Predigt zum 5. Sonntag nach Trinitatis - 16.7.2006 Textlesung: 1. Mos. 12, 1 - 4a Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog. Liebe Gemeinde! In letzter Zeit wird es mir immer deutlicher: Wir müssen auch aufbrechen! Uns Christen dieser Zeit steht ein Umzug bevor - oder wir werden in der alten Wohnung verkommen! Wir werden auch feste Positionen und gesicherte Standorte aufgeben müssen, sonst haben wir und unser christlicher Glau- be keine Zukunft mehr! Große Worte! Wie komme ich darauf? Wovon rede ich eigentlich? Ich möchte einmal die "alte Wohnung" beschreiben, in der wir uns häuslich eingerichtet haben: Sie ist keineswegs hässlich oder ärmlich ausgestattet! Im Gegenteil! Moderne Möbel, dicke Teppiche, weiße Gardinen. Komfortable Sitzgruppe, fließend warmes und kaltes Wasser, aufwendige Tapeten und Bilder. Die Schränke gut gefüllt: Bücher, Porzellan, Schuhe, Kleider ... Vor der Wohnungstür steht das Auto, oft auch zwei. Es fehlt also an nichts. Der Geist, der hier herrscht ist vielleicht am besten mit dem Sinnspruch beschrieben, den wir über dem Eingang lesen: Ohne Fleiß kein Preis! Bei manchen steht da auch: Du bist, was du hast! Es bleibt sich gleich. Der Sinn ist allemal der- selbe! - Aber ich will jetzt das Rätselbild dieser "alten Wohnung" auflösen: Es ist die Welt, in der wir wohnen mit ihrem Gesetz. Und das schlimme ist, wir haben dort nicht nur zeitweise unser Quartier und nicht nur mit halbem Herzen - wir sind ganz und gar zu Hause in ihr! Und das aller- schlimmste ist vielleicht, dass da draußen an der Tür noch unser Name angebracht ist mit dem Zu- satz: "Christ". Denn für einen Nachfolger Jesu Christi kann und darf diese "alte Wohnung" keine dauerhafte Bleibe sein. Aber ich will die "Welt" und ihr "Gesetz" noch ein wenig näher betrachten. Sie werden mir recht geben müssen, wenn ich sage, so sieht unsere Welt aus: Die Leistung ist der oberste Maßstab: Was kann die Frau X? Wie viel bringt der Herr Y? Was kostet es, wenn du mir diesen Dienst tust? Was hole ich heraus, wenn ich soundsoviel investiere? Was bleibt unterm Strich, wenn ich dies oder das aufwende? Im Geld hat der Leistungsmaßstab seinen Ausdruck gefunden und im Besitz. Das hört sich so an: Herr Meier ist halt so reich, weil er viel geleistet hat! Die Frau Kunz hat damals zum richtigen Zeitpunkt das Richtige gemacht! Oder so: Der Müller ist halt ein armer Schlucker, ist nichts, kann nichts, bringt nichts ... Die Schmidt hätte ja vor Jahren auch ... hat aber nicht! Jetzt ist es zu spät, der Anschluss ist verpasst. Oft stimmt das natürlich gar nicht: Von wegen, wer viel arbeitet, hat auch viel ... Wir kennen alle sicher einige Menschen, die haben alles, was sie haben, schon von ihren Eltern geerbt! Sie selbst mussten niemals einen Finger rühren, geschweige denn hart schaffen. Aber sie bestätigen trotzdem meist das Gesetz der Welt: Denn sie tun wenigstens so, als hätten sie etwas geleistet! Sie blasen sich auf und nehmen sich und ihre Arbeit sehr wichtig ... Warum? Weil es das Gesetz der Welt ver- langt! Du musst etwas leisten! Ohne Fleiß kein Preis! Liebe Gemeinde, man könnte das ja noch akzeptieren, wenn wir eben nur mit halbem Herzen oder nur zuzeiten in dieser "alten Wohnung" lebten. Aber