Predigt zum 1. Christtag - 25.12.2005 Textlesung: 1. Jh. 3,1 - 6 Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, daß wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch! Darum kennt uns die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht. Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. (Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht. Und ihr wißt, daß er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen und nicht erkannt.) Liebe Gemeinde! Weihnachten ist das Fest des Kindes. Wir denken an Jesus, den Gottessohn in der Krippe und ha- ben keine Einwände. Weihnachten ist aber auch das Fest der Kinder. Dabei haben wir sicher unter- schiedliche Gedanken. Die einen verstehen es so: Viele Bräuche rings ums Christfest, vom Weihnachtsmann über den Lichterbaum und die vielen doch sehr kindlichen Weihnachtslieder bis hin zu den Geschenken, die es zum Fest gibt, sprechen besonders die Kleinen an, machen ihre Augen und Herzen weit und ihre Freude groß. Andere fühlen sich in diesen Tagen an ihre Kindheit erinnert und manchmal wird sie im Schimmer der Kerzen, wenn der Duft dieser Zeit die Weihnachtsstube erfüllt auch richtig lebendig und wir fühlen uns zurückversetzt in die Jahre, da wir noch Kinder waren. Wieder andere sprechen vom Fest der Kinder, weil sie solche Worte gehört und verstanden haben: Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, daß wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch! Über diesen Gedanken, ob er stimmt und was er bei uns auslöst, wollen wir heute nachdenken: Die Liebe Gottes macht uns zu Kindern? - Wie von selbst, wir können dem gar nicht entgehen, kommen uns Begriffe wie „kindlich“ oder sogar „kindisch“ in den Sinn. Wir sehen Bilder vor uns von kauzigen alten Leuten, die sich nicht so verhalten, wie es alten Menschen wohl ansteht. Vielleicht dass sie mit über 80 Jahren noch gerne spielen? Oder dass sie Kleidung tragen, die für sie „viel zu jung“ erscheint? Manchen von uns kommen jetzt eigene Erfahrungen vor Augen, wo wir selbst uns ganz unangemessen benommen haben, vielleicht als wir bei einem Abschied weinen mussten wie die Kinder oder als wir uns neulich an einem sonnigen Herbsttag so leicht und glücklich gefühlt haben, dass wir am liebsten unsere innere Freude hinausgeschrien hätten. Aber wir konnten uns das eben nicht erlauben. Wir sind doch erwachsen - dazu gehört ein gewisser Ernst und eine Besonnenheit, die zu starke Aus- brüche von Gefühl verbieten. Schließlich kommen wir bei unserem Nachdenken sicher nicht an einem sehr bekannten Wort Jesu vorbei - und das eröffnet noch einmal eine ganz andere Sicht auf die Frage, ob wir wirklich sein können wie die Kinder: Als einmal Mütter ihre Kleinen zu Jesus bringen wollen, dass er sie segnet, da werden sie von den Jüngern abgewiesen. Jesus aber hat gehört und gesehen, was da vorgeht - und er sagt: „Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn solchen gehört das Reich Gottes.“ (Mk. 10,14) Und dann fügt er noch hinzu, was ein für alle Mal die Liebe Gottes besonders zu den Kin- dern deutlich macht: „Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hinein- kommen.“ Aber was ist nun damit gemeint? Wie wird man wie ein Kind? Ich glaube, genau an diese Frage knüpfen die Worte an, die uns heute gesagt sind: Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, daß wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch! Liebe Gemeinde, wir sind Gottes Kinder! Es verlangt also keiner von uns, dass wir irgend etwas werden, dass wir uns gar verbiegen, um Menschen zu sein, die wir eigentlich gar nicht mehr sein können, weil wir zu ernst, zu erwachsen, zu alt wären. Wir sind Gottes Kinder! - und das ist an Weihnachten ganz besonders deutlich zu sehen, zu fühlen, zu erfahren ... Es fängt mit Gottes Weihnachtsgeschenk an uns an: Er selbst wird einer von uns. Er nimmt im Kind Jesus unsere arme Gestalt an, wird Mensch uns Menschen zugut. Und wir haben ihn doch nicht darum gebeten! Er tut das, weil er uns nahe sein will. Und schon gar nicht haben wir uns das verdient, dass sich Gott so tief herablässt. Kinder haben auch aus sich selbst nichts verdient! Gott kommt in unsere Welt, weil er uns retten möchte, weil er uns so lieb hat und uns mit dem Mann, der aus diesem Kind werden wird, das ewige Leben schenken will. Und schon als der Engel es den Hirten auf dem Feld verkündet, zeigt uns Gott, dass er uns als seine Kinder liebt: „Fürchtet euch nicht!