Predigt zum 3. So. nach "Trinitatis" - 12.6.2005 Textlesung: Lk. 15, 1 - 7 (8-10) Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und ißt mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eins von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste läßt und geht dem ver- lorenen nach, bis er's findet? Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. Liebe Gemeinde! Nein, dieses Gleichnis ist nicht mehr zeitgemäß! Vielleicht kann es ja der eine oder die andere von uns noch verstehen, aber sicher nicht alle. Und ich sage ihnen auch, warum wir das nicht verstehen. Ich glaube, wir können uns das einfach nicht mehr vorstellen, dass heute noch ein Mensch um eines Schafs willen einen solchen Aufwand betreibt: Eine stundenlange Wüstenwanderung, Entbehrung, Durst und dann der mühevolle Heimweg ... mit einem Schaf auf der Schulter, was sicher auch nicht jedermanns Sache ist! Nein und nochmal nein, das macht niemand! Und vom wirtschaftlichen Standpunkt aus ist es zu begreifen, dass es niemand macht - oder besser umgekehrt: Es wäre falsch und wirtschaftlich dumm, wenn einer wegen eines Schafs einen solchen finanziellen Verlust riskierte: Denken wir nur an den eigenen Zeitausfall für die Suche - da sind schnell mehr Kosten zusammen, als so ein Schaf wert ist! Dann muss auch noch der Mensch bezahlt werden, der inzwischen auf die 99 Schafe aufpasst, und schließlich entgehen einem vielleicht gute Geschäfte während man fort ist, das Tier zu suchen. Und dann: Wer kann denn ausschließen, dass so ein vielleicht renitentes Schaf bei nächster Gelegenheit wieder davonläuft? Darum ist es vielleicht sogar besser, wenn man es jetzt los ist?! Und wenn wir die Geschichte jetzt noch in unsere Zeit übertragen und in unsere Geschäftswelt, in der Schafe ja eine eher geringe Rolle spielen, dann wird es noch deutlicher: Wer wird wegen eines Prozents seines Vermögens oder Gewinns einem doch reichlich sentimentalen inneren Antrieb fol- gen? Dass er vielleicht schlechte Aktien kauft, nur um mitzuhelfen, Arbeitsplätze zu erhalten oder dass er ein paar Monate lang auf Mietzahlungen für seine Wohnung verzichtet, nur weil die Mutter der Familie, die in der Wohnung lebt, gerade krank ist und teure Medikamente braucht. Wenn wir ehrlich sind, fällt es uns ja schon schwer, dass uns für unsere Zeit vergleichbare „Schwachheiten“ einfallen wie die, einem einzelnen Schaf nachzulaufen, um es heimzuholen. Denn es ist Schwachheit, so etwas zu tun. Es hat keinen Sinn, jedenfalls keinen, der vor dem gesunden Men- schenverstand und noch mehr vor dem Gesetz, dass alles seinen Preis hat und etwas „bringen“ muss, bestehen könnte. - Soweit zu diesem Gleichnis Jesu: Es ist nicht zeitgemäß und es passt nicht in unsere Welt, in der sich jeder Einsatz auszahlen und jede Investition Gewinn abwerfen muss. --- Wie wohl Jesus antworten würde, wenn wir ihn fragten, warum er solche weltfremden Geschichten erzählt? - Ich könnte mir denken, wir würden uns wundern! Vielleicht nämlich würde er uns dann so etwas sagen: Ich weiß wohl, dass mein Gleichnis „weltfremd“ ist! Darum habe ich es überhaupt vor die Ohren der Pharisäer und Schriftgelehrten gebracht! Denkt doch bloß nicht, das wäre damals anders gewesen als heute, dass alles, wofür Menschen Geld einsetzen und sich engagieren, einen angemessenen Ertrag erbringen muss! Gut, von einem Schaf würde ich heute nicht mehr erzählen, dafür vielleicht von Sparbüchern oder Aktienpaketen, von Autos oder Urlaubsreisen und noch so manchem, woran ihr in dieser Zeit leicht euer Herz hängt. Und