Predigt zum Sonntag "Trinitatis" - 22.5.2005 Textlesung: Jes. 6, 1 - 13 In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron, und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind sei- ner Ehre voll! Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch. Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, daß deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei. Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich! Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet's nicht; sehet und merket's nicht! Verstocke das Herz dieses Volks und laß ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, daß sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen. Ich aber sprach: Herr, wie lange? Er sprach: Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld ganz wüst daliegt. Denn der HERR wird die Menschen weit wegtun, so daß das Land sehr verlas- sen sein wird. Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden, doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein. Liebe Gemeinde! Ein uralter Text! 2 ½ Tausend Jahre sind vergangen, seit Jesaja ihn aufgeschrieben hat. Er erzählt von einer Vision, seiner eigenen Berufung als Prophet Gottes. Viel Persönliches ist enthalten. Vie- les auch, was wir nur verstehen können, wenn wir wissen, was zu Jesajas Zeit in Israel los war. Uns aber interessiert sicher mehr, was uns die Prophetenworte heute sagen können, sagen wollen. Darum lassen sie uns einmal alles streichen, was damals zeitgemäß war und was nur Jesaja persön- lich betrifft. Aber dazu gehört Mut, und das gleich im doppelten Sinn: Denn es bleibt von diesen uralten und gewiss ehrwürdigen Versen nicht allzu viel übrig - nur das vielleicht, was wir in vier Sätzen sagen können. Und diese vier Sätze könnten uns dann wirklich an-gehen und ihr Anspruch uns zu schaffen machen. Aber hören wir, was aus diesem Text auch uns heute anspricht: Gott ist erhaben und heilig! Wer sein Prophet, seine Prophetin sein will, der muss rein sein und ohne Schuld. Wer dieses Amt übernimmt, wird es schwer haben, denn die Botschaft, die er ausrich- ten soll, gefällt den Menschen nicht und er bekommt es mit tauben Ohren und verstockten Herzen zu tun. Wenige nur nehmen an, was die Propheten ausrichten, aber der Same geht auf und sie brin- gen gute Frucht. Liebe Gemeinde, sind das nun wirklich Worte an uns? - Ich kann mir vorstellen, dass wir schon beim zweiten Satz große Schwierigkeiten haben und abwinken: Wer sein Prophet sein will ... Nein, das lieber nicht! Wie kämen wir auch dazu! Mag Jesaja auch geantwortet haben: Hier bin ich, sen- de mich!, so halten wir es doch eher mit Jeremia, dem anderen großen Propheten. Der nämlich lehnt den Auftrag ab, Gottes Bote zu sein: "Ach, Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung" (Jer. 1,6). So etwas ähnliches würden wir auch zu Gott sagen: Zu alt, nicht wortgewandt genug, zu wenig fest im Glauben, keine Lust, keine Zeit ... Und dann auch noch mit dieser Aussicht vor Au- gen, die doch einfach zutrifft: Menschen, die nicht hören wollen, taube Ohren, verstockte Herzen. Nein, Prophetin, Prophet zu werden ist nicht verlockend. Das mögen andere übernehmen, die bes- ser dazu geeignet sind. Nur: Wer wäre das? - Ich beobachte in unserer Zeit bei Menschen aller Altersgruppen, aller Überzeugungen und weltan- schaulichen Richtungen - und leider auch unter uns Christen! - einen Rückzug ins Private. Es ist, als hätte jemand die Parole ausgegeben: "Kümmert euch nicht mehr um die anderen! Macht es euch schön in eurem eigenen Leben!" Und wovor ziehen sich die Menschen zurück? Wenn ich ein Wort dafür finden sollte, würde ich sagen: Vor der Verantwortung! Und da eben besonders vor der Ver- antwortung für andere Menschen. Warum wir uns da zurückziehen? - Das hat sicher sehr viele, sehr unterschiedliche Gründe. Ein paar allerdings treffen immer wieder bei fast allen Menschen zu: Das Klima in der Gesellschaft ist rauher geworden. Im Gesundheitswesen z.B. fühlen wir uns nicht nur schlechter versorgt als früher, wir sind es auch! Ein anderes Stichwort ist das Arbeitslosengeld 2; viele seiner Empfänger sprechen mit Recht davon, dass man sie um das ihnen zustehende Auskommen und ihre angemessene und versprochene Rente betrogen hat. Oder blicken wir einmal an die weltpolitischen Krisenherde, in den Irak zum Beispiel: Immer wieder sind es doch gerade die Angehörigen von Hilfsorganisatio- nen, die Attentaten zum Opfer fallen oder verschleppt und ermordet werden. Überhaupt