Predigt zum Pfingstsonntag - 4.6.2006 Textlesung: 1. Kor. 2, 12 - 16 Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muß geistlich beurteilt werden. Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. Denn "wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen"? Wir aber haben Christi Sinn. Liebe Gemeinde! Diese Worte des Paulus gefallen mir weit besser als die Pfingstgeschichte, die wir vorhin als Le- sung gehört haben. Bei der Pfingsterzählung stört mich ganz einfach dies: Die Jünger tragen von sich aus nichts, wirklich gar nichts dazu bei, dass es Pfingsten wird! Da geschieht ausschließlich etwas an ihnen und mit ihnen. Sie selbst stehen sozusagen nur herum auf der Bühne des Gesche- hens - wie Statisten. Die Hauptrolle aber spielt Gottes Heiliger Geist: Er braust daher; er setzt sich wie Feuerzungen auf ihre Köpfe; er erfüllt ihre Herzen; er gibt ihnen ein, was sie aussprechen und predigen sollen ... Nein, ich habe nichts gegen die Hauptrolle für Gottes Geist! Ach, wenn er sie doch immer und überall spielen würde - in der Welt, der Kirche, in unserer Gemeinde, in unserem Leben und un- seren Herzen! Aber die Pfingstgeschichte erzählt ja vom ersten Auftritt des Heiligen Geistes! Damals mag das so gewesen sein. Wenn einer zum ersten Mal auf der Bühne erscheint, dann wol- len wir ihm ja alles Handeln zugestehen. Da mögen sich einmal alle Augen auf ihn richten und alle staunen und sprechen: Aha, da gibt es jetzt offenbar eine gewaltige Macht in dieser Welt, die Men- schen ergreift und beseelt, sie von Gott reden und verkündigen lässt, ihnen die Zunge und die Hände führt ... Aber dann, später, seitdem, bis heute: Da können wir doch nicht untätig darauf warten, dass sich bei uns die "Ausgießung des Heiligen Geistes wiederholt"! Wir wollen doch wohl nicht ernsthaft glauben, heute morgen würde es auch zu brausen anfangen und auf unserem Scheitel könnten gleich Feuerflämmchen zu züngeln beginnen. Solch ein Glaube wäre naiv und kindlich. Aber das wäre nicht einmal das schlimmste: Dieser Glaube wäre auch verdächtig und - wie ich finde - bequem ... zu bequem! Ich müsste einem solchen Glauben vorwerfen, dass er träge und untätig alles dem Geist überlassen möchte. Ich würde von ihm denken: Du schiebst ja alles weg von dir, und sagst: "nicht meine Sache!", "wenn mich der Geist nicht ergreift, was kann ich dafür?" Und ich würde hinzufügen: "Du machst es dir zu einfach!" Aber so ist diese Zeit ja überhaupt: Nur keine Verantwortung übernehmen! Sich hinter anderen ver- stecken! Schuld und Zuständigkeit wegschieben! "Ich kann doch da nichts machen, wenn im Nachbarhaus das Kind geschlagen wird!" - "Das ist halt der verderbliche Einfluss des Fernsehens, sag' ich doch schon immer!" - "Das habe ich doch nicht gewusst!" - "Ich habe aber auch eine so schlimme Kindheit gehabt!" - "Machen Sie das mal, Herr Pfarrer (Frau ... / Herr ...), Sie können das viel besser!" Und so weiter und so weiter. Immer die anderen. Immer nicht ich. Immer bin ich den Mächten (vorgeblich!) ausgeliefert. Praktisch ist das, einfach und bequem. Ja, eben genau so wie das Brausen des Geistes an Pfingsten, wie die Feuerflämmchen, die sich auf die Köpfe setzen, wie die Wirkung dieses Geistes, der die Jünger machtvoll ergreift, erfüllt und zum Predigen treibt. Auf solch einen Geist warten wir heute ... aber wir warten vergeblich! Darum finde ich die Pfingstgeschichte weniger geeignet für uns. - Da wissen es die Worte des Paulus doch besser und sagen es deutlicher: "Wir haben ... empfangen den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist." Wir haben alle schon diesen Heiligen Geist! Jedenfalls soviel davon, dass wir von uns aus mithelfen können, dass seine Macht sich unter uns durchsetzt! Und weiter heißt es: "Wir deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen!" Wir sind also schon geistliche Menschen, jedenfalls soweit, dass wir von Gottes Sache genug verstehen, um uns für oder gegen ihn zu entscheiden. Und am Schluss: "Wir aber haben Christi Sinn." Wir sind doch gar nicht so unbeleckt von Jesu gutem Geist! Uns allen hat Gott die Werke Christi vorgelegt, dass wir sie prüfen und beurteilen. Wir alle wissen, dass dieser Herr für unsere Schuld ans