Predigt zum 13. Sonntag nach Trinitatis - 10.9.2006 Textlesung: 1. Mos. 4, 1 - 16a Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. Es begab sich aber nach etlicher Zeit, daß Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Laß uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als daß ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muß mich vor deinem Angesicht verbergen und muß unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, daß mich totschlägt, wer mich findet. Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, daß ihn niemand erschlüge, der ihn fände. So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten. Liebe Gemeinde! Eine sehr dunkle Geschichte! Viele Religionslehrer in der Grundschule haben Bedenken, sie vor die Ohren der Sechs- bis Zehnjährigen zu bringen. Im Kindergottesdienst mancher Gemeinden wird diese Geschichte auch lieber verschwiegen, wenn sie nach dem Textplan für die Kinderkirche (alle zwei Jahre) dran ist. Dabei wird allerdings übersehen, worum es in diesen Versen auch geht, ich würde sogar sagen: ei- gentlich geht! Der Brudermord ist ja schließlich nicht alles, wovon wir hören. Neben der Blutschuld, die Kain auf sich lädt, erfahren wir ja auch von der großen Barmherzigkeit Gottes, die sogar einen Mörder in Schutz nimmt und seinen Tod nicht will. Nein, wer Kain tötet, so spricht Gott, fällt in noch viel größere Schuld als dieser. Liebe Gemeinde, ich habe den Verdacht, dass es nicht nur der Brudermord ist, der uns an dieser Geschichte nicht so recht schmecken will, sondern auch dieses unbegreifliche Erbarmen Gottes über den Mörder, das uns ebenso ungerecht erscheint. Und ich glaube fest, auch deswegen mögen Lehrer- und ErzieherInnen diese Geschichte nicht so gern Kindern in Schule und Kirche erzählen. Sie sagen sich vielmehr: Wenn ein Mensch seinen Bruder erschlägt, dann ist das ja schon ein ziem- lich schwer verdaulicher Stoff - zumal wenn wir davon in der Bibel lesen. Wenn dann aber auch noch unser Gott nicht den Mörder bestraft, sondern seinen Verfolgern, die ihm nach dem Leben trachten, vielfältige Rache androht, dann ist das wirklich an der Grenze zum Unerträglichen - un- verständlich ist es allemal! Da kommt mir jetzt in den Sinn, wie viele Geschichten der Bibel alten und neuen Testaments doch eigentlich mit unseren herkömmlichen Begriffen von Moral, von Recht und Gerechtigkeit nicht zu reimen sind. Vier Beispiele von sehr vielen: 1.) Wie ist es möglich, dass Gott von Abraham das Opfer seines einzigen Sohnes Isaac verlangt (1. Mos. 22,1ff)? 2.) Wie kann Gott sich auf einen Handel mit dem Teufel einlassen, wie wir im Buch Hiob lesen und seinen untadeligen Diener Hiob so hart prüfen und quälen? (Hi.) 3.) Ist es gerecht, wenn der Vater im Gleichnis den Verlorenen Sohn, der sein Erbe verprasst hat und ein Nichtsnutz ist, in Ehren annimmt - für den zu Hause gebliebenen Bruder aber wenig An- erkennung zeigt (Lk. 15,11ff)? 4.) Sträubt sich bei uns nicht immer wieder, wenn wir die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg hören, alles gegen diese fragwürdige Entlohnung am Ende, bei der die Faulpelze der letz- ten Stunde genau so viel ausgezahlt bekommen wie jene, die Last und Hitze des ganzen Arbeit- stages getragen haben (Mt. 20,1-16)? Ganz gewiss könnte ich hier auch noch manche Geschichte davon erzählen, wie es uns in unserem Leben schon mit Gottes „Gerechtigkeit“ ergangen ist: Von gläubigen Menschen, die wirklich ein Schicksalsschlag nach dem anderen getroffen hat, während ihre gottlosen Nachbarn auf der Son- nenseite des Lebens sitzen, überhäuft mit guten Gaben, Glück und Erfolg. Von lieben Verwandten oder unseren engsten Familienangehörigen, die krank oder behindert sind und dann noch so früh Abschied nehmen müssen, ohne je richtig gelebt zu haben. Und von uns selbst, die wir uns doch an Gott halten und ihn so oft nicht begreifen können, wenn er andere Menschen scheinbar vorzieht und es ihnen so viel besser gehen lässt als uns. Es ist schon so: Immer wieder tut Gott Dinge