Predigt zum Sonntag "Judika" - 2.4.2006 Textlesung: 4. Mose 21, 4 - 9 Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, daß wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise. Da sandte der HERR feurige Schlan- gen unter das Volk; die bissen das Volk, daß viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, daß wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, daß er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer ge- bissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biß, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben. Liebe Gemeinde! Als ich das Predigen gelernt habe, hat man uns eingeschärft: Ein alttestamentlicher Text muss im- mer allein vor dem Hintergrund des Alten Testaments ausgelegt werden. Wenn einer also etwa bei einem Stück aus den Mosebüchern auf Jesus Christus zu sprechen kam, dann hieß es: Er habe seiner Predigt völlig ungerechtfertigt und geradezu unerlaubt ein "christologisches Schwänzchen" angehängt. Am Anfang habe ich mich auch meist strikt daran gehalten. Aber heute denke ich darüber doch ein bisschen anders. Und ich glaube, sie, liebe Gemeinde, auch! Wir haben alle schließlich unseren "Christen"-glauben nicht am Alten Testament gewonnen! Und wir können gar nicht anders, als solche Geschichten - wie die heutige - als Christinnen und Christen zu hören. Ja, wir müssten es geradezu so sagen: Zwar spricht im Alten Testament derselbe Gott, der uns auch in Jesus Christus begegnet. Aber der Vater Jesu hat doch für uns noch ganz andere Eigen- schaften, die der Gott Moses noch nicht hatte, oder besser: die wir im alten Testament noch nicht entdecken können. Diese Gedanken jedenfalls haben mich heute ermutigt, die Geschichte von der "Ehernen Schlange" neutestamentlich zu lesen, ja, mehr noch: Ich will sie jetzt einmal für uns heute erzählen und dabei ganz in christliches Gedanken- und Glaubensgut kleiden. Ich will alles Zeitbedingte, alles, was an ihr alttestamentlich ist, aus der Geschichte heraus nehmen. Sie werden dann wahrscheinlich kaum noch etwas, was nunmal äußerlich ist, an dieser Erzählung wiedererkennen, aber vielleicht fängt so ihr Geist und ihre Botschaft mit uns zu sprechen an. So könnte sich das anhören: Die meisten Menschen unserer Tage sind in einem sehr eigennützigen Leben unterwegs. Sie sind versessen darauf, es zu etwas zu bringen, Karriere zu machen und viel Geld und Einfluss zu gewin- nen. Dabei wollen sie alles vermeiden, was schwierig oder leidvoll sein könnte. Rücksichtslos ge- hen sie ihren Weg, müssen allerdings manchmal große Umwege machen und haben schnell kein Ziel mehr vor Augen, für das es sich wirklich zu leben lohnt. Oft sind die Menschen dann auf dem Weg unzufrieden, weil alles nicht so gelingt, wie sie gedacht haben, weil es nicht mehr so recht vorwärts geht, weil die Langeweile in ihr Leben einzieht und sie gar nicht mehr wissen, wofür sie eigentlich da sind. Dann suchen sie Schuldige für diesen Zustand. Meist sind das ihre liebsten Menschen, ihre Familie, Freunde oder Arbeitskollegen. Wenn sie überhaupt noch einmal darüber reden, wie sie sich dann fühlen, klagen sie und nörgeln und oft machen sie ihren Mitmenschen auch Vorwürfe, als könnten die etwas dafür, wie es ihnen geht und dass sie keine rechte Freude und keinen Inhalt mehr im Leben haben. Den Eltern gegenüber klingt das vielleicht so: Warum habt ihr mich nur diese Lehre machen lassen. Und in dieser Firma anzufangen, war auch verkehrt. Wenn ihr mir doch damals nicht zugeraten hättet! Und der Ehepartner hört vielleicht so etwas: Wir hät- ten nie heiraten dürfen. Über unserer Ehe stand und steht kein guter Stern. Und selbst der beste Freund oder die beste Freundin kommt nicht gut weg: Mir ist alles zu eng geworden. Am liebsten möchte ich weggehen, auswandern vielleicht - um euch alle nicht mehr sehen zu müssen. Da fallen die Menschen dann auch in Schuld. Denn es ist nicht richtig, die anderen dafür verant- wortlich zu machen, wie es einem selbst geht - nur weil man falsche Ziele hatte und sein eigenes Leben falsch angefangen hat und ohne an Gott und die Mitmenschen zu denken. Manchmal aber empfinden diese Menschen selbst ihre