Predigt zum 17. Sonntag nach Trinitatis - 8.10.2006 Textlesung: Jes. 49, 1 - 6 Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merket auf! Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war. Er hat mei- nen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt. Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will. Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz, wiewohl mein Recht bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott ist. Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu sei- nem Knecht bereitet hat, daß ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde, - darum bin ich vor dem HERRN wertgeachtet, und mein Gott ist meine Stärke -, er spricht: Es ist zu wenig, daß du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Is- raels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, daß du seist mein Heil bis an die Enden der Erde. Liebe Gemeinde! Vielleicht hätte ich die Gedanken, die sich bei mir an diese Prophetenworte angeschlossen haben, lieber bremsen sollen!? Es ist ja sicher einfacher und man bleibt unbehelligt, wenn man sich in diesen Zeiten nicht für das gegenseitige Verständnis der Religionen und auch nicht für die Wahrheit des eigenen Glaubens einsetzt. Aber ich will offen und deutlich sprechen - weil ich doch gar nicht anders kann: Der Prophet Jesaja nimmt kein Blatt vor den Mund! Ganz klar redet er davon, was einem mit dem Auftrag Gottes, nach seinem Willen zu leben und sein Wort weiterzusagen, passieren kann: „Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz ...“ Dieses Ge- fühl kennen wir doch auch! An so manchem Ort unserer Umgebung, bei einigen Menschen in un- serer Nähe haben wir das doch auch schon erfahren: Wir haben uns bemüht, ohne Frömmelei von unserem Glauben zu reden, ein christliches Leben zu führen, ohne irgendwelchen Hochmut oder die Behauptung, dass wir die Weisheit gepachtet hätten oder besser wären als andere ... Es hatte alles keinen Erfolg. Die Menschen um uns herum wollten nichts davon wissen, warum wir mit Gott le- ben und an ihn glauben. Und wenn sie doch gefragt oder uns angesprochen haben, dann abfällig und manchmal kränkend: „Du meinst wohl auch, nur deine Art zu leben wäre richtig?“ - „Mich kannst du nicht bekehren! Ich habe schon vor Jahren endgültig mit Gott abgeschlossen!“ „Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war.“ Ja und das alles wird halt dadurch so schlimm, weil wir eben auch dieses Gefühl nicht loswerden: Berufen zu sein von „Mutterleib“, von Geburt an. Wir spüren es, wir wis- sen es: Wir können uns nicht aus unserer Verantwortung davonstehlen. Wir dürfen unseren Mit- menschen das Zeugnis für Gott und den Glauben an ihn nicht vorenthalten. Der Auftrag für uns ist klar: Wenn du an Gott, wenn du an seinen Sohn Jesus Christus glaubst, dann bist du es den Men- schen schuldig, davon auch zu reden und dich dazu zu bekennen. Und wir wollen heute einmal nicht nur sehen, wie belastend und schwierig das manchmal sein kann. Wir wollen auch die andere Seite wahrnehmen und die guten Erfahrungen damit ansprechen: Es ist etwas Wunderbares, wenn ein Mensch sich durch unseren Glauben anzünden und begeistern lässt. Es ist beglückend für ihn, aber auch für uns, wenn wir Zeuge werden dürfen, wie einer sein ganzes Leben umkrempelt. Es macht froh, wenn eine durch den Glauben Halt und Trost findet und keine Angst mehr hat vor dunkler Zukunft, vor Krankheit und Tod. „Der Herr hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt.“ Unser Auftrag geht aber noch weit über das Zeugnis für den Glauben hinaus: Auch davor, die Wahrheit zu sagen, dürfen wir uns nicht drücken. Und die Wahrheit ist in unserer Zeit eine Sache, die wir oft ängstlich meiden. Ja, es gilt in manchen Bereichen geradezu als gefährlich, sie auszu- sprechen, z.B. am Arbeitsplatz: „Er hat dem Chef die Wahrheit darüber gesagt, wie alle in der Ab- teilung über die betrieblichen Neuerungen denken.“ - Und drei Monate nachdem er es gesagt hatte, stand er auf der Straße. Oder: „Sie hat ihrer Freundin reinen Wein eingeschenkt, dass ihr Mann schon lange ein Verhältnis mit einer anderen hat.