Predigt zum Buß- und Bettag - 16.11.2005 Textlesung: Mt. 12, 33 - 37 Nehmt an, ein Baum ist gut, so wird auch seine Frucht gut sein; oder nehmt an, ein Baum ist faul, so wird auch seine Frucht faul sein. Denn an der Frucht erkennt man den Baum. Ihr Schlangen- brut, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz. Ich sage euch aber, daß die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben. Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden. Liebe Gemeinde! Ist der Baum gut, so ist die Frucht gut. Ist der Baum faul, dann ist auch die Frucht faul. - Da haben wir nichts einzuwenden. Und auch wenn wir das auf die Menschen übertragen, scheint es auf den ersten Blick in Ordnung: Ein guter Mensch bringt Gutes hervor, ein böser Mensch Böses. Keine Frage! So ist es. Und schließlich hört sich auch das ganz plausibel an: Aus deinen Worten wirst du am Tag des Gerichts gerechtfertigt oder verdammt werden. - Ich möchte heute aber doch fragen, ob das denn alles stimmt und wie wir das denn verstehen sollen, wenn wir an das Evangelium von Je- sus Christus glauben! Denn das ist doch wohl Mitte und Kern unseres evangelischen Glaubens, dass es so, wie es ist, nicht bleiben muss: Die Vergebung unserer Schuld etwa, kann uns einen neuen Anfang schenken. Zu wissen, Gott liebt mich, kann Menschen so beglücken, dass sie ihr Leben ändern. Um im Bild des Gleichnis zu reden: Ein schlechter Baum kann eben doch auch wieder - oder zum ersten Mal - gute Früchte hervorbringen. Und wenn wir an die Geschichte vom unfruchtbaren Feigenbaum den- ken (Lk. 13,6-9), dann erfahren wir ja auch einen ganz anderen Jesus. Dort lässt er den Gärtner zum Eigentümer des Baumes sagen: "Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er doch noch Früchte; wenn nicht, dann lass ihn um- hauen." Es ist also auch für Jesus durchaus nicht ausgemacht, dass sich ein schlechter, unfruchtbarer Baum nicht noch als gut erweisen kann. Wenn wir also heute hören: "Ist der Baum gut, ist die Frucht gut. Ist der Baum faul, dann ist auch die Frucht faul", dann wollen wir das als ein Urteil Jesu über den augenblicklichen "Zustand des Baumes" verstehen. Oder wenn wir das auf die Menschen über- tragen: Wer heute gut ist, wird heute gut handeln. Wer böse ist, der kann heute nur böse Taten tun. Alles ist also daran gelegen, dass ein Baum gut gepflegt, gedüngt und veredelt wird. Und bei den Menschen können wir sagen: Sie sollen dazu gebracht werden, dass sie sich verändern, sich bessern und von falschen Wegen umkehren ... Und ich glaube, bei dem Wort "umkehren" sind auch wir jetzt an diesem Buß- und Bettag auf der richtigen Spur, denn "Buße" heißt ja nichts anderes als "Umkehr"! - Aber wie geht das mit der Veränderung und dem "Umkehren"? Bei einem Feigen- oder Apfelbaum ist das ja noch recht einfach: Ein Edelreis an der richtigen Stelle auf rechte Weise eingepfropft kann sogar aus einem "Wildling" noch einen guten, reiche Früchte tragenden Baum machen. Wie anders bei den Menschen! Sie sind frei, können dies oder das tun, sich hierhin oder dorthin bewegen. Bei ihnen können wir gar nichts "machen", wenn sie es selbst nicht wollen. Versagt hier also nicht der Vergleich aus der Natur? Ich finde, es ist nur der Wille, der erst einmal da sein muss ... Dann aber ist alles ähnlich: Auch der Mensch kann "gepflegt" werden und "veredelt". Und warum sollten wir bei einer fürsorglichen, lie- bevollen Behandlung nicht von so etwas wie "Dünger" sprechen, der den Herzens-"grund" ver- bessert und aus dem so betreuten Menschen die besten Eigenschaften hervorholt? Ich hätte keine Bedenken, solche Bilder auch bei uns zu verwenden. Es geht also um den Willen! Wie kann ich Menschen dahin führen, dass sie gut sein wollen, dass sie edle Früchte treiben und Liebe verschenken, wo sie früher nur Neid, Argwohn, Misstrauen oder Bosheit hervorgebracht haben. Und wir wollen uns hier nicht erheben und so tun, als sprächen wir nur über irgendwelche andere Menschen. Die Frage ist genau so: Wie wird in uns selbst der Wille zum Guten, zum Besseren geweckt? Was muss geschehen, dass wir uns auch selbst ändern, umke- hren wollen, nicht nur heute, aber eben vielleicht auch an diesem Buß- und Bettag? Liebe Gemeinde, vielleicht überrascht es sie, wenn ich jetzt von einer ziemlich neuen mediz- inischen Erkenntnis spreche. Aber das war für mich wie eine kleine Offenbarung, als ich neulich im Fernsehen etwas von einem Gerät gehört und gesehen habe, das sich "Lokomat" nennt. Dieser Ap- parat wird bei der Rehabilitation von Lähmungen der Beine eingesetzt und ist sozusagen eine Revo- lution in der Nachbehandlung