Predigt zum Sonntag „Jubilate“ - 7.5.2006 Textlesung: 2. Kor. 4, 16 - 18 Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig. Liebe Gemeinde! Sicher bin ich da nicht allein: Ich habe mir schon oft Gedanken darüber gemacht, wie das denn einmal in Gottes neuer Welt, in der Ewigkeit sein wird. Nun weiß ich ja, dass wir darüber nichts wissen und auch nichts wissen können (- und sollen!?). Und doch sind Menschen immer wieder in der Philosophie und Religion einen Weg gegangen, sich dem, wie es einmal werden soll, mit ihrem Verstand wenigstens zu nähern. Auch Paulus geht in seinen Worten, die uns heute zu bedenken vorgelegt sind, diesen Weg. Er fragt, wie ist das hier in dieser Welt und schließt dann darauf, wie es also in der Ewigkeit sein wird. Wissenschaftlich ist das nicht. Aber es tut sehr gut, einmal so zu denken und dem gläubigen Menschen kann es helfen, schon hier und heute ein wenig über dieses Leben und diese Welt hinauszukommen. Aber gehen wir doch einfach einmal mit Paulus diesen Weg, einen Schritt nach dem anderen. Wir merken dabei schnell, es ist immer wieder die selbe Methode, nach der er diese Schritte setzt: Erst fragt er, was ist hier und heute - dann stellt er fest: Also werden wir es drüben ganz anders, ja, vielleicht genau gegenteilig antreffen. Aber machen wir jetzt diese Schritte mit Paulus wirklich ganz praktisch: Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. In diesem Leben zwischen Geburt und Tod kennen wir die Müdigkeit. Wenn wir erst in Gottes Nähe sind, wird es die nicht mehr geben. Hier kennen wir den körperlichen Verfall, dort wird unser neues Wesen, unser „himmlischer Leib“ in Ewigkeit nicht altern und nicht vergehen. Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit ... Wie es in unserer Welt die Trübsal gibt, das Leid, die Sorgen, so wird es in Gottes Reich Freude, geben, Wonne, Heil und ein erlöstes, von Schmerz und Leid befreites Leben. Und wie wir hier die Zeit kennen, die abläuft und sich verändert, so wird es bei Gott die Ewigkeit geben, die keine Ver- gangenheit und keine Zukunft mehr kennt - nur Gegenwart, immer währende Seligkeit, einen Zustand, von dem wir hier nicht einmal träumen können. Und was ist, hat auch mit dem zu tun, was sein wird: Unsere Trübsal hier schafft die Herrlichkeit der ewigen Heimat. Fast drängen sich uns dabei ja Gedanken auf, die uns als evangelische Christen doch sehr fremd sind: als verdienten wir uns mit dem Ertragen von Leiden und Trübsal die ewige Freude! Ist das so? - Bevor wir hier eine Antwort suchen, wollen wir den Weg dieser Verse noch zu Ende gehen, denn seinen kühnsten Schritt macht Paulus am Schluss dieser Worte: ... wir sehen nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig. Wir beachten nicht, was heute vor Augen ist, sondern „schauen“ hinüber auf das, was wir noch gar nicht sehen können. Wir lassen uns von Kummer und Sorge nicht schrecken, wir blicken weg von unserem körperlichen Verfall, wir werden daher nicht müde und lassen uns von allem, was mit der Zeitlichkeit dieser Welt zu tun hat, nicht von der Schönheit des kommenden Gottesreichs ablenken. Denn nichts Zeitliches bleibt ja und alles Sichtbare ist zeitlich und muss vergehen. Alles Un- sichtbare dagegen ist ewig und darum das Eigentliche, das Wertvolle, das, worauf all unser Streben gerichtet sein soll. Liebe Gemeinde, wenn das wirklich so ist oder so sein soll, dann kann wohl niemand von uns be- stehen, oder anders gesagt, dann ist niemand in der Lage, diesen Weg mit Paulus zu gehen. Denn das müssen wir doch bekennen: Wir hängen oft sehr an den unsichtbaren Dingen. Und wir sind sehr vertraut, ja, verwoben mit dem, was doch nur zeitlich ist. Der körperliche Verfall hier beschäftigt uns durchaus und die Müdigkeit angesichts der Trübsal und des Dunkels dieser Welt lässt sich nicht durch den Blick nach drüben vertreiben. Was machen wir also mit den Worten des Paulus? Sind sie reine Phantasterei? Tun wir sie als unrealistisch und völlig überzogen ab? Oder werden sie auf irgend eine Weise vielleicht doch für unser Leben fruchtbar? Die Verse, die uns für heute zur Betrachtung aufgegeben sind, stehen in einem großen Zusammen- hang, der vom Leiden an dieser Welt und von der Sehnsucht der Menschen nach Erlösung in einem anderen, ewigen Leben spricht. Es sind also Trostworte, die Paulus hier sagen will. Bevor wir nun vielleicht denken, es handele sich um billigen Trost, schauen wir erst einmal hin, wie das heute bei uns ist, wenn wir Trost und Beistand brauchen. Denken wir einmal daran, wenn ein sehr lieber Mensch gegangen ist und wir an einem Grab ste- hen? - Dann sind wir empfänglich für Worte wie: „Wir werden uns wiedersehen.