Predigt zum 3. Sonntag nach Trinitatis - 2.7.2006 Liebe Gemeinde! Wenn mich mein Gefühl nicht trügt, werden sie heute von den Bibelversen zu dieser Predigt eher abgestoßen! Da hören wir wohl einfach zu viel von einer Sache, die wir immer gern verdrängen, verharmlosen oder gar ganz leugnen. Was ich da meine, werden sie in ein paar Augenblicken wis- sen. Ich lese den Predigttext zu diesem 3. Sonntag nach Trinitatis: Textlesung: 1. Joh. 1, 5 - 2, 6 Und das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen: Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis. Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut Jesu, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde. Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit. Wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns. Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürspre- cher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. Und er ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt. Und daran merken wir, daß wir ihn kennen, wenn wir seine Gebote halten. Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht. Wer aber sein Wort hält, in dem ist wahrlich die Liebe Gottes vollkommen. Daran erkennen wir, daß wir in ihm sind. Wer sagt, daß er in ihm bleibt, der soll auch leben, wie er gelebt hat. Sie haben gehört, was ich meinte: Sünde, Sünde und noch mal Sünde ... Insgesamt achtmal ist davon die Rede! Dabei hätte uns doch, wenn wir ehrlich sind, einmal gereicht! Sünde, Schuld ... das sind heute Dinge, die einfach keinen Platz haben in unserem Reden, Denken und auch im Le- ben. Wir wollen ja schließlich alles selbst machen, in der Hand haben, von niemandem abhängig sein, keinen nötig haben, brauchen, auf niemanden angewiesen ... Ja, nicht einmal auf Gott! Wenn wir uns aber mit der Sünde beschäftigen, dann spüren wir: Die werden wir alleine nicht los! Die hängt, ja, die klebt an uns, da mögen wir uns winden und schütteln, wie wir wollen! Die beschäftigt uns auch - selbst wo wir nicht an sie denken. Sie beschwert uns, zieht uns herunter und führt uns immer wieder vor Augen und vor das Herz, dass wir eben doch nicht alles selber machen können und doch nicht alle Dinge im Griff haben. - Wie gehen Menschen unserer Tage mit der Sünde um? Wie versuchen sie mit ihr fertig zu werden? Welche Rolle spielt die Sünde im wirklichen Leben der Menschen? Das erste ist schon einmal dies: Sie hat ihre Bedeutung nicht nur bei den Christen oder denen, die an Gott glauben! Immer wieder erfahre ich, wenn ich Menschen begegne und mit ihnen spreche, dass gerade jene, die doch ausdrücklich nichts mit Gott zu tun haben wollen, unter der Macht der Sünde leiden. Manchmal werden die Menschen gar krank an der Sünde! Wohlgemerkt an der Sünde, die sie selbst gar nicht für wirklich und für möglich halten. Denn wem gegenüber sollten Leute "Sünde" empfinden oder "Schuld", wenn sie doch gar keine höhere Macht kennen und anerk- ennen? Ein Pfarrer hat mir einmal erzählt, was ihm schon während des Studiums bald täglich passiert ist: Dass ihn nämlich Bekannte - aber auch völlig Fremde - bei allen möglichen Gelegenheiten angesprochen haben: "Was, du studierst Theologie!? Kann man denn heute noch an Gott glauben?" Und dann haben manche vielleicht hinzugefügt: "Das ist doch eine brotlose Kunst!" Oder: "Das ist heute nur noch eine Sache für alte Männer und Kanzelschwalben!" Oder auch ganz hart: "Willst du denn auch einmal mitmachen bei dem ewigen Sündengequatsche der Kirche? Die will uns doch damit bloß einschüchtern und bei der Stange halten!" Aber dann, so hat der Pfarrer weiter erzählt, dann geschah immer das Erstaunliche: Die selben Leute haben ihn in stundenlange Diskussionen verwickelt! Wohlgemerkt über eine Sache, die für sie doch angeblich überholt oder wie man heute gern sagt, abgehakt war! Ja, wieso denn bloß? Wie kann einer denn über Sünde und Schuld reden, wenn er doch erklärtermaßen nicht an Gott glaubt? Woher kommt das Interesse an einem Thema, mit dem die Menschen doch angeblich abgeschlossen haben und fertig sind? - Liebe Gemeinde, könnten sie denn einen ganzen Abend etwa über Computer sprechen, wenn sie gar keinen Bedarf daran haben, keinen besitzen und auch nicht vorhaben, je einen anzuschaffen? - Sehen sie!? Die Menschen, von denen wir eben gehört haben, haben das aber getan! Kann man das anders ver- stehen, als so: Dass sie eben nicht fertig waren mit Gott. Dass die Sünde - eine zwar verdrängte Sa- che - in ihnen aber eben nicht zum Schweigen gekommen ist. Dass sie sich zwar dem "Sündengequatsche" der Kirche entzogen haben, nicht aber der Anklage ihres eigenen Herzens! Mit einem Wort: Dass wir uns eben nur etwas vormachen, wenn wir die Sünde leugnen. - Sie ist da. Sie ist blutrot. Und sie ist nicht zu beseitigen, indem wir sie ignorieren. Wie drückt Johannes das aus: "Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst." Ja, das