wir haben auch unseren religiösen Bereich so eingerichtet wie den weltlichen. Da hängt sozusagen im Herrgottswinkel unseres Lebens auch so ein Denkspruch: Nur Leistung zählt! Oder so einer: Den Himmel musst du dir verdienen! Und wir haben wirklich die Unverfrorenheit daneben das Kreuz Jesu Christi zu hängen! Ich will auch dieses Bild erklären: Es gibt wirklich sehr viele Christen (ich glaube, es ist die Mehrheit!), die vor Gott nach demselben Maßstab messen, wie vor der Welt! "Wenn ich mein Le- ben nur hübsch artig verbringe, dann wird mir am Ende doch auch einmal die himmlische Woh- nung zuteil!" - "Ich muss mich mühen und anstrengen, dann wird Gott mir auch die Auferstehung und das ewiges Leben schenken!" - "Der oder die sind verloren - die tun nichts für ihren Gott und ihren Glauben!" Das ist der religiöse Teil der "alten Wohnung". Er - zusammen mit der weltlichen Einrichtung - macht unser Zuhause in der Zeit. Und es sieht oft genug so aus, als genügte uns diese Welt und ihr Gesetz zum Leben! Aber ich bin doch überzeugt, es sieht nur so aus! Sonst würde ich diese Predigt nicht halten. Ja, ich könnte wohl weder Christ sein, noch Jesus Christus verkündigen. Und Gott sei Dank müssen wir es alle sagen: Eigentlich genügt uns das Gesetz der Welt nicht! Wir haben uns das sichere Gefühl dafür bewahrt, dass wir - zumal als Christen - nicht in diese "alte Wohnung" gehören! Wir dürfen nicht aufgehen in der Welt und ihrem Gesetz! Wir dürfen es nicht! So verstehe ich heute dieses Wort Gottes: "Geh aus deines Vaters Haus und aus deinem Vaterland in ein Land das ich dir zeigen werde!" Ich höre es als Gottes Auftrag und Gottes Verheißung: Ver- lasse die "alte Wohnung", geh aus der Welt und ihrem Gesetz ... dorthin, wo ich dich hinführen will! - Wo ist das? Wie sieht die "neue Wohnung" aus? Sie mag ja ganz ähnlich eingerichtet sein wie die alte. Es mag uns darin ja auch gut gehen und an nichts fehlen. Aber der Geist! Der Geist, der in diesen Vierwänden weht ist ein anderer. Hier weiß einer: Alles, was ich habe, ist mir geschenkt! Meine Möbel, meine Kleider, mein Auto vor der Tür - Geschenke Gottes! Doch nicht meine Leistung! Was könnte ich denn fertig bringen, wenn Gott mir nicht meine Fähigkeiten mitgegeben hätte, meine Talente? Und was würde denn werden aus meinen Gaben, wenn ich von ihm nicht die Kraft und die Gesundheit hätte? Meine Angehörigen, mein Ehegatte, meine Kinder, meine Freunde - alles Gaben seiner Liebe! So weht in dieser neuen Wohnung der Geist, den wir "Dankbarkeit" nennen! Und noch etwas spürt man hier: Aus diesem Dank kommt auch die Wärme der Atmosphäre, die Freude, die man sieht und fühlt ... Menschen, die hier wohnen, können teilen, was sie haben. Wenn einer etwas nötiger braucht als sie selbst, dann öffnen sich ihre Herzen und Hände! Warum denn auch krampfhaft fest- halten, was man selbst doch auch nur geschenkt bekommen hat? Wenn ich es weiterreiche, wird es dann nicht vom Schenker aller guten Gaben nachkommen? Aber gewiss! Und hier - in diesem neuen Haus - da hängt das Kreuz des Herrn zurecht! Und es ziert auch nicht nur eine Ecke, oder eine Niesche. Hier steht es groß und unübersehbar mittendrin im Raum! Dieses Kreuz ist der Be- zugspunkt, der