natürlich stimmt das: Für so wenig, wie es ein Schaf von Hundert Schafen darstellt, würde kaum einer so viel riskieren und so viel Ge- winn fahren lassen, wie der Mann in meinem Gleichnis, der sich aufmacht, das Schaf zu suchen. Den Leuten, die damals meine Geschichte gehört haben, ging es da gar nicht anders als euch! Liebe Gemeinde, ich glaube, wir wären mit dieser Antwort nicht zufrieden. Wir würden vielmehr noch einmal zurückfragen: Warum hast du das Gleichnis denn dann erzählt, wenn es sogar schon damals nicht in die Zeit gepasst hat? Was sollten die Menschen damals und was sollen wir denn da- ran lernen? Vielleicht würde Jesus hier noch einmal dieses Wort benutzen: „Weltfremd“ ... so habt ihr meine Geschichte genannt und ich habe das bestätigt! Denn die Geschichte spricht nicht von dieser, von eurer Welt, sondern von der Welt Gottes, unseres himmlischen Vaters! Er ist der Mann, der sich gegen jedes Geschäftsinteresse und jede Vernunft aufmacht, um ein einzelnes Schaf zu suchen, obwohl er noch 99 andere hat. Er tut das, er verhält sich so gegenüber seinen „Schafen“ ... seinen Menschenkindern. Und wenn ihr fragt, warum er das tut, dann kann ich nur noch einmal sagen: Weil er unser Vater ist. Weil er seine Kinder liebt. Und Liebe, die ist wohl das genaue Gegenteil von Geschäftsinteressen und menschlichen Wünschen nach möglichst hohem Ertrag. Liebe Gemeinde, vielleicht haben sie es ja noch im Ohr: Die Pharisäer und Schriftgelehrten damals haben sich darüber aufgeregt, dass Jesus „die Sünder annimmt und mit ihnen isst“. In diese Au- fregung hinein erzählt er seine Geschichte von dem Mann, der sein Schaf suchen geht. Und da merken wir jetzt, dass Jesus eben auch genau solche „Schwachheiten“ getan hat, wie der Mann im Gleichnis. Ein Pharisäer hätte niemals auch nur mit einem ausgewiesenen Sünder gesprochen, etwa dem Oberzöllner Zachäus, der mit den Römern gemeinsame Sache machte oder der Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Und ein Schriftgelehrter hätte den Verletzten an der Straße von Jeri- cho nach Jerusalem eben genau so liegen lassen, wie der Priester und der Levit. Jesus aber wirbt für die Dummheit, es so zu halten wie der Samariter, der selbst auch noch zu denen zählt, mit denen fromme Juden nicht geredet und keine Tischgemeinschaft gehalten haben. Jesus lag also ganz offenbar daran, die damaligen Hörer dazu zu bringen, gegen jede Vernunft, gegen den „gesunden“ Menschenverstand und die Aussicht, wenigstens ein Geschäft zu machen, es so zu halten wie der Mann, der 99 Schafe zurücklässt, um das eine heimzuholen. Und er begründet seinen Anspruch auch noch damit, dass es Gott mit seinen Menschen genau so hält, denn das haben die Zuhörer damals sehr wohl verstanden: Dieser Mann ist (wie) Gott! Und was hat Jesus dafür anzubieten? Was kommt dabei heraus, wenn wir’s genau so machen wie dieser Mann im Gleichnis oder wie Gott ... Es ist wenig, was Jesus da nennt: Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Aber ist diese Freude wirklich so wenig? Wie von selbst sind wir ja jetzt bei uns angekommen und bei der Frage, ob Jesus wohl auch uns zu einem Verhalten (ver-)leiten will, wie es der Mann in der Geschichte an den Tag legt? Die Antwort ist eindeutig, es gibt keinen Zweifel: Ja! So wie dieser vor der Welt und der Vernunft törichte Mensch sollen auch wir handeln! Gott möchte von uns, dass wir mit denen reden, mit denen sonst keiner spricht. Dass wir uns zu Menschen an den Tisch setzen, die von allen gemieden werden. Dass wir denen helfen, die uns eigentlich fremd