Predigt zum Reformationstag und -fest - 31.10./5.11.2006 Textlesung: Gal. 5, 1 - 6 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und laßt euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden laßt, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden läßt, daß er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muß. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Liebe Gemeinde! Die Sache mit der Beschneidung ist für uns heute etwas schwierig zu verstehen. Als Zeichen des Bundes mit Gott stand sie seit uralter Zeit für die Erfüllung des göttlichen Gesetzes. Paulus hätte wohl auch ganz andere äußere Zeichen wählen können, um daran klar zu machen: Wir können als Christen nicht auf der einen Seite in der Freiheit Christi stehen, auf der anderen aber nur bemüht sein, dem Gesetz Moses zu entsprechen. Paulus hätte also vielleicht auch schreiben können: Wenn ihr das Passafest nach dem Brauch der Väter feiert im Gedenken an den Auszug aus Ägypten, dann könnt ihr nicht das Abendmahl Christi in der Gemeinde unseres Herrn mithalten. Denn das Passa gehört zum Alten Bund Gottes mit den Menschen, wir aber sind Menschen des Neuen Bundes Got- tes in Christus. Oder: Entweder ihr haltet die Gesetze zum Sabbat ein, geht nur die vorgeschriebene Höchstzahl der Schritte, tut keinerlei Arbeit und heiligt den Tag wie es Mose in der Thora beschrieben hat, oder ihr beruft euch auf die Freiheit Christi, die euch von allen Gesetzlichkeit frei gemacht hat. Beides zusammen geht nicht. Entweder - oder. Wenn ihr dem Neuen anhängt, dann muss das Alte aber auch wirklich vergangen sein. Bis jetzt gehen uns diese Gedanken noch nicht sehr nah. Und die Worte des Paulus waren ja auch zuerst an Christen gerichtet, die Juden gewesen waren und denen es nicht ganz gelang, einen Schnitt zu machen zwischen früher und jetzt, dem Gesetz Moses und der Freiheit Christi. Aber man merkt es bald, wenn man sich mit diesen Gedanken beschäftigt: Auch bei uns, sozusagen innerhalb unseres Christenglaubens, gibt es dieselben Schwierigkeiten der klaren Entscheidung zwischen Al- tem und Neuem, Gesetz und Christus, eigener Gerechtigkeit und Gnade. Und heute wie zur Zeit des Paulus gilt: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ Und wie für die Christen, die vormals Juden gewesen waren, so heißt es auch für uns, die schon als getaufte Christen aufgewachsen sind: „So steht nun fest und laßt euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ Schließlich geht es auch für uns Christen in dieser Zeit immer wieder um die Frage, ob wir uns allein auf Jesus Chris- tus verlassen wollen im Leben und im Sterben, oder als Knechte und Mägde des Gesetzes ver- suchen wollen, unsere eigene Gerechtigkeit vor Gott zu erlangen. Dann aber gilt auch für uns: „Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade ge- fallen.“ Inzwischen haben wir es auch gespürt, wie sehr das mit dem Ringen unseres Reformators Martin Luther zu tun hat, an das wir in jedem Jahr am Reformationsfest (-tag) besonders denken. Und mit diesen Fragen um Gesetz und Gnade sind wir auch mitten drin im wichtigsten Thema gerade un- seres evangelischen Glaubens. Aber wir wollen heute einmal den Kampf, der sich schon im Herzen Luthers abgespielt hat, in unsere Zeit übertragen. Vielleicht wird es so deutlicher, als wenn wir, wie wir es oft an diesem Gedenktag tun, uns in das Wittenberg der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in das Turmzimmer des schwarzen Klosters oder die Stube Junker Jörgs auf der Wartburg verset- zen. Ähnliche Kämpfe wie die des Mönches Luther mit der unerbittlichen Gerechtigkeit Gottes ha- ben auch wir heute immer wieder zu durchfechten. Doch auch den Durchbruch zur Freiheit des Evangeliums und der Gnade können wir erleben. Ich will dazu von drei Menschen unserer Tage erzählen und sie zu Wort kommen lassen. Mag sein, dass wir in dem, was diese Menschen erfahren haben, unseren eigenen Kampf gegen die Macht des Gesetzes wiedererkennen, das uns immer aufs Neue Gottes geschenkte Gnade verdunkelt. Der erste, den ich hier sprechen lassen möchte, ist ein Mann von 41 Jahren. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Er hat einen sicheren Arbeitsplatz; die Auftragslage der Firma ist bestens. Wenn wir ihn fragten, dann würde er seine Familie „kirchenverbunden“ und „gut evangelisch“ nennen. Bis vor kurzem war er darum auch mit sich, der Welt und mit Gott im Reinen. Jetzt ist etwas geschehen, das hat alles verändert ... Aber hören wir, was er selbst sagt: „Ich habe mich wirklich immer bemüht, ein Leben zu führen, das Gott gefällt. Meine Kinder sind religiös erzogen. Nicht nur meine Frau hat ihnen früh von Jesus erzählt und mit ihnen gebetet. Jetzt ist meine jüngste Tochter schwer erkrankt. Leukämie - ohne Vorzeichen, ohne Vorwarnung ... Innerhalb weniger Wochen ist die Zehnjährige, die immer so lebensfroh und heiter war, ein stilles Kind geworden, mit deutlichen Zeichen der Krankheit am Körper und im Gesicht: Geschwächt, blass und durchscheinend. Ich zermartere mir nun den Kopf, was ich, was wir getan haben. Warum schickt Gott uns das? Ich kann nicht einmal mehr beten, weil ich das Gefühl nicht mehr los werde, es hört mich ja doch keiner. Ich bin ganz unten. Ich suche einen Sinn und finde ihn nicht. Ich frage Gott, aber es kommt nichts zurück. Jeder Tag ist so leer wie meine Hoffnung. Was soll nur werden?