Predigt zum 9. Sonntag nach Trinitatis - 13.8.2006 Textlesung: Jer. 1, 4 - 10 Und des HERRN Wort geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, daß du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen. Liebe Gemeinde! Vielleicht sagt nach dieser Predigt der eine oder die andere, ich hätte aber das gewaltige Amt eines Propheten arg ins alltägliche Leben heruntergezogen. Und ich werde mir sicher auch die Frage ge- fallen lassen müssen, ob denn die Anliegen meiner Ansprache heute wirklich etwas damit zu tun hätten, wozu Jeremia hier von Gott gesandt wird: "Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, daß du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen." Jedenfalls hätte ich dazu dann auch mindestens zwei Rückfragen. Die erste ist diese: Müssen wir nicht alle Worte Gottes für uns, unsere Welt und unsere Zeit umdeuten und übersetzen? Und die zweite: Was sollte denn der Sinn eines Auftrags an einen Propheten sein, wenn der nicht auch uns meinte und was er sagt, irgend etwas mit uns zu tun hätte? Aber jetzt fange ich endlich an mit der Predigt, darum noch einmal: Liebe Gemeinde! "Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mut- ter geboren wurdest und bestellte dich zum Propheten für die Völker." Ich finde, wir denken viel zu wenig von daher, dass Gott uns geschaffen, im „Mutterleib bereitet“ hat, damit wir in seinem Na- men in dieser Welt einen bestimmten Auftrag erfüllen. Gewiss, manchmal im Leben spüren wir ihn, den „Atem des Schicksals“, die „Größe eines Augenblicks“, an dem wir teilhaben oder sogar mit unseren Worten oder unserem Handeln mitgestalten. Aber ansonsten gehen wir doch kaum davon aus, dass wir an jedem Tag neu von Gott eine bestimmte Aufgabe vorgelegt bekommen, die er gerade für uns hat. So sagt es aber das Wort, das wir heute bedenken und es geht noch viel weiter: Schon bevor uns Gott im Mutterleib gebildet hat, wollte er uns für diese Aufgabe auser- wählen. Und er hat uns dazu alle nötigen Gaben und Talente geschenkt, die wir für seinen Auftrag brauchen. Dem Jeremia hat Gott das Zeug dazu gegeben, ein Prophet zu werden. Genau so gibt es auch unter uns Menschen, die ein prophetisches Amt wahrnehmen sollen. Und darunter verstehe ich durchaus auch schon die Aufgabe, unseren Mitmenschen etwas von der Liebe Gottes weiter- zusagen und sie seine Güte in unseren Taten spüren zu lassen. Und ganz sicher ist auch Mutter oder Vater, Großmutter oder Großvater, Bruder oder Schwester und selbst Freund, Kollege oder Nachbar zu sein, ein prophetisches Amt! "Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete." Nichts, wirklich gar nichts können wir diesem Auftrag Gottes entgegensetzen, was uns von ihm befreien könnte: Jeremia ist nicht zu jung! Ich bin nicht zu unerfahren. Du kannst nicht zu schlecht reden. Niemand ist zu alt. Keiner weiß, wenn's darauf ankommt, wirklich nicht, wie er's anfangen soll. Und keine Lust zu haben, ist schon überhaupt keine gute Ausrede! Warum das so ist? Weil Gott uns sendet! Weil er es gebietet und weil er uns zu dem, wozu er uns haben will, auch immer mit der nötigen Kraft und den nötigen Fähigkeiten ausstattet. Was viele von uns jetzt sicher insgeheim diesen Gedanken entgegenhalten, kenne ich auch aus ei- gener Erfahrung: Ich habe den Auftrag Gottes in einer bestimmten Situation gespürt. Ich wusste: Da musst du jetzt etwas sagen, das kann so nicht stehen bleiben oder dazu muss man einfach noch et- was wissen und in die Entscheidung einbeziehen. Und dann habe ich es gesagt, aber man hat über mich gelacht, mich als Spinner tituliert oder gefragt, was mich das eigentlich angehe. Am Ende habe ich mich ziemlich mies gefühlt und wollte mir schon schwören, mich nie wieder irgendwo einzumischen und zum Narren zu machen. Immer wieder aber habe ich es dann hinterher erlebt - vielleicht erst Wochen oder gar Monate später - dass ich noch einmal auf die Situation oder das, was ich da gesagt hatte, angesprochen wurde: "Das war gut, was du damals gesagt hast!" - "Ich habe erst jetzt begriffen, wie das neulich von Ihnen gemeint war." - "Ich bin - obwohl ich mich zuerst über Ihren Rat aufgeregt habe - ihm dann