Schuld. Vielleicht vertrauen sie sich dann einem anderen Menschen an oder sie beten zu Gott und bekennen ihm alles, was in ihrem Leben böse, falsch und lieblos gewesen ist. Und sie fragen dabei den anderen Menschen oder Gott wie sie aus ihrer Schuld herauskommen und neu anfangen können. Und wenn der Mensch, dem sie sich geöffnet haben, ein Christ ist, dann wird er ihnen das sagen, was Gott uns allen gesagt hat, wenn wir die Taten und die falsche Richtung unseres Lebens bereuen: Bring deine Schuld Jesus Chris- tus! Sag ihm, dass sie dir leid ist und bitte ihn, dass er dich frei macht und alles, was dich quält von deinen Schultern nimmt. So kannst du neu beginnen. So findest du ein Leben, in dem Sinn und Fülle und Freude ist und eine Zukunft. Liebe Gemeinde, nicht wahr, es ist so, wie ich vorher schon gesagt habe: In diesen Worten hat wenig an die alte Geschichte von der "Ehernen Schlange" erinnert. Aber vielleicht haben sie doch gespürt, dass uns so etwas Wichtiges, Heilsames aus ihr erreicht hat. Denn mehr oder weniger war das auch unser Leben, von dem ich erzählt habe. So oder so ähnlich war es bei uns auch schon - und ist es vielleicht noch. Gewiss kann es auch sein, dass unser Leben von Anfang an näher an der Hand Gottes gewesen ist und wir den Kontakt zu ihm nie verloren haben. Dann dürfen wir ihm sehr dankbar sein. Vielleicht aber haben sie persönlich ja auch aus meiner Geschichte entnommen, dass es da doch auch die "anderen" gibt, die Menschen, denen sich die Schuldigen, Reuigen und Unzufriedenen an- vertrauen möchten. Wenn wir uns - Gott sei Dank! - nicht als diese erkennen können, dann vielleicht als die anderen, deren Ohr, deren Herz und Hilfe sie suchen. Ist es doch schon schwierig genug, in einem verfehlten Leben zu der ehrlichen Erkenntnis zu gelangen, dass man auf dem fal- schen Weg ist, so ist es oft noch viel schwieriger, dass einem dann ein anderer Mensch hilft und zurechtbringt. So höre ich zwei wichtige Botschaften - schon aus der alten Geschichte - aber viel mehr noch aus der, wie ich sie ihnen in unsere Zeit übertragen habe: Es gibt in jedem Leben, so verfehlt, so weit von Gott entfernt es auch sein mag, die Möglichkeit, alles abzugeben, was uns belastet. Wie die Menschen aus dem Volk Moses zur "Ehernen Schlange" aufgeblickt haben, so sollen wir auf das Kreuz Jesu schauen. An diesem Kreuz hängt der Retter, der uns von allem erlösen kann, was bis heute nicht so war, wie es sein soll und wie wir selbst es doch auch ersehnen. Und an diesem Kreuz Jesu hängt auch unser Schuldschein. Dort werden wir frei, dürfen aufatmen und fröhlich unserer Wege ziehen. Es werden gute Wege sein und wir behütet durch unseren Herrn. Aber auch das lese ich aus der Geschichte aus der Mosezeit und der von heute heraus: Es muss auch die Menschen geben, die uns weiterhelfen, vielleicht auch einmal eine Zeit mit uns gehen. Es muss sie geben, die uns auf Jesus Christus hinweisen und uns Mut machen, zu ihm aufzublicken und uns ihm zu offenbaren. Denn ganz von allein gelingt das einem Menschen nicht. Und dafür hat Gott uns ja auch die Gemeinschaft und besonders die Gemeinde gegeben! Und vielleicht war das ja auch einmal bei uns so, dass ein anderer uns auf der ersten Wegstrecke auf Gott hin begleitet hat? Vielleicht also sind wir hier gemeint und angesprochen, dass wir uns denen zuwenden, die doch ganz deutliche Signale aussenden: Ich brauche Hilfe. Wer weiß einen Weg für mich? Ich komme nicht mehr zurecht. Wer hört mir zu? Wer geht ein paar Schritte mit mir? Da sind wir gefordert. Denn wir kennen doch den Herrn, der das Leben neu machen und Sinn und Richtung hinein geben kann! Fassen wir uns ein Herz! Wenden wir uns denen zu, die nicht mehr allein zurecht kommen. Zeigen wir denen, die mit ihrem Leben hoch hinaus wollten und so tief ge- fallen sind, wofür man wirklich leben kann und worin Halt und Verheißung liegt. Der Herr, unser Gott, segne uns auf der einen wie der anderen Seite. Er schenke uns Mut, zu Jesus Christus zu gehen und zu seinem Kreuz aufzuschauen. Er schenke uns Liebe und den festen Glauben, die Menschen zu Jesus zu führen, die ihn brauchen, um in ihrem Leben nicht zu scheitern.