Predigt zum Erntedankfest - 2.10.2005 Textlesung: Jes. 58, 7 - 12 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden läßt und den Elenden sät- tigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: "Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, daß man da wohnen könne". Liebe Gemeinde! Heute ist Erntedankfest - da denken wir gewiss zuerst an all das, was uns auf den Feldern der Bau- ern und vielleicht in unseren eigenen Gärten gewachsen ist. Die vielen guten Gaben Gottes, die un- ser Auge erfreuen, unseren Körper ernähren und unser Herz dankbar stimmen. Und so ist es auch gut. Nichts daran ist selbstverständlich, denn es häufen sich in den letzten Jahren die Naturkatastro- phen, die in einem Teil der Welt durch Überschwemmung, in einem anderen durch sengende Dürre die Ernten vernichten. Darum müssen und wollen wir wirklich dankbar sein, dass wir ernten dur- ften und keinen Mangel haben. Aber der Prophet Jesaja möchte im Auftrag Gottes die Menschen seiner und unsrer Zeit noch darüber hinaus bringen: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Ich glaube, es ist heute keiner unter uns, der es nicht auch sagen würde: Bloß dankbar zu sein, ist nicht genug! Dankbarkeit muss auch Folgen haben, sichtbar sein und im Teilen und Schenken er- fahrbar werden. Und besonders gegenüber denen, deren Ernte nicht so reich ausgefallen ist. Für dieses Teilen mit den Armen bei uns und in der Welt gibt es viele Möglichkeiten: Die einen haben schon lange ein Patenkind in Indien oder Pakistan, dessen Lebensunterhalt und Ausbildung sie sich einen monatlichen Betrag kosten lassen. Andere spenden regelmäßig für Brot für die Welt oder ein bestimmtes Projekt der Entwicklungshilfe dieser Organisation. Wieder andere werden heute - wenn sie am Sammelteller an der Kirchentür vorbeigehen - besonders tief in die Tasche greifen: Und es wird heute nicht klimpern, sondern rascheln. Darüber hinaus gibt es noch viele gute Gelegenheiten, die Geschenke Gottes nicht allein für sich zu behalten, sondern weiterzugeben an die Bedürftigen hier bei uns und in den Hunger- und Krisengebieten der Erde. - Und auch dabei ge- hen wir sicher mit: Das ziemt sich einfach, wenn man selbst so begnadet ist, so gut versorgt und mit allem, was uns nährt und erhält so reichlich ausgestattet, da kann, ja, da muss man doch einfach auch die teilhaben lassen, die zu wenig und oft gar nichts haben und ohne unsere Barmherzigkeit zu Elend und Hunger, Not und Tod verurteilt wären. Aber das Prophetenwort will noch mehr! Oder anders, treffender gesprochen: Gott will noch mehr von uns! Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest ... dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mit- tag. Hier werden Dinge zusammengebracht, die wir sonst immer gern fein säuberlich trennen: Was hat denn unsere gute Ernte damit zu tun, ob wir über andere schlecht reden? Oder damit, dass wir vielleicht Mitmenschen bedrücken und mit Fingern auf sie zeigen? Gut, das mag ja auch nicht schön sein und sich nicht mit Gottes Geboten vertragen. Aber damit, dass wir an Brot und allen Le- bensmitteln genug haben, damit sehen wir doch wohl keinen Zusammenhang. - Oder doch? Neulich sagte eine Frau zu ihrer Nachbarin: "Ich habe viele Jahre lang der Frau Meier, die neben uns wohnt, Sachen aus meinem Garten gebracht, weil die Meiers es doch nicht so dicke haben - und jetzt verbreitet die im ganzen Ort so schlimme Gerüchte über mich!" Und ein Mann hat sich neulich bei seinem Kollegen beschwert: "Dem Fritz habe ich damals, als der schon 9 Monate arbeitslos war, die Stelle in unserer Firma verschafft und jetzt - seit er Ab- teilungsleiter ist - meint er, dass ich nach seiner Pfeife tanzen muss." Und das können Kinder, wenn sie heranwachsen und selbständig werden, immer wieder einmal hören - vielleicht