“ Die zweite, die uns von sich erzählt, ist eine junge Frau. Gerade hat sie mit besten Examensnoten ihr Studium beendet und ist auch gleich als Lehrerin verbeamtet worden. Sie ist glücklich und zu- frieden. Auch sie überzeugte Christin ... Aber lassen wir sie selbst sprechen: „Ja, es ist wahr: Wer mit Jesus Christus sein Leben machen will, der ist auf dem richtigen Weg! Immer wieder habe ich erfahren, wie viel Kraft es schenkt, wenn man ihn um Hilfe bittet. Alles ist ganz wunderbar ge- laufen! Das beste Examen in meinem Jahrgang! Und dann gleich eine Anstellung! Ich bin sehr glücklich. Es lohnt sich halt doch, Vertrauen zu Jesus zu haben!“ Und hier ein dritter Bericht. Ein Mann von 75 Jahren. Gerade durfte er mit seiner Frau die Goldene Hochzeit feiern. Er aber ist kein Christ. Als die Nachbarn ihn neulich vor dem Hochzeitsjubiläum fragten, ob er nicht die Pfarrerin des Ortes auch um eine Andacht zur Feier bitten wolle, da hat er nur gelacht und erwidert: „Ihr wisst, dass ich nichts von diesem religiösen Kram halte. Ich gehe schon seit Jahrzehnten nicht mehr in die Kirche - da werde ich bei meiner Goldenen Hochzeit nicht wieder damit anfangen! Außerdem: Uns geht es gut, sehr gut sogar. Daran könnt ihr doch sehen, dass man auch ohne Gott und Kirche sehr gut leben kann!“ Liebe Gemeinde, sicher fragen sie sich jetzt, was diesen drei Berichten und Äußerungen gemeinsam ist und was sie mit den Worten des Paulus zu tun haben: „Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen.“ Das ist schnell beantwortet: Alle drei gehen im Grunde davon aus, dass unser Leben, sein Verlauf, ob es leicht oder schwer, vol- ler Lasten oder glücklich ist, damit zu tun hat, ob wir glauben und ob wir uns diesem Glauben angemessen verhalten. Das aber ist gesetzlich gedacht! Damit „fallen wir aus der Gnade“, um es mit Paulus zu sagen. Aber so klar diese Antwort ist, so schwer ist sie doch auch zu begreifen. Wenn unser Kopf auch weiß, dass es allein auf die Gnade Gottes ankommt, so wird unser gelebtes Leben doch immer wieder dem Gesetz recht geben. Darum wollen wir uns die Botschaft des Evangeliums, dessen Wiederentdeckung wir heute, am Reformationsfest, feiern, noch einmal ganz deutlich und klar - mit den eben gehörten Lebensberichten im Hintergrund - anhören: Zur Freiheit hat uns Christus befreit! - Sein Tod am Kreuz ist unser Lösegeld. Damit ist all unsere Sünde und Schuld bezahlt und alle Strafe abgetan. Unser Gott nimmt das Opfer Jesu als unser Lösegeld an. Jetzt gibt es keinen Zusammenhang mehr zwischen dem, was wir tun und dem, wie es uns im Leben in dieser Welt ergeht! So steht nun fest und laßt euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Wenn unser Kind krank wird, dann ist das nicht die Strafe für irgend ein Fehlverhalten. Wenn wir eine Prüfung mit Bravour beenden, dann liegt darin nicht der Lohn für un- seren Glauben und unsere zahlreichen Gebete. Selbst wenn wir ohne Gott leben und ihn gar leugnen, dann ist ein gutes, gesundes Leben bis ins Alter kein Beweis, dass kein Gott über uns wohnt. In diesem Denken dienen wir dem Gesetz. Denn Gott verrechnet nicht unsere Taten mit dem Lohn, den er uns gibt. Und er ahndet auch nicht unsere Fehler und unseren Mangel damit, dass er uns Böses schickt. Das ist Gesetz! Und es gilt: Ihr habt Christus verloren, wenn ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. Der Glaube in die Gnade und das feste Vertrauen auf die Güte Gottes lässt uns das „Joch der Knechtschaft“ abschütteln. Gott liebt uns, darum tut er uns Gutes. Gott liebt uns, darum kommen wir mit seiner Hilfe auch durch schwere Zeit. Gott liebt uns, darum lädt er uns bis ins Alter immer wieder ein, all die Gaben un- seres Lebens nicht als unser Verdienst, sondern als seine Geschenke anzusehen. Gott liebt uns, da- rum ist der Hintergrund unseres Lebens in Ewigkeit hell! Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muß. Denn in Christus Jesus gilt weder das Tun des Gesetzes, noch seine Unterlassung etwas, sondern allein der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Liebe Gemeinde, lassen wir uns heute neu zu einem Leben einladen, das im Glauben allein auf Got- tes Gnade vertraut und aus Dankbarkeit für seine Güte an den Mitmenschen in Liebe tätig ist. AMEN