Predigt zum Sonntag "Septuagesimae" - 23.1.2005 Textlesung: Lk. 17, 7 - 10 Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; da- nach sollst du auch essen und trinken? Dankt er etwa dem Knecht, daß er getan hat, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. Liebe Gemeinde! Das war in der vergangenen Woche auf einer Fortbildung für Pfarrerinnen und Pfarrer, die von Montag bis Samstag dauerte. Am Freitag, dem letzten gemeinsamen Abend, fragte einer der in ge- selliger Runde versammelten Kollegen die anderen: "Wer weiß eigentlich schon, was er am Sonn- tag predigt?" Und ein anderer fügte hinzu: "Auch noch bei diesem Text: 'Wir sind unnütze Knechte ...'" Da ein Pfarrer - zumal wenn er die Woche über von zu Hause abwesend war - meist erst am Samstag zur Predigtvorbereitung kommt, waren alle erstaunt, als einer aus der Runde rief: "Ich! Wollt ihr mal hören?" Dass der Kollege schon eine Predigt fertig hatte, war ein erster Grund zum Staunen, dass er aber bereit war, seine Ansprache vorzulesen, war noch erstaunlicher! Meist hat man doch ein bisschen Hemmungen, sich vor Leuten vom Fach so zu offenbaren und einer Beurtei- lung auszusetzen. Aber er las seine Predigt dann wirklich vor - und sie war ziemlich hart und deut- lich! Nichts was den Ohren der Hörer und Hörerinnen "jücket", wie Martin Luther das ausgedrückt hätte. Und natürlich kamen hinterher die Anfragen der "Fach"-leute: "Wo war eigentlich das Evan- gelium bei deiner Predigt? Dürfen wir das so hart und unvermittelt weitersagen? Ist das noch 'frohe Botschaft' gewesen?" Lange Diskussion hin und her. Einer aus der Gruppe hat dann den Standpunkt vertreten: "Wir müs- sen auch einmal den Mut haben, deutliche Worte zu gebrauchen. Das Evangelium schmeckt nicht immer wie Honig!" Und dann sagte er noch: "Ich glaube, ich könnte auch vor meine Gemeinde tre- ten und sagen: Ihr seid unnütze Knechte! Das muss auch einmal sein!" Ja, und jetzt will ich das auch tun! Und ich spreche dabei mit den Worten der Schrift zu ihnen - und ich stelle mich auch selbst mit drunter: "Wir sind unnütze Knechte!" Gut, das muss erklärt und vor allen bewiesen werden. Also: Wir erfinden einmal eine ganz alltägli- che Situation. Ein Mensch in unserer Nähe kommt unter Druck. Er braucht Hilfe. Das muss jetzt gar keine seelische Not sein; vielleicht 'nur' eine berufliche oder familiäre Durststrecke. (Damit müssen wir ja wohl gerade in diesem Jahr verstärkt rechnen!) Wir lassen uns bitten und springen für eine Zeit mit unserer Unterstützung in die Presche. Wenn dann die Schwierigkeiten überwunden sind und es ans Danken geht, wie lassen wir's uns dann doch gern gefallen, bedankt zu sein! Wie gut tut uns der Überschwang der Worte. Wie hebt das unser Selbstgefühl. Sicher, wir sind Men- schen; es schmeichelt uns, Dankesreden zu hören. Das steigert unsere Selbstachtung. Andererseits: Was ist da besonderes dran, wenn ein Christ einem anderen hilft. Das ist schließlich der Kern der guten Sache, an die wir glauben: Nächstenliebe. Muss man dann darum groß Aufhebens machen? Eigentlich doch nicht. Aber - ich glaube - nur Wenige empfinden die Peinlichkeit des überschwäng- lichen Dankes, wenn uns hoch angerechnet wird, was doch selbstverständliche Pflicht war. Denn es heißt ja: "Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen war, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte!" Oder nehmen wir den Kirchgang. Sicher ist das nicht die einzige Möglichkeit, heute noch öffentlich zu zeigen, wozu wir stehen, aber - mal ehrlich - wo legen wir denn sonst noch ein Bekenntnis ab für das, was und woran wir glauben? Von daher betrachtet: Haben wir wirklich Grund, mit uns zufrie- den zu sein, wenn wir's schaffen, alle drei Wochen oder auch öfter zum Gottesdienst zu gehen. Ist da wirklich irgendwelcher Stolz am Platz, oder gar Hochmut, der auf andere, die es nicht so halten, herabblickt? Die Sache ist doch ganz schlicht und einfach die: Da geht ein Mensch in das Haus sei- nes Herrn und hört dort das Wort dieses Herrn, das ihn aufbaut, tröstet, mahnt oder zurechtweist, je nach dem. Ist das irgend etwas Besonderes? Ist das überhaupt erwähnenswert oder gar lobenswert? Wohl nicht. Aber wie denken wir über uns, wenn wir zu den "besseren" Kirchgängern gehören. Wie gern nennen wir diese Stunde an Sonntagvormittag ein "Opfer" an Zeit oder Schlaf. Aber ist der Kirchgang nicht eigentlich der kleinste schuldige Beweis dafür: Der Herr, zu dem wir im