Predigt zum Sonntag "Estomihi" - 26.2.2006 Textlesung: Amos 5, 21 - 24 Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Liebe Gemeinde! Das geht ihnen sicher nicht anders als mir: Immer wieder machen wir in der christlichen Gemeinde doch Erfahrungen, die wir nicht mit dem reimen können, was ein Christ denkt, wie er redet, wie er lebt und handelt. - Wie ich jetzt darauf komme? Nun, ich habe den Propheten so verstanden, dass er eben nicht nur den Menschen vor über 2 ½ Tausend Jahren, sondern auch uns das sagen will - und von Gott her ausrichten soll: Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Mir kam dazu die Art vieler Menschen in den Sinn, die sich Christen nennen, Gott immer wieder abspeisen zu wollen mit ihren guten Taten oder einem Gottesdienstbesuch zu bestimmten Zeiten. Sicher fällt da auch ihnen der Heilige Abend ein, den sich doch viele Menschen als Beweis ihrer Kirchlichkeit anrechnen - selbst wenn sie eigentlich nur in die Kirche gekommen sind, weil ihre Tochter oder das Enkelkind beim Krippenspiel mitgemacht hat. Oder wir denken an das Erntedank- fest, wenn einmal eine wirklich gute Kollekte für "Brot für die Welt" zusammenkommt. Und noch manche andere Anlässe gibt es, zu denen die Christenmenschen nur erscheinen, weil sie meinen, sie müssten ihre Verbundenheit mit der Gemeinde und mit Gott wieder einmal öffentlich zeigen, oder weil es ihrem Gewissen einfach gut tut, nach langer Abwesenheit in der Kirche oder monatelanger Abstinenz von jeglichen religiösen Gedanken. Soweit lässt sich das ja hören. Uns betrifft das ja nicht. Es ist ja heute kein besonderer Gottesdienst, vielmehr ein ganz "normaler" so übers Jahr - und wir sind nicht daheim geblieben, sondern sitzen hier in unserer Kirche. Aber, liebe Gemeinde, der Prophet sagt nicht: Ich habe keinen Gefallen an den Opfern bestimmter anderer Leute. Er sagt: "Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Ver- sammlungen nicht riechen." - Wie gefällt uns das? Könnte der Prophet damit nicht doch uns meinen? Da gibt es bei manchen von uns diese Art, alles, was sie eigentlich nicht für ihre Nächsten tun müssten, in Gedanken in ihrem "christlichen Guthabenkonto" zu vermerken. Genau so, wie es ja Menschen geben soll, die sich an ihrem Geburtstag genau notieren, was ihnen dieser oder jener Gast mitgebracht hat, so machen andere (oder sind es die selben???) sich sozusagen Notizen darüber, was sie ihren Mitmenschen geschenkt oder Gutes getan haben. Man könnte sagen: Hier berechnen Menschen ihre Barmherzigkeit, ihre Güte und ihre Wohltaten an anderen. Und warum tun sie das? Ich kann es mir nur so erklären, dass sie damit umgekehrt dann die Erwartungen be- gründen, die sie haben - aber sie tun das nicht nur den Menschen, nein, auch Gott gegenüber. Bevor sich jetzt nur einige von uns betroffen fühlen, andere dagegen meinen, vor dem Hintergrund dieser Prophetenworte gut weggekommen zu sein ... Ich glaube, das trifft mehr oder weniger uns alle - ja, auch mich: Gott spricht: "Ich habe kein Gefallen ... an euren Versammlungen ... und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen." Viel zu sehr sind wir alle verstrickt in ein Denken und oft genug auch ein Reden und Handeln, das aus Gottes weiter Liebe zu uns eine enge, freudlose Angelegenheit, ja, eine fast geschäftliche Beziehung machen will. Beispiele dafür könnten leicht viele Seiten füllen. Ich gebe hier einmal nur ein paar dazu: - Wie hat neulich die Frau bei sich selbst gedacht, als sie den Befund des Arztes bekommen hatte und die Operation anberaumt wurde: Da bemühe ich mich doch wirklich um ein gutes, christliches Leben und jetzt schickt Gott mir das!? Und ihr Mann hat es sogar ausgesprochen: "Siehst du jetzt, dass dir all deine christliche Nächstenliebe und dass du bald jeden Sonntag in die Kirche rennst, ei- gentlich nichts bringen!?" - Und wie hat der junge Mensch vor der Prüfung gebetet: "Gott, wenn du mir heute hilfst, dass ich bestehe, dann will ich mein Leben ändern und an dich glauben." - Wie oft sagen wir "Gott sei Dank" und meinen damit doch eigentlich: Wie gut habe ich das doch wieder hinbekommen!? Wie wenig sind unsere Gebete überhaupt von Dankbarkeit bestimmt