Predigt zum Sonntag "Invokavit" - 13.2.2005 Textlesung: 1. Mose 3, 1 - 19 Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Gar- ten? Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, daß ihr nicht sterbet! Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des To- des sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Und das Weib sah, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze. Und sie hörten Gott den HERRN, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes des HERRN unter den Bäumen im Garten. Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. Und er sprach: Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß. Da sprach Gott der HERR zum Weibe: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich, so daß ich aß. Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang. Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen. Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber er soll dein Herr sein. Und zum Manne sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deines Weibes und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen -, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden. Und Adam nannte sein Weib Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben. Und Gott der HERR machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nur nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, daß er die Erde bebaute, von der er genommen war. Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens. Liebe Gemeinde! Das leuchtet sicher jeder und jedem von uns ein: dass wir heute nicht alles besprechen können, was diese lange Geschichte an Themen anbietet und an Fragen aufwirft! Darüber könnte man wahr- scheinlich ein Dutzend Predigten halten! Worüber aber sollen wir heute nachdenken? Was hilft uns, das vielleicht Wichtigste aus diesem alten Text herauszufinden? Alle Predigttexte für diesen Sonntag Invokavit - und sie wissen ja, das sind sechs an der Zahl - ha- ben irgendwie mit Versuchung zu tun. Wenden wir uns also diesem Thema in dieser uralten Geschichte zu und denken dem nach, was sie uns über "Versuchung" sagen will. Hören wir noch einmal die Verse, die darüber sprechen: "Und die Schlange sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, daß ihr nicht ster- bet!" Erst noch ein Wort zur Klärung: Es geht hier nicht um so etwas wie die "zarteste Versuchung seit es Schokolade gibt" und auch nicht um die vielen anderen Anfechtungen, die von gutem Essen und Trinken und sonstigen leiblichen Genüssen ausgehen. Die mag uns zwar der Arzt verboten haben und wir wissen es ja auch selbst, dass sie im Übermaß unserer Gesundheit schaden, aber sie sind doch an sich nicht schlecht oder moralisch verwerflich. Hier ist "die Versuchung" an sich gemeint, die Auflehnung des Geschöpfes gegen den Schöpfer, der Ungehorsam des Menschen gegen seinen Gott. Und es steht nicht nur die gute Figur, die Gesundheit und dass wir uns wohlfühlen auf dem Spiel, sondern alles: Das Leben! Sollte Gott gesagt haben ...? Ja, er hat es gesagt! Und der Mensch, in diesem Fall "Eva", weiß es: Von den Früchten des Baumes inmitten des Gartens sollen wir nicht essen! Dabei müssen wir beachten: Es ist wahrhaftig nicht viel, was Gott verlangt! Von allen an- deren Bäumen dürfen die Menschen essen! Alles andere dürfen sie tun, anfassen, sogar beherrschen und jedem Ding seinen Namen geben. Es ist nur der eine Baum, den sie nicht anrühren sollen! Eine seltsame Sache, nicht wahr. Schon damals, aber noch mehr heute: Was liegt in dieser großen Welt nicht alles für unsere Neugier, unseren Forscherdrang bereit. Wie viel ist noch zu ergründen, zu entschlüsseln, zu entdecken - und fast alles ist erlaubt! Ein riesiges Betätigungsfeld für die Wis- senschaft - im Universum und im Mikrokosmos. Arbeit für noch viele 1000 Jahre. Jedes Ge- heimnis, das gelüftet ist, öffnet die Tür zu neuen Rätseln. Jede beantwortete Frage, wirft unzählige neue Fragen auf. Niemals wird dem forschenden Menschen der Stoff ausgehen. Fast grenzenlos der Raum, in dem wir uns bewegen