“ Das ist das erste Wort des himmlischen Boten. Denn Kinder fürchten sich leicht. „Ich verkündige euch große Freude!“ Kinder freuen sich gar zu gern. „Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden ein Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ Nur Kinder begreifen dieses unglaubliche Wunder, dass Gott in die Welt kommt, klein und hilflos wie sie selbst. Liebe Gemeinde, es ist also nicht an uns gelegen, Kinder zu werden. Es hat auch weniger mit un- serer Art zu tun, mit unserem Wesen und ob das manchmal kindlich oder kindisch wirkt. Vor Gott sind wir Kinder. Er sieht uns so und - auch wenn sich das gewiss seltsam anhört - er behandelt uns wie die Kinder. Aber eben nicht, weil er uns geringschätzt und unmündig machen, sondern weil er uns unverdient beschenken will. Was heißt das nun aber für unser Leben: Dass wir Gottes Kinder sind? Was ändert sich da bei uns? Wir wollen das einmal ganz konkret fragen: Wenn wir heute hier gehört haben, dass wir Gottes Kinder sind und eben nicht erst werden müssen - was bedeutet das für unseren Alltag? Und noch einmal anders gefragt: Werden wir hier von diesem Gottesdienst anders nach Hause gehen, als wir vorhin gekommen sind? Lassen wir uns doch durch das Wunder der Weihnacht auf den richtigen Weg bringen: Gott wird Mensch! Ohne dass wir das verdient hätten durch unsere Frömmigkeit oder unseren häufigen Kirchgang, ohne dass unser Herkommen besser wäre als das irgend eines anderen Menschen und ohne einen Blick auf unsere guten Taten in der Vergangenheit oder unsere Freigebigkeit und Spendenbereitschaft für die Hungernden in der Welt oder die Opfer der Katastrophen des zuende gehenden Jahres ... Gott wird einer von uns, einer für uns. Wie wir unsere Kinder beschenken, so beschenkt uns Gott. Nicht um irgend etwas zu belohnen - aus reiner Liebe. Jetzt können wir aufhören, dort wo wir leben und arbeiten unsere Verdienste herauszustreichen oder der Anerkennung durch die Menschen nachzulaufen. Auch der Hinweis auf irgendwelche Fähigkeiten, die wir uns erworben hätten, verbietet sich vor dieser Einsicht: Wir haben alles, wirk- lich alles, was wir sind, können und besitzen von Gott. Seine Liebe hat uns alles geschenkt. Wir müssen jetzt auch nicht mehr betonen, dass wir „gläubige“ Christen wären oder besonders viel Zeit der Sache Gottes widmen - und mehr als manche andere. Selbst der Glaube an Gott ist ja eine Gabe, die wir uns nicht erwerben können. Und wenn Menschen glauben, dann ist es das Selbstver- ständlichste von der Welt, dass sie ihrem Vater im Himmel die Zeit einräumen und die Ehre geben, die ihm zusteht. Aber noch etwas ganz anderes wird uns von heute an begleiten, es ist der Geist der Kinder, die wis- sen, dass sie der Vater ganz besonders lieb hat. Aus diesem Geist wird viel Liebe entstehen, viel Freundlichkeit für die Menschen, gerade für jene, die nicht so begnadet sind wie wir. Und Mitleid wird aus diesem Geist wachsen, nicht dieses herablassende Mitgefühl, das andere klein macht, son- dern eines, das sie auch als Kinder Gottes erkennt und darum als Geschwister, die einen Anspruch auf unsere Hilfe haben. Und noch etwas wird dieser Geist der Kinder bei uns bewirken: Wir werden es den anderen „Kindern“ Gottes weitersagen, was da eigentlich an Weihnachten Wunderbares geschehen ist. Und wir werden sie so behandeln, wie es Menschen zusteht, die genau so geliebt, genau so wert geachtet und genau so von der Botschaft der Weihnacht gemeint sind wie wir. Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, daß wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch! ... Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar ge- worden, was wir sein werden. Liebe Gemeinde, ich wünsche es uns von Herzen, dass wir noch heute damit beginnen können, uns selbst so zu sehen und immer mehr zu werden, wie Gott uns schon ansieht: Als seine geliebten Kinder. Wer weiß, vielleicht geschieht es da auch immer wieder einmal - einfach so über Tag - dass wir eine so große Freude in unserem Inneren empfinden, dass wir ganz unverhofft lachen müssen oder unserem übervollen Herzen auf andere Weise ganz unangemessenen Ausdruck geben! Aber warum auch nicht? Kinder tun so etwas und es ist nicht kindisch, sondern den glücklichen Kindern eines guten Vaters angemessen.