Predigt zum Sonntag "Estomihi" - 6.2.2005 Textlesung: Lk. 10, 38 - 42 Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, daß mich meine Schwester läßt allein dienen? Sage ihr doch, daß sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genom- men werden. Liebe Gemeinde! Das Verständnis dieser Geschichte, oder sagen wir besser: das, was sie bei denen auslöst, die sie hören, hat in den letzten Jahren eine große Wandlung erlebt. Das Verhalten dieser Maria, die ihre Schwester allein dienen lässt, regt eigentlich kaum noch jemanden auf. Früher - noch vor 20 Jahren - war man da gleich empört, wenn einer (oder noch schlimmer: eine!) sich aller Hausarbeit ent- zogen hat. Das macht man nicht: einfach nur dasitzen und zuhören ... Jedenfalls nicht so lange noch abzutragen und das Geschirr zu spülen ist. Und was Jesus zu Marta sagt, hat uns auch vor Jahren noch ziemlich geärgert: "Maria hat das gute Teil erwählt ..." Lobt er damit nicht die Faulheit? Wie gesagt: Wir hören die Geschichte heute anders und das steht dem entgegen, dass wir sie richtig verstehen. Es stört uns nicht mehr so sehr, dass Marta allein schaffen muss, während die Schwester sich ausruht und auf die Worte Jesu lauscht. Heute darf sie das. Und Marta würden wir vielleicht sogar zurechtweisen: Einmal weil sie Maria bei Jesus anschwärzt. Aber auch, weil sie doch wirk- lich einmal für eine Stunde die Hände in den Schoß legen und die Arbeit Arbeit sein lassen könnte. Und vielleicht ist uns das vorhin beim Hören auch selbst so gegangen, dass wir gespürt haben: Auch für uns klingt die Geschichte heute anders als noch vor Jahren. - Aber woran mag das liegen? Ich glaube, das hat mit solchen Dingen wie z.B. der "Wellness-Bewegung" zu tun. Wir lassen es uns heute gern einmal gut gehen. Das ist in unserer Gesellschaft inzwischen akzeptiert, wenn man sagt: Ich möchte auch einmal an mich denken, mich pflegen und mir aufwarten lassen und einmal mich selbst ganz in den Mittelpunkt stellen. Und denken sie doch nur an den Jahresurlaub, vielleicht gar die zwei oder drei Zeiten im Jahr, an denen wir verreisen. (Wir Deutschen sind übrigens Weltmeister im Ferien-machen!) Das ist doch ganz selbstverständlich geworden, dass wir einmal ausspannen, ganz woanders hin fahren, uns dort bedienen und verwöhnen lassen. Wir haben schließlich auch hart gearbeitet, uns monatelang nichts gegönnt, und wir können uns das doch auch leisten ... Und dann fällt mir da noch der Schönheits- und Jugendwahn unserer Tage ein: Wir sind für uns selbst einfach wichtiger geworden. Wer hätte zur Zeit unserer Eltern und Großeltern, noch vor zwei oder drei Jahrzehnten so viel Aufhebens um seine Figur, seinen Körper gemacht. Wer wäre in ein Fitnessstudio gegangen, um seinen "body zu formen", wie das heute heißt. Wer also hätte in einem solchen Maß wie heute an sich selbst gedacht und um seine Jugendlichkeit und sein ansprechendes Äußeres gekreist? Sie geben mir Recht: Das wäre noch vor einem Vierteljahrhundert undenkbar gewesen. Dazu hatten die Menschen einfach keine Zeit. Und die Gemeinschaft und Gemeinsamkeit mit anderen war viel wichtiger als das Bemühen, sich von ihnen zu unterscheiden: fitter zu sein als sie, schöner und äußerlich jünger ... Und? Will ich das jetzt herabsetzen und für schlecht erklären? Das nicht, wenn ich auch denke, wir übertreiben manchmal schon ein wenig damit. Aber, da bin ich sicher, sie finden auch einiges an dem, worüber ich eben gesprochen habe, nicht mehr verständlich und akzeptabel: "Wellness" - die hat doch schon kultische, fast religiöse Begleiterscheinungen! Und "Urlaub" - haben sie sich nicht auch schon einmal gefragt, wovon der rüstige Rentner, der zu Hause ein gutes, ruhiges Leben führen kann, sich doch zweimal im Jahr vier Wochen "erholen" muss, wie er sagt? Und ganz und gar ins Zweifeln geraten wir, wenn wir einmal gesehen und gestaunt haben, wegen welcher lächerlichen Figur-"probleme" sich Menschen für sehr viel Geld unter das Messer eines Schönheitschirurgen legen. Aber wahrhaftig, wir begreifen die Geschichte nicht mehr auf Anhieb: Warum soll sich Maria nicht einmal für eine Weile hinsetzen und ausruhen? Warum regt sich die Schwester da gleich so auf? Und was ist am Wort Jesu eigentlich so bemerkenswert, wenn er sagt: "Maria hat das gute Teil er- wählt ..." Liebe Gemeinde, Jesus hat nicht an das Ausruhen gedacht, auch nicht, dass jeder