können. Millionen Themen, Gegenstände, Tiere, Pflanzen, Miner- alien, Naturereignisse und Krankheiten des Körpers und der Seele, die wir untersuchen, mit Händen begreifen und bearbeiten, mit unserem Verstand erfassen und unserem schöpferischen Geist gestal- ten, lösen oder heilen dürfen. - Aber wir strecken unsere Hand nach der Kraft der Atome aus, um sie in Bomben für den Krieg und in einer hochgefährliche Energiegewinnung zu bannen. Wir han- tieren mit brisanten Technologien, bei deren Handhabung nicht der allerkleinste Fehler passieren darf, sonst drohen schreckliche Folgen. Und wir verändern die Gene, die Bausteine der Schöpfung, und gehen damit einen riskanten Weg, ohne die Möglichkeit umzukehren, wenn uns die Geister, die wir riefen, nicht mehr dienen, sondern sich selbständig machen. "...von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, daß ihr nicht ster- bet!" Auf vielerlei Weise haben wir von diesen Früchten genommen und davon gegessen. Denn seit den Tagen des Paradieses will uns die Schlange einreden: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Vielleicht geht es in unserer Zeit weniger um "Gut und Böse". Aber es geht um Macht, zum Beispiel. Und um Geld, um Wachstum, die marktbeherrschende Stellung, um Patente und Mono- pole ... Aber Gottes Wort, dass wir sterben werden, erfüllt sich und hat sich erfüllt: In Hiroshima, Tschernobil, Seveso ... durch millionenfachen Tod, durch Missbildungen und ein Leben, dass zur Qual geworden ist und durch Krankheiten, deren Verbreitung oder Häufung der Mensch erst verur- sacht hat - denken wir an Contergan oder Dioxin, denken wir an Aids oder Krebs. Jetzt könnten wir ja meinen, das alles ginge uns persönlich ja recht wenig an. Und das stimmt vielleicht auch, wenn wir nicht gerade von den genannten Krankheiten, Medikamenten oder Giftstoffen Betroffene sind und auch keine Wissenschaftler, Politiker in verantwortlicher Stellung oder Geschäftsleute mit wirtschaftlichen Interessen. Darum wollen wir die Einflüsterungen der Schlange einmal anders hören, so dass es uns persönlich trifft: Sollte Gott gesagt haben ... ihr sollt eure Mitmenschen lieben, eurem Ehegatten treu sein, nicht stehlen, einander nicht nach Leib und Leben trachten, nicht unwahrhaftig und boshaft sein, Gottes Wort achten und ihm gehorchen ...? Wir wissen es wohl, dass Gott so zu uns gesprochen hat! Aber wir lassen die Schlange doch weiterreden und hören ihr zu, ohne uns abzuwenden: An dem Tage, an dem ihr anfangt, endlich nur noch an euch zu denken, da werdet ihr mehr sein, mehr haben als die anderen. An dem Tage, an dem du dir die Jüngere nimmst und die Frau verlässt, der du einmal vor dem Altar "Treue, bis der Tod euch scheidet" versprochen hast, da wirst du ganz neue Freude(n) erleben und selbst noch ein- mal jung werden. Wenn du endlich alles abschüttelst, was dein Gewissen bis heute bestimmt hat, die 10 Gebote, die Achtung vor dem Mitmenschen, die Ehrfurcht vor Gott, den Gehorsam gegenüber seinem Wort und Willen, dann wirst du frei sein das zu tun, was dir selbst dient, dich weiter bringt, dir Macht und Einfluss schenkt. Und noch manches andere flüstert uns die Schlange ein und keine und keiner unter uns, der nicht schon kurz davor stand, auf sie zu hören oder ihr schon sein Ohr geschenkt hat. Und es klingt alle- mal zaghaft, wenn wir entgegnen: "Wir dürfen uns innerhalb der von Gott und seinen Geboten ge- setzten Grenzen überall frei bewegen!" Denn eigentlich finden wir es auch: ... daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er eine Lust für die Augen wäre und verlockend", weil wir doch gern reich, mächtig, angesehen wären! Weil wir gern unseren Begierden und Wünschen nachgeben würden. Weil das doch neu, interessant und prickelnd wäre, den Schritt über die uns zugewiesenen Grenzen zu tun! Und woher "wissen" wir das eigentlich, dass es stimmt: ... von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, daß ihr nicht sterbet! Kennen wir nicht sehr viele, ja, werden es nicht immer mehr, die der Versuchung erlegen, aber am