“ Seitdem ist Funkstille zwischen den beiden, die von der Betrogenen ausgeht - als wäre die Freundin schuld daran, was der Mann getan hat. Aber auch hier gibt es andere Erfahrungen: Es tut einfach gut, wo alle lügen und sich um klare Worte herumdrücken, auszusprechen was los ist, wie man denkt und was man für falsch und was man für richtig hält. Wenn man dabei seine eigene Feigheit überwindet, umso besser. Der Sieg über sich selbst ist immer ein guter Sieg! Und oft genug werden wir auch erleben, dass der Angestellte, der dem Chef ehrlich die Meinung sagt, eben nicht entlassen, sondern höher geachtet wird als all die anderen, die ihm nur nach dem Mund reden und heikle Themen vermeiden. Und eine richtige Freundin wird es uns danken, wenn wir sie - selbstverständlich angemessen und einfühlsam - darüber aufklären, was ihr Mann ihr verschweigt. „Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat, daß ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde, - darum bin ich vor dem HERRN wertgeachtet, und mein Gott ist meine Stärke ...“ Immer noch nicht genug! Menschen, die zu Gott gehören, sollen nicht nur bereit sein, jedem der sie fragt, Antwort zu geben: „Das ist mein Glaube!“ - „Hierin sehe ich den Sinn meines Lebens.“ - „Auf diese ewige Zukunft hoffe ich.“ Nicht genug! So viele Menschen unserer Tage fragen ja gar nicht mehr! Und so ist es doch schon in unse- rer nächsten Umgebung. Wer von uns könnte denn z.B. von allen seinen Kindern oder Enkeln sa- gen, woran sie glauben und worauf sie hoffen? Und ist das im Blick auf unseren Lebens- oder Ehe- partner anders? Aber ist das nicht auch seltsam: Es geht um die Mitte, um die wichtigsten, ent- scheidendsten Fragen des Lebens - aber wir sprechen sie nicht an und wir wissen nichts darüber, wie der andere dazu denkt - aber der andere ist unser Mann, unsere Frau, unser Kind, unser Vater ... Gott will auf Erden seine Herde „sammeln“. Aber er braucht uns dazu, dass wir zu ihm einladen! „Es ist zu wenig, daß du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Is- raels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, daß du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.“ Hier schließlich wird verständlich, was ich am Anfang die- ser Predigt gesagt habe: „Vielleicht hätte ich die Gedanken, die sich bei mir an diese Prophetenwor- te angeschlossen haben, lieber bremsen sollen!? Es ist ja sicher einfacher und man bleibt unbehel- ligt, wenn man sich in diesen Zeiten nicht für das gegenseitige Verständnis der Religionen und auch nicht für die Wahrheit den eigenen Glaubens einsetzt.“ Wir müssen ein klares Ja sagen: Es ist ein- facher, auch im Blick auf andere Religionen, wenn wir vor Vertretern anderen Glaubens verstum- men und uns unseren Teil nur denken. Und dass man sich sogar Gefahren aussetzt, wenn man in gutgemeinter Rede den Grundsatz der Gewaltlosigkeit in allen Religionen einklagt, haben wir vor kurzem daran gesehen, wie die muslimische Welt auf ein Zitat des Papstes reagiert hat. Nun mag das Zitat ja ungeschickt und die Reaktionen darauf voraussehbar gewesen sein. Trotzdem: Wenn ein Aufruf zur Gewaltlosigkeit der Religionen dazu führt, dass eine Religion den, der dazu aufruft, mit Gewalt bedroht, dann liegt der Fehler nicht bei diesem! Toleranz darf nicht dort enden, wo Ver- treter anderer Religionen meine eigene religiöse Praxis und meinen Glauben hinterfragen. Und wir müssen einander auch zugestehen, dass wir in unserer eigenen Religion die Wahrheit und den uns angemessenen Glauben gefunden haben und meinen, diesen in der jeweils anderen Religion nicht finden zu können! Vergessen wir bei alledem nicht, was Jesaja denen verheißt, die zu Gott gehören: „Darum bin ich vor dem HERRN wertgeachtet, und mein Gott ist meine Stärke.“ Wenn wir unseren Glauben leben, unser Vertrauen in unseren Gott nicht vor den Leuten verstecken, wenn wir die Wahrheit sagen, auch wo sie unangenehm ist und es uns vielleicht von Nachteil sein kann, sie auszusprechen: Gott gibt uns die Kraft dazu! Er macht uns auch stark genug, die Folgen zu tragen, wenn es bei anderen nicht gut ankommt, was wir ihnen vorleben oder ins Gesicht sagen. Sind wir auch nicht allen Men- schen recht darum, dass wir wahrhaftig sind und versuchen, Gottes Auftrag zu erfüllen, so sind wir doch bei Gott „wertgeachtet“. Und zuletzt kommt es darauf und auf nichts anderes an! AMEN