“ - „Es geht un- serem Verstorbenen, der zuletzt so viel auferlegt bekommen hat, jetzt besser.“ - „Sie ist jetzt bei Gott und darf sich seiner Nähe freuen!“ - Aber dürfen wir, die doch nichts von drüben wissen, kön- nen wir so reden? Sprechen wir von den Gefühlen, die uns beschleichen, wenn wir an die Zukunft denken - die un- serer Gesellschaft und unsere eigene: Die Angst, wie sie an der Schwelle des Alters nach uns greift, wie lange wir uns wohl noch allein, ohne fremde Hilfe, werden versorgen können? Die Resigna- tion, die Menschen nicht mehr loslässt, die über 40-jährig ihren Arbeitsplatz verlieren. Wie soll das denn weitergehen und ob man überhaupt noch einmal einen Job bekommt? Die Verzweiflung schon ganz junger Leute, wenn ihr soziales Engagement für störend und ihre Träume von einer besseren Welt für lächerlich gehalten werden. Wie sollen sie denn je noch die Begeisterung und den Mut finden, sich für die Mitmenschen und die Gesellschaft einzusetzen? - Wie gut tun uns in solchen Situationen solche Worte: Es wird einmal eine andere Welt kommen, nicht von Menschen gemacht. Da gibt es keinen Krieg, keinen Schmerz, kein Leid und keine Krankheit mehr. Gott selbst wird bei uns wohnen. Alle Tränen werden abgewischt und alle Not, Behinderung und selbst der Tod wird nicht mehr sein. - Noch einmal: Dürfen wir eigentlich so reden? Ist es nicht anmaßend, davon zu sprechen, was keinem Menschen offenbar ist? Liebe Gemeinde, die Bibel spricht immer wieder so. Paulus spricht heute zu uns so. Wir dürfen auch so sprechen. Warum? Weil solche Worte aus Glauben kommen und zum Glauben reden. Ein Mensch, der von Jesu Leben und Sterben für uns weiß und an seine Auferstehung am 3. Tag glaubt, der darf davon auch anderen weitersagen - auch wenn er das nicht beweisen kann, wie ein Wissenschaftler ein physikalisches Gesetz. Und ein Mensch, der einen anderen Menschen trösten will, der darf, so wie Paulus es tut, von dem, was hier und heute ist, darauf schließen, was einmal in Gottes Nähe sein wird - auch wenn er dafür noch keine Anschauung hat. Wir selbst dürfen uns vor unseren inneren Augen Bilder von Gottes neuer Welt malen, auch wenn diese Bilder ihre Farben von unserer Sehnsucht und ihre Konturen von unseren Wünschen beziehen. - Die Bibel erlaubt uns das. Ja, die Heilige Schrift malt diese Bilder selbst auf bald jeder ihrer fast Tausend Seiten. Was wir von der neuen Welt Gottes mit unseren Augen noch nicht sehen können, was unser Ver- stand noch nicht begreifen und menschliche Wissenschaft noch nicht belegen kann, ist darum nicht weniger wahr als so manches andere, das wir nicht beweisen können und an dem wir doch nicht zweifeln: Die Liebe zum Beispiel, die Liebe Gottes und die zwischen uns Menschen. Keine Ver- nunft kann mir sagen, dass es sie gibt. Mein Herz aber weiß es. Oder die lauteren Gedanken eines Mitmenschen. Kann ich die sehen? Trotzdem bin ich bereit, mich darauf zu verlassen, dass er es gut meint. Und die Treue und die Verlässlichkeit sind zwei weitere Dinge, für die es zunächst keine Si- cherheit gibt, auf die wir aber dennoch immer wieder unser gegenseitiges Vertrauen setzen. Nicht anders ist es mit dem Glauben. Der Glaube bedient sich der Worte und Bilder, für die er ei- gentlich keinen Beleg hat. Er bezieht sein „Wissen“ über Dinge, von denen er noch nichts wissen kann, aus dieser Welt: Ihre Unvollkommenheit zeigt die Vollkommenheit der Gotteswelt. Die Trübsal hier „schafft“ in unserer Seele schon heute die Herrlichkeit dort. Was hier nicht sichtbar ist, werden wir dann sehen. Unsere zeitliche Beschränkung weicht einmal der ewigen Freiheit. - So entsteht Mut und Trost. So bekommt unsere Sehnsucht einen Vorgeschmack der Erlösung und der Freude in Gottes neuer Welt. So können wir im Glauben und der Hoffnung dieses Leben und diese Welt bestehen und überwinden: Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.