von Unfallopfern mit Querschnittlähmungen. Ganz kurz gesagt: Der Lokomat wird an Ober- und Unterschenkel befestigt und bewegt die Beine des Patienten so, als würde er laufen. Immer wieder und wieder werden völlig gehunfähige Gliedmaßen bewegt, so lange bis im Kopf wie ein Echo dieser ständigen Bewegung wieder Hirnzellen und Nerven dazu gebracht werden, auf die Bewegung zu reagieren. Im Gehirn wird dabei also neu gelernt, die Beine selbst zu steuern. Wo man früher am Ende aller medizinischen Weisheit war, fängt man heute an: Die Beine werden bewegt, bis die Nerven und Hirnzellen es wieder gelernt haben, die Beine selbst zu kontrollieren, dass man wieder mit ihnen laufen kann. Und es funktioniert! Inzwischen werden mit Spezialapparaten auf dieselbe Weise auch die gelähmten Finger von Schlaganfallpatienten wieder dahin gebracht, dass sie greifen und festhalten können. Die Ergebnisse sind bei weitem noch nicht so, dass am Schluss der Behandlung wieder alles in Ordnung wäre und wie vor dem Unfall oder der Verletzung. Aber der Weg ist gezeigt und beschritten - und ich bin sicher, es ist die richtige Richtung und wir werden noch staunen, was alles möglich sein wird ... Genau so kann auch unser Wille zur Besserung angeregt werden. Ja, ich könnte die Aufgabe Jesu in dieser Welt so verstehen, wie ich es eben an diesem Beispiel aus der Medizin verdeutlichen wollte: Immer waren es seine Worte, sein Vorbild, seine Taten, die Menschen bewegt, angeregt und oft auch angestoßen haben. Denken wir an den kleinen Zöllner Zachäus: Dass Jesus sich ihm, dem von allen Verachteten zuwendet, hat ihn so begeistert, so erfreut, dass sein lange Zeit "gelähmter Wille" zum Guten angeregt wurde (Lk. 19,1-10). Die Hälfte seines Vermögens will er den Armen schen- ken und denen vierfach zurückerstatten, die er übers Ohr gehauen hat. Oder sehen wir, wie es den zahllosen Kranken mit Jesus ergangen ist: "Was willst du, das ich dir tun soll", fragt Jesus. "Herr, dass ich wieder gehen kann", sagt der Gelähmte! Und wieder Jesus: "Dir sind deine Sünden vergeben!" Und dann kann der Kranke wieder gehen und wir begreifen, dass auch Worte das Wollen eines Menschen beeinflussen und befreien können! Gewiss gibt es auch andere Fälle, da gelingt es weder Jesu Taten noch Worten, eine Veränderung der Menschen zu bewirken. Als Beispiele dafür werden uns in den Geschichten um unseren Herrn oft die Pharisäer und Sadduzäer vorgeführt (- obgleich darunter auch solche waren, die sich durch Jesus haben neu machen lassen!). Aber das war damals nicht anders als heute: Die Menschen sind unterschiedlich! Manche lassen sich bessern, andere sind uninteressiert und entziehen sich jeder gut gemeinten Mühe, auf sie Einfluss zu nehmen. Ich glaube nun, genau darum geht es eigentlich, wenn wir heute von den guten und schlechten Bäumen und Menschen hören, die gute oder schlechte Früchte treiben: Nicht dass ein Baum oder ein Mensch sein und bleiben muss, was er nun einmal ist, sollen wir begreifen, sondern diese Wahrheit: Wir können uns, wenn wir es nur wollen, zu den Menschen verändern und entwickeln, die Gott mit uns gemeint hat. Und die andere Seite heißt - und die wollen wir jetzt auch nicht ver- schweigen: Wir haben die Freiheit, auch nein zu sagen, wenn uns das Wort Jesu trifft und unser Herz und Leben bessern will. Die Bibel gebraucht dafür das Wort "Verstockung". Ich frage mich vor dem Hintergrund dieser Gedanken, warum wir uns denn verstocken sollten? Ist es nicht allemal ein besseres Leben, wenn wir uns bemühen, gute Früchte hervorzubringen? Dem Frieden zu dienen z.B. und zu teilen, wo wir selbst genug und andere zu wenig haben, uns mit den anderen über ihr Glück zu freuen, ihre Trauer mitzutragen, ihnen freundliche Worte zu gönnen, mit einem Wort: unsere Mitmenschen zu lieben. Liebe Gemeinde, dazu und zur Umkehr auf den Weg, auf dem er uns vorausgeht, wollte uns Jesus ermutigen. Dass wir solche Früchte treiben, dazu wollte er unseren Willen anspornen. Ob wir das an uns geschehen lassen oder weiter kleine, kärgliche und schlechte Frucht geben, ist auch unsere Entscheidung. Weil das so ist, heißt es am Ende der Verse, die wir heute bedacht haben: Ich sage euch aber, daß die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben. Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden. Auch wenn diese Gedanken ernst sind und uns nicht gefallen, wollen wir sie uns heute am Buß- und Bettag einmal sagen lassen. Halten wir fest: Umkehr ist möglich. So wie es heute vielleicht noch ist, muss es nicht bleiben. Bei dir und mir nicht und bei keinem Menschen, der Jesus Christus kennt.