Predigt zum 1. So. nach "Trinitatis" - 29.5.2005 Textlesung: Jh. 5, 39 - 47 Ihr sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie ist's, die von mir zeugt; aber ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben hättet. Ich nehme nicht Ehre von Menschen; aber ich kenne euch, daß ihr nicht Gottes Liebe in euch habt. Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer kommen wird in seinem ei- genen Namen, den werdet ihr annehmen. Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander an- nehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht? Ihr sollt nicht meinen, daß ich euch vor dem Vater verklagen werde; es ist einer, der euch verklagt: Mose, auf den ihr hofft. Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben? Liebe Gemeinde! Mindestens zwei ganz wichtige Gedanken werden hier besprochen: Das „Leben“ und wo wir es finden und die „Ehre“ und von wem wir sie nehmen. Aber ich glaube, so angenehm werden uns beide Gedanken nicht sein, jedenfalls nicht, wenn wir auf das hören, was Jesus von ihnen sagt. Vielleicht denken wir jetzt ja auch: Redet Jesus nicht mit Pharisäern und Schriftgelehrten? Ist das also nicht weit weg von uns einfachen Christenmenschen - einmal nach der Zeit - vor bald 2000 Jahren war das! -, aber auch von der Sache her: Suchen wir das Leben wirklich in der Schrift, also in der Bibel? Wer liest die denn schon noch? Und Ehre ... wo spielt die denn für uns eine Rolle? Und dann: Steht da für uns tatsächlich eine Entscheidung an, ob wir sie von Menschen oder von Gott nehmen? Aber der Reihe nach: Wo suchen wir das Leben in der Schrift? Mir fiel dazu ein, wie wir uns oft zu Glaubensfragen äußern (- und wobei ich mich selbst auch im- mer wieder ertappe!): Wir sagen nämlich z.B. nicht, dass wir in unserem Leben mit Jesus Christus die Erfahrung gemacht haben, dass er bei uns war, uns getröstet und geholfen hat. Sondern wir drücken es lieber so aus: „In der Bibel sagt Jesus doch: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und Beladen seid, ich will euch erquicken!“ (Mt. 11,28) Wir greifen also lieber auf die Schrift zurück, statt dass wir einfach unsere Erfahrungen und Erlebnisse erzählen! - Warum wir es so hal- ten? Nun, ich glaube, das hat damit zu tun, dass wir von uns so ganz persönlich lieber nichts preis- geben wollen. Es ist leichter, ein Schriftwort zu zitieren, als davon zu reden, wo uns Jesus selbst das Herz gerührt oder an der Hand geführt hat. Dabei steht schließlich auch auf dem Spiel, ob man uns als „fromm“ oder gar „überspannt“ bezeichnet. Es ist ja zugegeben heute nicht mehr so im Schwange, in Glaubensdingen von sich „persönlich“ zu sprechen. Aber das kann man auch von der anderen Seite her sehen: Wir verdächtigen auch andere Menschen gern einer übertriebenen Frömmigkeit, wenn sie uns zu sehr mit ihren Glaubenserfahrungen kom- men! Statt eines für uns allzu intimen Glaubenserlebnis’ hören wir auch lieber einen schönen Bi- belvers! Der geht uns nicht so nah wie das vielleicht von Tränen oder leuchtenden Augen begleitete Zeugnis für die Macht Jesu heute - im Leben eines Menschen! Das ist uns peinlich. Aber das Leben ist nicht in den Worten der Schrift! Es ist ein für allemal nur in der persönlichen Erfahrung mit Jesus Christus zu haben! Die Frauen am Ostermorgen, nachdem sie am leeren Grab gewesen waren, haben den Jüngern davon nicht so berichtet: „Ihr wisst ja noch, dass der Herr gesagt hat, er würde am dritten Tag auferstehen, wie es in der Schrift heißt.“ Sondern sie haben von ihrer Begegnung mit Jesus in der Nähe des Grabes erzählt und man hat ihnen an ihrer „Furcht“ und ihrem „Zittern“ abspüren können, dass sie das ganz tief bewegt hatte. Und die Emmausjünger? Nachdem Jesus sich zu ihnen gesellt hat, erkennen sie ihn nicht daran, dass er ihnen „auslegt, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt ist“. Nein, die Augen werden ih- nen erst geöffnet, „als er mit ihnen zu Tisch sitzt, das Brot nimmt, dankt, es bricht und ihnen gibt“. (Lk. 24,13-35) Erst als er ihnen im Leben nahe kommt, wissen sie, wen sie vor sich haben. Das klarste Beispiel aber gibt sicher der „ungläubige Thomas“ ab: Alles Reden von Jesu Auferste- hung und dass die anderen Jünger ihn gesehen haben wollen, kann bei ihm keinen Glauben hervor- bringen. Erst als er seine Finger in die Seitenwunde Jesu legt, erst als ihm der Auferstandene selbst gegenübertritt, kann er glauben (Jh. 