Kreuz gegangen ist und dass wir uns im Leben und Sterben allein darauf verlas- sen sollen. Wissen wir da nicht genug? Ist also nicht ausreichend Heiliger Geist in uns? - Nein und Ja! Nein, wenn wir jetzt träge alles dem Geist Gottes überlassen wollen. Ja, wenn wir mit ihm zusammenarbeiten, uns ihm öffnen und ihn unterstützen. Gebraust und gezüngelt mag es vor 2000 Jahren haben, als der Geist Gottes zum ersten Mal unter die Menschen gefahren ist. Damals mag seine Macht - von außen - nach Herzen und Zungen der Jünger gegriffen haben. Am ersten Pfingsttag hat sich dieser Geist der Gedanken und der Hände bemächtigt. - Heute geht es darum, dass der Geist, der längst in uns und unter uns ist, wirkt und sich entfaltet: Wir sind geistliche Men- schen, wir wollen es auch immer mehr werden! Wir haben Christi Sinn - lasst uns so reden und handeln, dass es die anderen Menschen merken! Kinder haben in der Schule vor ein paar Tagen mit ihrem Religionslehrer über Pfingsten gesprochen. Ein Kind aus der vierten Klasse hat gefragt: Wie spürt man den Heiligen Geist denn heute? Der Lehrer hat ohne zu zögern geantwortet: Der Heilige Geist Gottes ist da, wo Menschen sich lieb haben, einander helfen und Gutes tun. Die Kinder und ihr Lehrer sind dann alle zusammen auf die Suche gegangen, was Gottes Geist denn so alles fertig bringt, wenn die Menschen ihn nur wirken lassen. Es war erstaunlich, auf was die Kinder alles gekommen sind. Wenn ich es ihnen jetzt weitersage, dann will ich die Sprache der Kinder nicht verbessern oder zur Erwachsenensprache verbiegen. So haben sie's gesagt: "Gottes Geist macht, dass ich die Mama drücken kann - auch wenn ich mich eben noch über sie geärgert habe! Gottes Geist sagt mir, dass ich zu meinem kranken Opa ins Krankenhaus gehen soll; der freut sich immer so, wenn ich komme. Gottes Geist sagt mir, dass ich dem Bettler einen Euro in den Hut werfen soll. Gottes Geist war's vielleicht gewesen, der mir meine Freundin ins Haus geschickt hat, gerade als ich gestern so sehr traurig war. Gottes Geist möchte, dass keiner einsam ist. Gottes Geist ist prima! Der macht alles!" Soweit die Kinder aus der vierten Klasse. "Alles" macht Gottes Geist sicher nicht, aber das haben die Kinder auch nicht so gemeint. Die Äußerungen zeigen vielmehr schön, wer etwas machen kann und soll: Wir! Die Mama drücken, zum Opa ins Krankenhaus gehen, einen Euro in den Hut werfen, trösten, bei dem sein, der einsam ist ... Ich finde, die Kinder haben Pfingsten begriffen! Ihnen muss man nichts mehr erklären, was sie nicht schon wüssten: Gottes Geist ist da, er ist in mir, ich kann mit ihm arbeiten, ihn anwenden, mit seiner Kraft rechnen ... aber ich muss auch von ihm Gebrauch machen, auf seine Hilfe vertrauen. Ich muss mit ihm etwas tun - sonst bleibt er sozusagen ein totes Kapital. Wir haben empfangen den Geist aus Gott! Wir sind geistliche Menschen! Wir haben Christi Sinn! Gewiss erwarten wir Erwachsene noch andere Antworten auf die Frage: Was Gottes Geist heute unter uns fertig bringen kann? Vielleicht solche: Gottes Geist lässt mich noch heute Nachmittag zu meinem Nachbarn gehen und endlich mit ihm Frieden machen! Gottes Geist gibt mir die gute Idee ein, meinem Ehepartner morgen einmal - außer der Reihe! - eine Freude zu schenken oder ihm einmal wieder zu sagen: Du ich hab' dich immer noch lieb! Gottes Geist wird mich demnächst an meinen alten Kollegen erinnern, den ich endlich einmal besuchen wollte. Gottes Geist wird mich heute Abend die Hände falten lassen und ich werde für einen Mitmenschen beten, der krank oder in Not ist. Gottes Geist schickt mich zu dem alten Mann in meiner Straße, der schon so lange nieman- den hat, der ihm einmal zuhört. Gottes Geist macht ... Vielleicht möchten sie hier in Gedanken einmal einsetzen, was er bei ihnen und durch sie machen wird ... vielleicht heute ... oder morgen ... (Pause) Liebe Gemeinde, es wird auch an diesem Pfingstfest 2006 nichts brausen oder wie ein Sturmwind daherfahren. Auf das Züngeln der Feuerflämmchen warten wir umsonst. Der Heilige Geist Gottes ist in uns: Wir haben empfangen den Geist aus Gott! Wir sind geistliche Menschen! Wir haben Christi Sinn! - Lassen wir's unsere Mitmenschen spüren!