Gottes- dienst beten und der zu uns spricht, ist auch der Meister meines Lebens? Er hat gesagt: Wenn ihr al- les getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. Nun, das hängt sicher auch mit diesem Verhältnis zum Herrn zusammen, von dem hier die Rede ist. "Knecht" ist das entsprechende Stichwort. Wer will heute schon Knecht sein. Wer drängt sich schon danach zu dienen? Viel lieber spielen wir doch selbst den Herren. Ungern lassen wir uns zu irgend etwas verpflichten. Wer will uns vorschreiben, was wir "schuldig" sind? Und wenn wir uns doch einmal herablassen - dann muss aber auch ordentlich Dankeschön gesagt werden! Wahrhaftig: "Wir sind unnütze Knechte!" Ich muss jetzt an den Herrn denken, der uns das sagt und der uns dieses Gleichnis erzählt hat. Da kommen sie einmal zu ihm - das war nach der wunderbaren Speisung von 5000 Menschen - wollen ihn greifen und zum König machen. Aber er entzieht sich ihnen, flieht vor ihrer dankbaren Vereh- rung. Unser Herr scheint nichts dafür übrig zu haben, den Herren zu machen. Und noch das fällt mir ein: Kurz vor dem Ende seines Weges - und der führte ja nun wirklich nicht nach oben - kurz vor seinem Kreuzestod tut er an seinen Leuten, was die Aufgabe der niedrigsten Sklaven war: Er wäscht ihnen die Füße. Und nicht etwa so, als wollte er damit sagen: "Seht her, wie tief ich mich erniedrige, was ich alles für euch auf mich nehme!" Sondern wie selbstverständlich, ganz ohne gro- ße Geste: "Wer unter euch der Höchste will sein, der sei euer Diener!" Und er macht selbst vor, wie das geht. Nein, "Knecht" ist kein gar so schlechtes Wort, wenn man diesen Herrn anschaut. Vor seinem Bei- spiel sieht vielmehr all unser Dienst ziemlich dürftig aus - und noch der beste! Leben in seiner Spur, hinter ihm her, in seiner Nachfolge, müsste das nicht heißen: Für meine Zeit, für jeden Tag, den ich geschenkt bekomme, ganz andere Schwerpunkte zu setzen? Nicht das vorantreiben, was mich im Sinne dieser Welt weiterbringt, mein Ansehen steigert und den Wert, den ich mir zumesse. Knechte sind wir, Knechte Christi und damit der anderen Menschen. Und die haben ein Recht auf mich und meine Hilfe. Ich gehöre ihnen, wie Christus uns gehören will. Ich sollte also vielleicht dahin kommen, weniger zu fragen, was brauche ich, als vielmehr, was hat der nötig, der mir in meinem Alltag begegnet. Da gibt es Menschen, die sind mit den Jahren so bitter geworden, dass sie nichts mehr erwarten. Eine Mauer aus Skepsis und Enttäuschung haben sie um sich aufgebaut. Da einmal versuchen hindurch zu stoßen, ein gutes Wort sagen, das ankommt und den Bann bricht - eine schwere Aufgabe, gewiss, aber wir würden ernst machen mit dem "Dienen". Da gibt's noch andere, voller Ängste vor der Welt und den Menschen: "Nur nichts Neues probieren, nur nichts wagen, bloß keine Experimente!" Sie ahnen oft gar nicht, was ihnen an Freude entgeht, an Erfüllung, echter Bereicherung und guten Erfahrungen. Die Furcht vor dem Ungewissen, vor dem Morgen, das ist der Grundton ihres Lebens. Dort müssten Menschen wie wir ein Stück Zuver- sicht vorleben, ein Stück der Hoffnung durchscheinen lassen, die in uns ist. Vielleicht kann der Mensch, der in seine Ängste verstrickt ist, sich dann ein wenig loslassen, freier werden, in kleinen Schritten - an unserer Hand - in die Zukunft laufen lernen. - Auch das wäre "Dienst" in der Nach- folge Jesu Christi. Das Dienen führt uns ja nun wirklich nicht immer nur an Krankenbetten oder in die Häuser der Armen oder der Alten. Der "Knecht", die "Magd" dieses Herrn ist vielmehr immer im Dienst und spürt die Nöte und Bedürfnisse der Mitmenschen im Alltäglichen auf. Und wir wollen auch das sehen: Diese Hilfe gelingt uns ja auch immer wieder einmal. Und der Ein- satz für den Nächsten - wir erbringen ihn ja auch hin und wieder. Aber auch dann bleibt's dabei: "Wenn ihr alles getan habt, was euch aufgetragen war, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte!" Zu- gegeben: Sehr froh macht diese Botschaft heute nicht - oder doch? Dass er - der Herr - uns trotzdem als seine "Knechte" bezeichnet, dass er uns in seinem Dienst haben will, dass er uns brauchen kann - vielleicht ist da das Evangelium dieser Geschichte. Leute wie dich und mich, so unzulänglich, oft so lieblos, mit so viel Angst vor dem Dienst an den Menschen - solche Leute nennt er seine Mägde und Knechte. Und er will uns für seinen Dienst haben! Kann das nicht doch ein wenig froh ma- chen?