20,26-29) Nun könnte man fast denken, das wäre nur mit der Auferstehung Jesu so, dass sich der Glaube da- ran im Leben entscheidet. Aber so ist es nicht. Immer wieder, ja, eigentlich überall im Evangelium hören wir vielmehr, dass erst Jesus selbst die Menschen zum Glauben führt, nicht das, was über ihn gesagt wird. Denken wir an Zachäus (Lk. 19,1-10)! Er musste ihn erst sehen und an seinem Tisch bewirten, dann konnte er sein Leben ändern. Oder die blutflüssige Frau (Mk. 5,25-34) - bei ihr wird es besonders deutlich: Die Kraft, die sie gesund machte, ging von Jesus aus, von dem lebendigen Herrn, nicht von Worten oder dem Zeugnis über ihn und seine Macht. Also müssen auch wir Jesus in unserem Leben begegnen. Und das können wir, wie damals auch heute! Denn unser Herr ist lebendig. Er ist immer bei uns, wenn wir ihn auch nicht sehen, wir spüren seine Nähe. Und er spricht mit uns, wenn wir ihn in unser Gebet rufen. Er gibt uns die Kraft, die wir täglich brauchen, wenn wir ihm nur vertrauen. Aber da ist noch die andere Sache: Von wem wir „Ehre nehmen“? Gern reden wir ja so: „Was die Leute sagen und von mir denken, das ist mir ganz unwichtig. Es kommt nur darauf an, dass ich vor Gott und mir selbst mit dem, was ich spreche und tue, bestehen kann.“ Ich habe keine Einwände, was den Inhalt angeht. Nur ... in der Praxis ist es anders! Da stört uns schon, wenn man uns ungerecht oder parteiisch nennt, wenn wir uns in einem Konflikt z.B. auf die Seite der Schwachen schlagen. Und es kann uns die Lust daran vergehen, einen Streit unter Nachbarn zu schlichten, wenn man dann über uns herfällt und uns Hochmut oder eigene Interessen unterstellt. Viel lieber ist es uns da schon, wenn man - obwohl wir uns nirgends besonders einset- zen - den Hut vor uns zieht. Und es gefällt uns auch besser, wenn wir uns aus allem Zank „weise“ heraushalten und dann noch Lob und Anerkennung dafür ernten, wie neutral wir doch geblieben sind. Nur: Es ist meist der Stärkere, der uns dann lobt, nicht der mit dem Recht auf seiner Seite! Und die Menschen, die uns Honig ums Maul schmieren, sind nicht ehrlich, vielmehr berechnend: Sie sagen uns heute, was wir gern hören und erwarten morgen, dass wir es mit ihnen genau so hal- ten. Aber es gibt auch noch diese Lebenshaltung, aus der heraus Menschen in der Gesellschaft, dem Verein oder der Gemeinde Arbeit übernehmen, die eigentlich auch nur um der Ehre willen getan wird. Es geht nicht um die anderen Menschen. Man sucht nicht ihre Freude, ihre Entlastung, ihren Trost oder dass ihnen geholfen wird durch den Dienst, den man tut. Es geht um Anerkennung, eben um Ehre und immer auch ein wenig um Macht: Wer hat das Sagen? Auf wen hören alle? Wer setzt sich bei einer Entscheidung durch? Wer bekommt bei der Jahreshauptversammlung die Blumen? Hier stellt Jesus das Ansehen gegenüber, das wir bei Gott haben: Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht? Und das ist uns doch auch in stillen Stunden der Besinnung und der inneren Einkehr ganz klar: Macht und Ansehen bei den Leuten ist vergänglich wie die Launen, die Menschen heute haben und die Morgen schon vergangen und vergessen sind. Und in solchen Stunden kommen wir auch dem auf die Spur, was wir uns eigentlich wünschen, was uns meist fehlt und uns, wenn wir es haben, aufbaut, in un- serem Glauben stärkt und große Freude schenkt: Anerkennung, Ehre bei Gott! Diese Ehre ist immer ganz anders als alles, was wir von Menschen nehmen können: Sie ist nicht flüchtig, sondern beständig. Sie ist nicht berechnend, Gott will nichts bei uns erreichen, sie ist eine reine Gabe, die uns glücklich machen soll! Und sie ist auch nicht so, dass sie unseren Blick nur immer auf das Eigene richtet und wir nur vor unsere Füße schauen und um unseren Nabel kreisen. Gottes Anerkennung hat immer mit der Gemeinschaft zu tun, in der wir leben, mit den anderen Menschen, für die er unsere Arbeit, unseren Einsatz und unsere Liebe haben will. Gott gibt uns die Ehre, damit wir Lust bekommen, für andere Menschen da zu sein, ihnen zu helfen, für sie zu spre- chen, ihr Leben zu fördern und schöner und reicher zu machen. Eine größere Freude, als sie uns da- raus erwächst, kann es für uns (als Christen) nicht geben. - Wir finden Jesus nicht in der Schrift, sondern in unserem Leben - oder wir finden ihn nicht. Wir können Ehre, die uns wohl ansteht und wirklich froh macht, nicht von Menschen bekommen, nur von Gott!