gibt es doch in den Nachrichtensendungen der Medien kaum Meldungen, die uns froh machen und hoffnungsvoll stimmen. Meist hören wir doch von Mord und Totschlag, von Kriegen und Krisen, von Insolvenzen und Entlassungen, von Korruption in der Politik und von der Verant- wortungslosigkeit der Unternehmer, die trotz hoher Gewinne Arbeitsplätze verlagern oder abbauen. "Verantwortungslosigkeit ..." Da sind wir zurück bei uns, denn Verantwortung für andere, die wol- len wir auch nicht übernehmen. Und selbst wenn es vielleicht vor dem Hintergrund der Wirren und der Verunsicherung dieser Zeit verständlich erscheint, dass wir uns drücken und in die eigene klei- ne und noch einigermaßen heile Welt abtauchen wollen - Gott will uns in die Verantwortung stel- len, er will uns zu Prophetinnen und Propheten machen: Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Liebe Gemeinde, was könnte uns denn dazu bringen, dass wir uns hier doch rufen lassen? Da kann ich eigentlich nur diesen letzten Satz der Prophetenworte an uns heute wiederholen: Weni- ge nur nehmen an, was die Propheten ausrichten, aber der Same geht auf und sie bringen gute Frucht. Und wenn ich das sage, ist mir durchaus bewusst, wie klein dieser mögliche Erfolg doch erscheint gegenüber dem Aufwand, den er für uns bedeutet. Und doch ... Stellen wir uns nur einmal vor, wir hätten die Botschaft von Gott unserem Sohn, unserer Tochter, dem Enkelkind, unserem Vater oder der besten Freundin auszurichten. Denken wir uns, ohne uns würden sie nie von Gott er- fahren und von seiner Liebe zu ihnen und dass er ihr Schöpfer ist und von ihm alle guten Gaben kommen ... Wenn wir es ihnen nicht ausrichten, wüssten sie auch nichts von Jesus Christus, von seinem Opfer am Kreuz, von der Vergebung, die es uns schenkt, von der Auferstehung und vom Leben, das bis in die Ewigkeit reicht ... Könnten wir wirklich so sein? Ließen wir unsere liebsten Menschen ohne die gute Botschaft von Gott, ohne das Zeugnis, dass Jesus Christus der Herr ist und ohne den Trost, der darin liegt und ohne die Freude auch, die das macht? Sehen wir auch das: Wir selbst blieben dann auch ohne die Erfahrung, dass Gottes Sache, wenn die Menschen nur von ihr erfahren, gute Frucht bringt. Wir brächten uns um das Glück, Menschen zu Gott geführt zu haben, das Kind zum Vater, das Geschöpf in die Obhut und die Nähe seines Schöp- fers. - Wie traurig wäre das doch. Darum frage ich jetzt: Lohnt nicht der "Gewinn" auch nur eines einzigen Menschen für Gott und für das Leben in seinem Sinn und mit seinem Ziel vor Augen jede Mühe? Was ist dagegen denn die Last, ein Prophet, eine Prophetin zu sein und was sind dagegen unsere Ausflüchte: zu jung, nicht fromm genug, keine Zeit ...? Und müssten wir uns dann nicht ei- gentlich fragen, ob nicht wir auch taube Ohren haben und verstockte Herzen? Auf der anderen Seite: Wir sind doch Christen, wir wollen es doch sein. Und Jesus Christus ist doch unser Herr und wir kennen doch den Vater im Himmel und haben mit dem Glauben an ihn so viele, so gute Erfahrungen gemacht! Können ... wollen wir davon wirklich schweigen? Könnten wir das tatsächlich vor unseren liebsten Angehörigen verbergen, zurückhalten? Ja, ist es nicht eher um- gekehrt, dass wir uns nichts sehnlicher wünschten, als dass diese Menschen auch den Trost, die Hil- fe und den Segen erfahren, der darin liegt, von einem Vater im Himmel zu wissen, von einem Herrn, der uns im Leben begleitet und von einem Ziel, für das es sich zu leben lohnt? - - - Aber ich gehe jetzt noch ein kleines Stück weiter: Sind nicht auch alle unsere Mitmenschen durch Jesus Christus unsere Geschwister? Gehören sie von daher nicht auch in den Kreis unserer Familie, also zu denen, die wir lieben sollen und die unserer Fürsorge und eben auch unserem Zeugnis und Dienst als Boten Gottes besonders anbefohlen sind? Und ist es denn wirklich so schwer, hin und wieder ein Wort zu sagen oder eine Tat zu tun, die sich klar dazu bekennt, dass wir Christen, Chris- tinnen sind? Gewiss werden wir auch Verstockung und Herzenshärte erleben. Aber wenn auch nur einer auf unser Wort von Gott hin aufhorcht, oder wenn nur eine durch unsere freundliche Geste über den Glauben ins Nachdenken kommt - wäre das zu wenig? Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ob wir es schaffen, gegen alle inneren Widerstände, trotz aller doch so guten Gründe abzu- lehnen und bei aller Mühe, die das mit sich bringen wird, so zu sprechen: Herr, hier bin ich, sende mich!?