Grund, der Maßstab für alles, was hier gesprochen, gelebt und getan wird. Und al- lemal im religiösen Bereich! Aber den kann ich ja doch gar nicht trennen von dem, was ich in der Welt denke und handle! Wie soll denn einer, dem das Kreuz seines Herrn aufgegangen ist, von den Mitmenschen Leistung oder gar Knechtschaft verlangen? Wie kann denn einer, dem die Gnade Gottes groß geworden ist, mit seinen Nächsten nach dem Gesetz verfahren? Es geht nicht! Weil ich auch nicht nur zum Teil oder nur zuzeiten in der "neuen Wohnung" zuhause sein kann. Ganz oder gar nicht. Immer oder nie. Aber ich will das Bild von diesem "neuen Zuhause" noch ein wenig ausmalen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir den Wochenspruch für diesen Sonntag an seine Wand hängen: Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es. Damit hätten wir den Geist und die Atmosphäre in diesem Haus in einem Satz ausgedrückt und die drei wichtigsten Stichwörter genannt: Gnade, Glauben, Gabe. Es ist alles Gabe, was wir im Leben haben und empfangen. Es ist allein die Gnade Gottes, wenn er uns so ausstattet und beschenkt, nicht unsere Leistung! Und es ist allein unser Glaube, der diese Geschenke unverdient annimmt, dafür dankt und sie weitergibt. Es ist unser Glaube, der in die "neue Wohnung" einzieht, in ihr lebt und dort die Gaben der Gnade empfängt. Manchmal frage ich mich, ob das wirklich alles so schwer zu verstehen ist, wie viele Christen un- serer Tage vorgeben? Luther hat vor bald 500 Jahren schon einmal genau diese Botschaft unter die Leute gebracht. Damals hat man an seinen Lippen gehängt, als er den Menschen vom "gnädigen Gott" erzählt hat! Sie haben ihm die Freibriefe aus der Hand gerissen, mit denen er sie vom Gesetz der Leistung losgemacht hat. Wie Balsam für die Herzen war das damals, als er sagte: Gottes Liebe kommt all unserem Verdienst zuvor. Er will nicht strafen, weil sein Sohn am Kreuz schon alle Strafe erlitten hat. Ja, die Menschen damals wussten noch, was das "Kreuz" Christi bedeutete! Mag sein, wir Heutigen sind oft verführt und manchmal schon verdorben von einer Welt, in der für Geld alles zu haben ist. Mag sein, es ist sogar verständlich, dass wir unsere liebe Not damit haben, den "gnädigen" Gott überhaupt nur zu begreifen. Wo es doch sonst nur nach dem geht, was ich kann, habe, leiste ...! Aber so bleiben darf es nicht! Wir müssen raus aus der "alten Wohnung"! Sie wird vergehen und alles, was in ihr ist auch! Dem Geist von Leistung und Verdienst, der in ihr regiert, ist schon der Prozess gemacht! Am Kreuz ist einer gestorben - an diesem Gesetz der Welt - und er hat es überwunden, es ist außer Kraft, es gilt nicht mehr - jedenfalls vor Gott nicht. Das Kreuz ist jetzt - ein für allemal - das Siegeszeichen der Gnade Gottes: Es steht mittendrin in der neuen Wohnung und in der neuen Welt, die mit dem Ge- kreuzigten begonnen hat und gewonnen ist! Liebe Gemeinde, das mag ja alles furchtbar schwer zu begreifen sein, sicher ist aber: Der Umzug lässt sich bewerkstelligen! Die neue Wohnung wartet schon! "Brich auf, geh in ein Land, das ich dir zeigen werde! Ich will dich segnen!" Abraham ist damals aufgebrochen. Er hat alles hinter sich gelassen - und er ist angekommen!