und wie viel Raum geben wir der Klage und der Bitte. Wieviel Zeit haben wir in unserem Alltag für die Gedanken an Gott? Welche Rolle weisen wir ihm zu, wo lassen wir ihn wirklich den Herrn sein und nicht nur die Verzierung unserer Sonntage? Gewiss, unsere Zeit macht es uns leicht, Gott in den Hintergrund zu schieben: In den Medien ist kein Platz für christliche Werte und entsprechendes Handeln. Da geht es um Auflage und Ein- schaltquote. Und Sensationelles interessiert auch uns ehrlicherweise stärker als Erbauliches. In der Politik erwarten wir eigentlich schon gar nicht mehr, dass es bei Reformen und anderen zu- kunftsträchtigen Entscheidungen im Sinne christlicher Gerechtigkeit oder gar der Nächstenliebe zugeht. Und ein christlicher Bundespräsident (wie Johannes Rau einer war) erfährt auch erst nach seinem Tod die Anerkennung seiner Orientierung an Maßstäben des Glaubens an Jesus Christus. Zu Lebzeiten hat man gern über ihn gespottet und seine Witzchen gemacht. Und wenn wir noch in die Familien schauen, auch unsere Familien, dann müssen wir meist beken- nen, dass nur noch die kirchlichen Feste so eine Ahnung davon in unser Leben hineinbringen, dass wir im christlichen Abendland und in einem Staat mit christlichen Grundwerten zuhause sind. Gott spricht: "Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen." Liebe Gemeinde, ich verstehe diese Worte Gottes. Und ich kann sie als Worte an uns begreifen. Da ist wirklich Einiges nicht mehr in Ordnung, wo wir Christen für unseren Gott nur noch einen Herrgottswinkel eingerichtet haben: In der Medienlandschaft das "Wort zum Sonntag". In der Politik die Rede zum Volkstrauertag. Und in unserer Familie den Gottesdienst hin und wieder und das persönliche Gebet am Abend - weil der Glaube ja doch als Privatsache gilt. Gott aber will etwas anderes von uns: Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Gottes Recht, sein Wille, sein Gebot sollen unser Leben bestimmen. Seine Gerechtigkeit, was er für uns tut, seine Gaben und der Dank an ihn sollen Mitte unserer Ge- danken und der Hintergrund unseres Redens und Tuns sein. Und eben nicht nur hie und da einmal, am Sonntag oder in der Minute vor dem Einschlafen: Wie ein "nie versiegender Bach" ist Gottes Liebe und seine Taten an uns. Genau so sollen auch unsere Freude und unsere Dankbarkeit sein. Eben so, wie es Menschen zukommt, die sozusagen an diesem immer strömenden Bach der Güte Gottes wohnen. - Wir haben da - wohl aus Gewohnheit - unsere Vorbehalte: Wer kann denn das? Immer und überall an Gott denken. Über seine Gnade, über Jesus Christus, über Schuld, Vergebung und über die Auferstehung nachsinnen. Das hört sich für uns gleich nach einem Leben an, wie es Mönche und Nonnen führen. Die stehen ja schließlich auch nicht so drin im "normalen" Alltag. Die können sich das leisten. Liebe Gemeinde, wir fallen immer gern von einem Extrem ins andere. So können wir Veränderung, die uns eigentlich unangenehm ist, abwehren. Aber oft, das wissen wir, liegt die Wahrheit in der Mitte. Und wir können das sehr schön mit dem Bild, das der Prophet hier benutzt, beschreiben. In unserem Fall wäre die Wahrheit vielleicht eine Lebensweise, die über die bisherigen Besuche am nie versiegenden Bach, der an uns vorbeiströmt, hinaus, noch einige weitere Gänge an sein Ufer unternimmt. Holen wir uns doch vom lebendigen Wasser - vielleicht so, dass wir uns zusätzlich zu unserem täglichen Gebet eine stille Zeit am Morgen einrichten, in der wir einen Abschnitt in der Bibel lesen, die Losung zum Tag, und dann noch die Hände falten ... Sage niemand, er könne das nicht, er hätte die paar Minuten nicht. Alles ist möglich, wenn man es will. Oder wir gehen statt einmal im Monat künftig alle 14 Tage in unsere Kirche (- gern auch noch häufiger!). Und sprechen wir doch auch mehr über unseren Glauben! Mindestens vor unseren Lieben müsste und das doch gelingen. Unsere Kinder und Enkel brauchen die Wegweisung und den Halt und die Kraft, die vom "nie versiegenden Bach" Gottes ausgehen - in dieser Zeit mehr denn je! Zeigen wir ihnen den Weg zu seinem Ufer und geben wir ihnen Beispiel, dass auch wir uns dort mit dem Lebensnotwendigen versorgen.