Leben geblieben sind? Ist also nicht ganz offensichtlich wahr, was die Schlange sagt: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben ...!? Liebe Gemeinde, an dieser Stelle wird es sehr schwierig! Denn wie klingt das, wenn ich jetzt an- fange, alle Verstöße gegen Gottes Willen und alle Gelegenheiten, an denen Menschen den Ver- suchungen nachgegeben haben, für schlecht und verwerflich zu erklären? Und wenn ich dann gar noch behaupte, was doch ganz klar nicht der Fall ist: Es führe zum Tod, wenn Menschen den Ein- flüsterungen der Schlange folgen? Dazu müssen - oder besser: dürfen - wir zwei Dinge beachten: Wir wissen nicht nur von Ver- suchung und Sünde, wir kennen auch den, der begangene Schuld vergeben kann: Jesus Christus. Wenn wir also gesündigt haben - und das haben wir! - dann sind wir um seinetwillen am Leben ge- blieben. Und dann: Tod ist nicht erst das, was an uns herantritt, wenn wir unseren letzten Atemzug getan haben und unser Herz stille steht und die Hirnströme erlöschen. Es gibt auch den Tod mitten im Leben. Anders gesagt: Mancher Mensch meint, er lebe - vielleicht gar in Saus und Braus! - und er ist doch schon lange gestorben. Darum schauen wir uns das "Leben" der Menschen noch einmal genauer an, die über die weiten Grenzen hinaus gegangen sind, die uns Gottes Liebe gezogen hat: Wer nur an sich selbst denkt, der verliert nach und nach seine Freunde, der stellt sich selbst außer- halb der Gemeinschaft und als Christ außerhalb der Gemeinde. Bis er gar nicht mehr verbunden ist mit den anderen. Bis er allein ist und einsam ... Sagen sie, ist das ein Leben? Und der Mann, der sich die Jüngere nimmt und die Frau verlässt (gewiss: es könnte auch um- gekehrt sein!) ... Wie lange geht das denn gut? Ein paar Monate, Jahre, einen "Lebensabschnitt" lang? Aber das passt doch einfach nicht: Wenn er dann 70 ist, ist sie vielleicht knapp 50. Und der Abstand bleibt. Und je älter wir werden, um so mehr Schrullen stellen sich bei uns ein, die es schwierig machen, uns zu lieben. Vielleicht werden wir auch der Pflege bedürftig? Der Mensch, der mir vor Gottes Angesicht einmal Treue bis in den Tod versprochen hat, hätte bei mir ausgehalten. Aber ich habe es anders gewollt. Späte Reue kann das verlorene Leben nicht wiederbringen. Und sehen wir noch nach den vielen Menschen, die ihr Gewissen zum Schweigen gebracht haben, um endlich das tun und lassen zu können, was ihrem Vorteil, ihrem Einfluss und Ansehen dient. Ist das wirklich Freiheit, was da herauskommt? Macht das glücklich, zufrieden, erfüllt sich da wahres Leben? Vielleicht ist das ja altmodisch, es so zu sehen, aber ist das wirklich schön, nur noch auf sich selbst zu hören oder auf das, was man für den eigenen Willen hält? Ist das Gewissen nicht ei- gentlich ein ganz wunderbares Geschenk? Gewiss engt es uns ein, aber doch nicht so, dass wir keine Luft mehr bekommen. Und gewiss verstellt es mir manchmal den Weg in eine bestimmte Richtung, aber doch nur, um mich bald damit zu belohnen, dass es mich zufrieden und glücklich macht. Und sicher lenkt es meinen Blick immer auf die anderen Menschen, aber kann das wirklich auf Dauer genügen, nur für sich selbst da zu sein und immer nur um den eigenen Bauch zu kreisen? Fängt nicht "Leben", das diesen Namen verdient immer erst da an, wo ich mit anderen zusammen arbeite, meine Zeit verbringe, Freude und Leid, Glück und Sorgen teile und so alles Schöne noch schöner und alles Schwere leichter wird? Sollte Gott gesagt haben ...? Ja, er hat gesagt - und es ist gut so! Gott aber gibt uns bis heute die Möglichkeit, auf die Schlange zu hören und ihr zu folgen. Prüfen wir, was ein Leben außerhalb der von Gottes Güte gesteckten Grenzen wert ist. Und wählen wir das Leben, das sich im Einklang mit Gottes Wort und Willen und in der Gemeinschaft mit den anderen Menschen erfüllt. Der Raum ist riesig, in dem wir uns bewegen können. Wir dürfen von allen Bäumen im Garten essen! Es muss nicht der eine inmitten des Gartens sein. Wir werden nichts gewinnen, nur verlieren. - Die Schlange lügt!