oder heißt sie gut, die unseren Vorstellungen von dem, was gerecht und moralisch richtig ist, spotten, ja, völlig zuwider laufen. Warum ist das nur so? Ich bin nun sicher weit davon entfernt zu wissen, warum Gott so mit seinen Menschen verfährt - von Anfang an bis in unsere Tage. Aber mindestens zwei Dinge erklären sich von selbst, wenn wir alle uns unverständlichen Geschichten der Bibel und die fremden und befremdlichen Schicksale anderer und unsere eigenen einmal näher betrachten. Das erste ist dies: Immer will Gott zeigen, dass er Gott ist. Immer müssen wir daran, wie er sich verhält und handelt, erkennen, dass sein Wille geschehen soll und am Ende auch geschehen muss - gegen unseren Unwillen, unser Unverständnis und unser Urteilen, wenn wir sagen: „Das ist aber nicht gut und nicht gerecht und richtig so, Gott!“ Und das zweite ist: Gott stellt sich immer auf die Seite der besonders Schutz- oder Hilfsbedürfti- gen, sie mögen gehandelt haben, mögen sein oder gewesen sein wie sie wollen: sündig, ungerecht, schlecht ... Selbst ein Mörder ist noch unter Gottes Augen. Manchmal kommt die Hilfe Gottes spät - wir sehen es am Beispiel des Hiob und haben es vielleicht auch schon am eigenen Leibe so er- fahren müssen. Aber am Ende stehen wir auf der Seite der Bewahrten, dort, wo Gott uns in Ewig- keit nicht mehr verlassen wird. Das alles mag immer noch keine ausreichende und schon gar keine befriedigende Erklärung dafür sein, warum auch so vieles, was wir ungerecht nennen, in der Bibel und heute an uns geschieht. Aber an diesen Gedanken können wir weiter denken und uns auch festhalten, wenn uns wieder einmal Gottes hart empfundene Hand heimsucht: Selbst ein Kain, der Mörder seines unschuldigen Bruders, wird von Gott mit dem Mantel seines Schutzes und seiner Hilfe umgeben. Auch Hiob, nachdem er lange und schrecklich ungerecht heimgesucht worden ist, bekommt alles, was ihm zuvor genommen war, reichlich zurück. Sogar für eins seiner Kinder, das wie der verlorene Sohn alles vertan und verprasst hat, ist das Leben nicht zu Ende: Auch das unfolgsame Kind darf neu anfangen. Der Vater freut sich von Herzen, dass er’s wieder hat. Seine Liebe ist nicht erloschen. Und wir dürfen hoffen, dass auch der missgünstige Bruder sich noch darüber zu freuen lernt, dass der Vater den Sohn und er den Bruder zurück hat. Und die Arbeiter im Weinberg? Die können wir vielleicht auch in diesen Zeiten etwas besser ver- stehen, in denen es vielen Menschen schwer fällt, ihre Arbeit, mit der sie sich kaum noch identi- fizieren können, zu lieben. Wie gut ist es doch, wenn sie wenigstens das Nötigste zum Leben ha- ben. Liebe Gemeinde, ich bin ganz sicher, auch an den Fragen, die unser eigenes oder das Schicksal, das wir bei unseren Lieben oder Freunden erleben, stellt, können wir mindestens diese beiden Dinge ablesen: Gott zeigt uns, dass er Gott ist; sein Wille muss geschehen. Und: Am Ende offenbart sich noch immer, dass Gottes Wille gut war und ungerecht nur vor unserem ersten Eindruck. Liebe Gemeinde, ein letztes dazu habe ich mir bis zuletzt aufgehoben: Auch was wir von unserem Herrn Jesus Christus im Neuen Testament lesen, verläuft genau so wie viele andere biblische Geschichten und wie manche unserer Lebensgeschichten auch: Gottes eigener Sohn wird Opfer eines grausamen Geschehens hinter dem wir nun wirklich nicht mehr Gottes väterliche Liebe erk- ennen können. Bis zum schrecklichsten Leiden, ja, bis zum Tod am Kreuz muss sich Gottes Wille durchsetzen. Dann aber - als alle meinen, nun wäre es zu Ende - steht Christus auf - als Sieger über Tod, Hölle und Teufel. Wir, die seinen Namen tragen, müssen uns seitdem keine angstvollen Gedanken machen, auch wenn wir Gottes Wege mit den Menschen und mit uns selbst nicht begreifen können. Auch im härt- esten Geschick, auch da, wo wir an Gottes Gerechtigkeit zweifeln und vielleicht den Glauben loslassen wollen, vollzieht sich Gottes Wille. Und alles, wirklich alles wird zu einem guten Ende kommen. Auch Gottes Sache mit uns persönlich. AMEN