allemal die Botschaft dieses Herrn: Zu den Kranken bin ich gesandt. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen. Vor dem Arzt, der sich selbst für die Kranken op- fert, kann es keine Unterschiede nach Rang und Ansehen mehr geben! Vor dem Kreuz, an das sich ein Unschuldiger für uns schlagen lässt, hört alles Feilschen um „frömmer“ oder „besser“ auf! Wir sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhms vor Gott. Das ist Gottes Richtspruch über uns. Dafür ist Christus gestorben. Jetzt können wir ja sagen zu unserer Sünde und Krankheit. - - - Ihr Nachbar hat Geburtstag. Sie haben - wie es sich gehört - ein Geschenk besorgt und stellen sich pünktlich zum Kaffee ein ... Jetzt führt er sie zu dem freien Platz neben der ortsbekannten Schwät- zerin und sagt dabei: Jetzt sind alle meine lieben Gäste zusammen. - Jetzt können sie so antworten: Ich bin in der richtigen Gesellschaft! Dann nehmen sie das Gespräch mit ihren Tischnachbarn auf und es wird eine überaus fröhliche Feier! AMEN