gar von uns?: "So lange du deine Füße unter meinen Tisch streckst, hast du zu tun, was ich von dir will!" Es scheint also doch wenigstens für uns und unter uns gar nicht so fremd, das, was wir an materiel- len Dingen geben, mit dem, was wir an Taten und Wohlverhalten erwarten, zu verrechnen. Soweit - was uns angeht. Liebe Gemeinde, warum sollte nun nicht auch Gott, der uns mit einer solchen Fülle guter Gaben überschüttet hat, von uns fordern dürfen, dass wir uns in unserem Herzen, unserem Denken und Handeln erkenntlich zeigen? - Gewiss, wir haben das verdrängt und wollen Gott nicht mit einem solchen "Verrechnen" und fast "geschäftlichen" Gebaren in Verbindung bringen: Gott soll der großzügige, uneigennützige Geber aller Gaben für uns bleiben. Es kann und darf nicht sein, dass er von uns irgend etwas zurückerhalten will. Er ist doch kein Mensch, der deshalb schenkt, weil er dann seinen Anspruch auf Gegenleistung geltend machen möchte. Liebe Gemeinde am Erntedankfest, alles das ist wahr: Gott ist kein Mensch; er ist großzügig und uneigennützig; er will nichts zurück und hat keine Ansprüche für sich ... Und er fordert doch und verlangt doch etwas von uns! - Wie sich das reimt? So: ... dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Für uns fordert Gott unsere Dank- barkeit! Dass wir glücklich sind und zufrieden, verlangt Gott von uns, dass wir teilen, weitergeben und wegschenken, was wir doch so reich von ihm empfangen. Uns noch reicher zu machen, will Gott, dass wir gerne, von Herzen und freiwillig etwas ärmer werden, um der anderen Menschen willen. - Nicht für sich! Nicht um unseren Dank zu genießen oder gar unser Schuldenkonto bei sich abzutragen. Was sollte denn Gott, der aus einem so großen Schatz unermesslich vieler Gaben austeilen kann, von uns zurückerwarten oder gar brauchen? Nein, es geht um uns: Dass wir aus Gottes Hand noch mehr Gaben, noch mehr Güte und noch mehr Freude sammeln können! Und es tut uns einfach gut, dankbar zu sein, uns selbst zu vergessen, zu geben, ohne zu fragen, was kriege ich dafür, zu verschenken, ohne den kleinsten Gedanken daran, ob wohl auch etwas davon zu uns zurückkehrt. Vielleicht haben wir - verhaftet in unserem menschlichen Denken - ja immer geglaubt, Gott be- lohne uns, wenn wir ihm Lob und Dank für seine guten Gaben zurückerstatten. Seine Führung, seine Kraft und dass er uns immer wieder satt macht wäre also sozusagen der nächste Handel in der Kette der Geschäfte: Gott gibt - wir danken - er belohnt unseren Dank ... - Es ist so ganz anders ... und wir haben es immer geahnt, gewusst ... und haben uns doch immer wieder so verhalten, als wäre Gott der Rechenmeister, der kleinliche Krämer und nicht der gütige Vater, nicht der mächtige Gebieter der Welt und aller Welten, nicht der reiche König, dessen Schatzkammer niemals leer wird und wenn er seinen Menschen noch tausend mal tausend Jahre gibt und immer nur gibt ... Nein, er braucht nichts von uns, der große, reiche Gott! Aber wir werden doch bekommen, noch reicher werden, wenn wir teilen und geben: Es ist wie mit der Liebe - sie macht uns nicht ärmer, wenn wir sie verschenken. Unser Herz wird nicht leer, wenn wir sie zu einem anderen Menschen fließen lassen. Sie kehrt schöner, reicher und voller zu uns zurück. - Auch die guten Gaben der Ernte kommen aus der Liebe und wir empfangen sie aus Liebe und sollen sie in Liebe weitergeben an die anderen Menschen. So schließt sich der Kreis. Und zu allem Überfluss sollen wir auch noch das Glück und die Erfüllung empfinden, die uns im Weiterschenken der Liebe Gottes zuteil wird: ... dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Was für ein großer, gütiger Gott! Was für eine wunderbare Sache: Zu teilen, wegzuschenken, ärmer zu werden - und am Ende doch noch reicher, zufriedener, glücklicher ...