Mensch doch einmal an sich selbst denken soll, und schon gar nicht daran, dass Maria gut daran tut, die eigene Person ins Zentrum ihrer Wünsche und Gedanken zu stellen. Nicht das gefällt Jesus: dass hier eine Frau nur um sich kreist und ihre Mitmenschen und deren Bedürfnisse vergessen kann. Es geht um das Hören - und damit geht es um Jesus, nicht um Maria. Es geht um das Wort von Gott - und damit um das Wichtigste für uns Menschen. Es geht um die Botschaft, die uns retten kann - und damit um das Leben! Was Jesus hier tut und sagt, ist ein Zeichen, eine Mahnung an uns und alle, die davon lesen und hören. - Und was sagt uns dieses Zeichen? Zuerst das: Schaut wieder einmal hin, was ist in eurem Leben wichtig? Welchen Wert messt ihr äußerlichen Dingen zu und an welcher Stelle steht für euch die Sache Gottes? Wenn euch die Ant- wort schwer fällt, dann seht doch einfach auf die Zeitspanne, die ihr - neben eurem Broterwerb, eurer Arbeit, die euer Geld verdient - mit Körperpflege, Entspannung, Fernsehen oder eurem Hobby verbringt. Stellt es einmal dem gegenüber, was ihr für euren inneren Menschen, für eure Seele tut und wie viel Zeit ihr dafür übrig habt. Erkennt ihr es? Das Verhältnis stimmt einfach nicht! - Da- rum rügt Jesus damals Marta: Sie hat das Maß verloren! Was ist das Bedienen bei Tisch, was ist ein ordentlicher Haushalt und gespültes Geschirr gegen die Stunde, in der ich von Gottes Willen über mir, von seiner Güte und seiner Liebe erfahre? Aber dann sagt mir das Zeichen, das Jesus damals gegeben hat, auch etwas über mich selbst, meine Einschätzung der anderen Menschen und meine Wertschätzung der Frohen Botschaft und des Glaubens, den sie bei mir weckt. Ist das nicht eigentlich eine Missachtung des Gastes, wenn Marta lieber in der Küche schafft, als sich auch zu Jesus zu setzen? Sie weiß doch, wer er ist! Und ist das nicht auch ein ziemlich verächtliches Verhalten der Schwester gegenüber, wenn sie gar nicht be- greift, dass Maria es richtig macht, wenn sie Jesu Worten zuhört? Und schließlich sagt es doch auch viel über Martas eigene innere Haltung: Wie gering gilt ihr doch, ob ihr Glaube an den Gottessohn vertieft, ihre Hoffnung aufgebaut und die Liebe zu Gott und den Menschen gestärkt wird. "Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not.", sagt Jesus. Ob Marta verstanden hat? Ob wir verstehen? Dann zeigt uns Jesus mit seinem Zeichen noch ganz deutlich, was unser Auftrag und unsere Auf- gabe als Christen ist: "Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden." Was kann das anderes heißen als dies: Wir sollen auf Jesu Worte hören. Das ist wichtig! Ihnen die Zeit einräumen, die angemessen ist - besonders wenn wir prüfen, was uns andere Dinge an Zeit wert sind. Überhaupt: Wir sollen wieder mehr Gott und seine Sache in die Mitte unseres Lebens rücken. Wir sollen unsere Ohren seinem Wort öffnen, wenn er zu uns spricht. Wir sollen lernen, die Haupt- und die Nebensachen unseres Lebens von einander zu unterscheiden und jedem den Platz einräumen, der ihm zusteht. Gewiss, das weckt auch Ängste! Aber wir werden uns nicht selbst verlieren, sondern uns nach dem Willen Gottes dorthin stellen, wo wir hingehören: An die Seite unserer Mitmenschen, die uns brauchen, die vielleicht schon lange auf unsere Hilfe warten und doch nie zu unserem Herzen durchgedrungen sind. Und vergessen wir nicht: Es geht hier nicht nur um Hören auf Gott - weil es halt der Achtung entspricht, zu der wir verpflichtet wären. Es geht nicht nur um Gehorsam - weil wir Jesus schließlich unseren Herrn nennen. Es geht schon gar nicht darum, dass wir sonst vielleicht bestraft würden - weil wir uns und unsere Seele an Nichtigkeiten gehängt haben. - Es geht um Freude, die darin liegt, mit Gott und den Menschen im Reinen zu sein. Es geht um Sinn, der uns aufgehen wird, wenn wir das tun, wofür Gott uns das Leben in dieser Welt geschenkt hat. Und es geht um Erfüllung, die wir da erfahren, wo wir uns den wirklich wesentlichen Dingen zuwenden: Der Liebe Gottes zu uns, unserem Glauben an Jesus Christus und unserer Hoffnung, dass wir auf eine ewige, herrliche Zukunft zugehen. - Was ist dagegen der Wellness-Kult? Was gilt unsere Entspannung und der Urlaub, zwei-, dreimal im Jahr? Welche Bedeutung hat das, ob wir mit dieser oder jener Figur in Gottes Reich eingehen, wenn wir nur dahin kommen!? Maria hat das gute Teil erwählt! Und wir?