ist es: Selbstbetrug! Nun gibt es Menschen, sozusagen auf der anderen Seite, die sprechen wirklich von nichts anderem als von der Sünde, von der Schuld, die wir auf uns geladen haben und täglich neu auf uns laden. Es scheint ihnen geradezu Spaß zu machen, uns auf der Seele zu knien, uns das schlechte Gewissen, das Bewusstsein unserer verzweifelten Lage und die Angst vor Höllenstrafen einzureden. Gewiss, sie haben auch eine gute Begründung für ihre Art und ihr Reden: Sie wollen uns retten! Sie möch- ten uns zu dem führen, der uns heil machen kann, der die Strafe für unsere Sünde durch sein Ster- ben abgetragen hat, der uns reinigt von aller Schuld: Jesus Christus. Bei diesem - an sich guten - Vorhaben scheint es uns allerdings manchmal, als käme die Freude darüber zu kurz, dass uns doch schließlich wirklich vergeben wird, dass wir doch neu anfangen dürfen, dass wir durch Christi Blut rein sind von Sünde und Schuld. Aber durch diese Versuche, anderen Menschen sozusagen die Flammen der Hölle zu entfachen, entsteht bei ihnen leicht so etwas wie eine Trotzreaktion: "Ach, lasst mich doch endlich in Ruhe mit eurem ewigen Sündengerede! Immer Schuld, Schuld ... ich kann es nicht mehr hören!" - Ich muss sagen: Das kann ich dann auch verstehen! Liebe Gemeinde, die Wahrheit scheint - wie so oft - in der Mitte zu liegen, jedenfalls nicht ganz außen auf der einen oder anderen Seite. Und mir scheint der Weg von den Worten gewiesen, die heute über dieser Predigt stehen. Und da besonders von diesen: "Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit." Ich glaube wirklich, es geht alles um das Bekennen! Das wussten schon die ersten Christen und es ist so auch die Lehre der Kirche von Anfang an: Zum Umgang mit der Sünde gehört unverzichtbar, dass wir sie aussprechen! Davor aber steht die "Reue", wie man das nennt, sie ist das erste. Die Sünde muss mir leid sein, vielleicht gar weh tun. Und dann muss sie bekannt werden vor Gott. Mindestens vor Gott! Aber wie gut, dass wir uns dabei auch Menschen anvertrauen können! Jetzt aber kommt die Vergebung! Und sie muss auch wirklich kommen! Sie muss spürbar sein. Sie muss wie eine große, überwältigende Freude über mich hereinbrechen. Dass ich nur noch Dank bin und Jubel und Lob Gottes! Und dann bin ich eben "rein"! Dann hat nicht gleich wieder jemand mich auf meine Sünde zu verhaften. Die hängt dann wie ein Schuldschein am Kreuz meines Herrn. Gewiss werde ich wieder und immer wieder neu in Schuld fallen. Dann aber darf ich auch wieder und im- mer wieder die Vergebung in Anspruch nehmen. Wie hat Luther in seiner ersten der 95 Thesen gesagt: "Das ganze Leben der Gläubigen soll eine einzige Buße sein!" Zur Buße gehört sicher, dass wir immer neu unsere Schuld sehen und bekennen. Es gehört aber auch zur Buße, dass unser Herr uns immer wieder anbietet, uns heil und rein zu machen. Darum ruft uns die Kirche ja auch nicht nur zur Taufe, zur Konfirmation oder einem einmaligen Angebot des Abendmahls zur Vergebung der Sünden. Darum will die Kirche ja unser ganzes Leben begleiten und immer wieder neu zum Bekennen der Schuld aber auch zum Empfangen der Vergebung führen! Liebe Gemeinde, ich denke, hier ist die "Mitte" zwischen den beiden Extremen. Hier verläuft der Weg, den wir gehen können: Die Sünde nicht verdrängen, nicht in einen dunklen Seelenwinkel schieben in der Hoffnung, dass sie dort von selbst verrottet. Das wird nicht geschehen! Sie sucht sich immer wieder den Pfad ins Freie! Und oft - und heute zunehmend! - bricht sie auf in seelischer Krankheit oder gar körperlichen Reaktionen. ("Psychosomatische Störungen" heißt in unseren Tagen dafür das Fachwort!) Und ich meine, dass es vielleicht eine Gnade Gottes ist, zumindest sein Wille und seine Fügung, dass wir eben der Macht der Sünde nicht entgehen können. Sie drückt uns. Sie quält uns. Wir müssen von ihr sprechen - auch wenn wir angeblich nicht gläubig sind. Da äußert sich halt bei uns ein oft totgesagter Zug unseres innersten Wesens: Dass wir eben doch ein Gewissen haben! Darum aber braucht es auch nicht das ständige Seelenknien und Einreden der Schuld von außen! Wir wissen es doch genau, ganz genau, was mit uns los ist und was uns fehlt! Und dieses Wissen, dieses Gewissen, treibt uns früher oder später zum Bekennen, zum Sprechen über unsere Sünde und Schuld. Aber da müssen wir dann nicht stehen bleiben. Von dort geht der Weg dann hinauf in die Sonne, in die Gnade, in die Vergebung. Dort oben auf der Höhe können wir aufatmen, frei dahinschreiten, ohne Last, ohne Angst. "Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit." Liebe Gemeinde, ich wünsche uns von Herzen, dass wir diesen Weg von der Reue über das Beken- nen hin zur Vergebung gehen können und immer wieder neu finden, wenn wir von ihm abgekom- men sind. Gott sei Dank, Lob und Preis, dass er uns in Jesus Christus diesen Weg eröffnet hat!