doch gefolgt und muss Ihnen heute dafür danken!" Wenn wir bei Jeremia lesen: Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erret- ten, spricht der HERR", dann sollten wir nie vergessen, dass Gottes Wort sich dann erfüllt, wenn die Zeit dazu da ist. Das war schon bei Jeremia so und nicht anders ist es heute bei uns, wenn wir uns der Aufgabe Gottes stellen: Ganz selten werden wir sofort sehen, dass Gott hinter unseren Worten oder unserem Tun steht. Aber wir müssen uns bei allem, was wir in seinem Auftrag reden oder handeln nicht fürchten. Gott ist auf unserer Seite. Und selbst wenn wir in Gefahr geraten, dem Spott und dem Hohn der Menschen preisgegeben sind, verlacht oder geschnitten werden - Gott hält uns an der Hand und rettet uns aus aller Gefährdung, allen Angriffen und jeder Anfeindung - aber zu seiner Zeit! "Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund." Eine ganz wunderbare und große Sache ist das, was hier an Jeremia geschieht: Gott selbst rührt ihn an und nimmt ihm damit die letzten Zweifel, dass er seiner Sendung nicht gerecht werden könnte. Wann hat Gott uns angerührt? - Mir fiel dazu gleich unsere Taufe ein. Da hat Gott unsere Stirn benetzt mit dem Wasser der Taufe und uns die Hände aufgelegt und dabei gesprochen: "Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein." Seitdem leben wir unter diesem Segen und können ihn nicht verlieren, solange wir atmen. Und selbst dann werden wir nicht aus diesem Segen fallen. Er wird uns heimführen dahin, wo wir schon hier und heute Kinder und Erben sind und ein ewiges Hausrecht besitzen - durch Jesus Christus, unseren Herrn. "Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, daß du ausreißen und einreißen, zer- stören und verderben sollst und bauen und pflanzen." Das besonders war der Gedanken, an den ich vorhin gedacht habe, wenn ich sagte: Ob man mir nicht vorwerfen wird, das Prophetenamt arg herabzuziehen? Wo haben wir den mit Völkern und Königreichen zu tun? Zugegeben: Eher weni- ger. Aber die Macht, auszureißen und einzureißen und zu verderben, die sehe ich schon in unseren Händen und oft schon in unseren Worten! Wir tun das zum Beispiel, wenn wir beharrlich unseren Auftrag zu erfüllen verweigern! Hätten wir bei dieser oder jener Gelegenheit doch nur gesprochen und nicht geschwiegen, wir hätten Unglück abwenden, Leid von Menschen fern halten und das Glück bewahren helfen können. So aber ist es anders gekommen. Und manchmal stehen wir dann wirklich vor der Zerstörung einer Beziehung, einer Existenz, eines Lebenstraums ... Und wir waren es, die „aus- und eingerissen und verdorben“ haben! Aber Gott sei Dank ist auch das andere möglich - und wir haben es auch in der Hand: „... du sollst bauen und pflanzen“! Das kann geschehen, wenn wir unsere Aufgabe an der Welt und den Men- schen annehmen und uns nach Kräften dafür einsetzen, dass sie sich erfüllen kann: Wo in unserer Familie Streit herrscht, sollen wir schlichten. Der Nachbar, der in Schwierigkeiten ist, soll in uns einen Fürsprecher und Berater finden. Unser Freund, unsere Freundin braucht Trost, denn ein lieber Angehöriger hat sie für immer verlassen. Die Atmosphäre an unserer Arbeitsstelle ist nicht mehr wie früher - wir wissen woran es liegt und sollten ein klärendes Gespräch herbeiführen. Und noch so manche andere Aufgabe gibt es, die Gott uns ganz persönlich vorgelegt hat und immer wieder vorlegt - mindestens so viele, wie Menschen heute hier beisammen sind. Und sie sind für jede und jeden von uns das Arbeitsfeld, auf dem wir „bauen und pflanzen“ sollen. Und ganz wunderbar ist die Erfahrung, wenn wir dann wirklich das unsere getan und beigetragen haben und wenn auf dem „Feld“ dann wirklich eine Pflanze wächst, blüht und gedeiht, die fast schon vertrocknet und eingegangen war. Wenn wir das erleben, werden wir nicht mehr denken, das wäre doch angesichts des Amtes eines Jeremia gering und wertlos. Im Kleinen oder im Großen den Auftrag Gottes anzunehmen, darum sind wir in der Welt. Gott wird uns beistehen und immer die Kraft geben, die wir brauchen. Aber er gibt sie uns erst dann, wenn wir uns daran machen, seine Aufgaben zu er- füllen. AMEN