und vielleicht sogar feindlich sind. Er möchte, dass wir die Hand reichen nach einem Streit, an dem wir eigentlich gar nicht schuld waren. Dass wir zurückstecken, wo wir andere ausstechen könnten. Dass wir all die vor der Welt und unseren Geschäftsinteressen fragwürdigen Dinge tun wie mit anderen zu teilen, ihnen etwas zu gönnen, den Vortritt zu lassen, ihre Sache zu fördern, für sie einzutreten und Fürsprache zu halten. Und wenn wir jetzt denken, das wäre doch aber wirklich sehr dumm und gegen unser eigenes Wohl, wenn wir das täten, dann möchte ich uns erinnern: Ich glaube fest, das ist nicht nur bei mir so gewesen, dass die Sternstunden meines Lebens die waren, als Gott oder andere Menschen mit mir genau so umgegangen sind: Gegen den Verstand, gegen die Zeit, gegen die Welt und ohne auf Gewinn auszusein. Bei Gott ist das z.B. schon die Stunde gewesen, von der ich später begriffen habe, dass ich mir bei ihm nichts verdienen muss, dass er mir vielmehr mit seiner Vergebung und seiner Liebe entgegenkommt, bevor ich noch irgend etwas leisten kann - ich denke an die Taufe, in der ich seinen Segen für mein ganzes Leben empfangen habe. Auf Vorschuss sozusagen und auch auf die Gefahr hin, dass ich meine Tage mit sinnlosem Tun fern von Gott vergeude. Und was Menschen angeht, kommen mir da so viele Gelegenheiten in den Sinn, bei denen ich den selben Vorschuss bekommen habe, wie Gott ihn ja uns allen gewährt: Dass einer mir vertraut hat, obwohl er mich doch noch gar nicht kannte, dass mir eine für ein Stück Wegs zur großen Hilfe ge- worden ist, obgleich ihr selbst das überhaupt nichts gebracht hat. Dass mir jemand verzeihen kon- nte, den ich sehr gekränkt hatte. Dass ein anderer für mich eingesprungen ist, wo mein Mut oder meine Kraft am Ende waren. Ich bin ganz sicher, sie kennen auch solche Erfahrungen! Aber es gibt noch die anderen, ich meine die Erlebnisse damit, dass wir selbst uns eben doch auch aufgemacht haben, „das verlorene Schaf zu suchen“, oder sagen wir es anders: Ich meine die Entscheidungen unseres Lebens, die eigentlich nicht zu unserem Vorteil waren, bei denen vielmehr andere Menschen mit ihren Bedürfnissen und Wünschen im Mittelpunkt gestanden haben. Und ich meine den Beistand, den wir jahrelang einem Mitmenschen geschenkt haben, ohne jeden Lohn und bei dem für uns auch sonst nichts herausge- kommen ist als eine große Mühe, ein ziemlicher Aufwand und - vielleicht! - ein Dankeschön hie und da. Wir haben es trotzdem gemacht! Warum? - Ich glaube, hier kommen wir jetzt dem auf die Spur, was uns das Gleichnis vom verlorenen Schaf als den Lohn unseres „unvernünftigen“ Tuns gegen die Zeit und die Welt verheißt: Die Freude! Diese Freude nämlich ist so groß, dass sie alle unsere Bedenken zerstreut, es dem Mann im Gleichnis nachzutun! Diese Freude ist so gewaltig, dass sie es mit allen Zweifeln aufnehmen kann, ob solches Tun denn sinnvoll ist und ob da denn auch ein Vorteil für uns selbst darin läge ... Wer diese Freude einmal gespürt hat, der hat auch gefühlt, dass ein Stück Himmel in ihr liegt. Wie gesagt: Das Handeln des Menschen, der sein Schaf sucht, ist weltfremd. Die Freude, die wir empfinden, wenn wir seiner Spur folgen, ist es auch. Möge uns diese Freude immer wieder dahin führen, dass wie Dinge tun, die eigentlich nicht in unsere Zeit und unsere Welt passen, die dem gesunden Menschenverstand und unseren eigenen Interessen spotten. So allein kann unsere Welt menschlicher werden und wenigstens ein bisschen zum Vorgeschmack dessen, was uns in Gottes ewiger Welt erwartet.